23.11.2024
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Dokument-Nr. 5925

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Bundesgerichtshof Urteil16.04.2008

Recht­spre­chung­s­än­derung: BGH stärkt Ansprüche von Scheinvätern auf Unter­halts­regressInzident­fest­stellung der Vaterschaft zulässig

Der Bundes­ge­richtshof hat die Rechte von vermeintlichen Vätern gestärkt, die Unterhalt für nicht von ihnen stammende Kinder gezahlt haben (sog. Kuckuckskinder). Das Gericht gab einem Mann recht, der vom vermutlichen Kindsvater Unter­halts­zah­lungen zurückforderte (Unter­halt­regress). Die Richter meinten, dass es in derartigen Fällen möglich sein müsse, die Vaterschaft auch gegen den Willen der Mutter und des vermeintlichen Erzeugers zu klären. Ein vermeintlicher Erzeuger kann sich nicht mehr - wie früher - vor Regress­for­de­rungen schützen, indem er einfach ein Vater­schafts­fest­stel­lungs­ver­fahren verweigert. Wenn gewichtige Indizien für seine Vaterschaft sprechen, muss er von nun an umgekehrt beweisen, dass er nicht der Erzeuger ist. Der Bundes­ge­richthof spricht von einer "Inzident­fest­stellung" der Vaterschaft im Rahmen eines Unter­halts­re­gress­ver­fahrens.

Der Bundes­ge­richtshof hatte über die Unterhaltsklage eines Scheinvaters gegen den mutmaßlichen Erzeuger, dessen Vaterschaft bisher nicht festgestellt worden ist, zu entscheiden.

Sachverhalt

In einem voraus­ge­gangenen Vater­schafts­an­fech­tungs­ver­fahren hatte das Familiengericht 2003 rechtskräftig festgestellt, dass der Kläger nicht der Vater der drei Kinder ist, die die Kindesmutter während der 1989 mit ihm geschlossenen Ehe 1992, 1994 und 1995 geboren hatte. Die Ehe wurde 2004 geschieden.

Scheinvater nimmt mutmaßlichen Vater auf "Schein­va­ter­regress" in Anspruch

Der Kläger ist überzeugt, dass der Beklagte, der inzwischen mit der Mutter und den drei Kindern zusammenlebt, diese Kinder gezeugt hat. Wegen des den Kindern jahrelang (aufgrund der rückwirkenden Vater­schafts­an­fechtung ohne Rechtsgrund) geleisteten Unterhalts macht er den gemäß § 1607 Abs. 3 BGB auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch der Kinder gegen deren biologischen Vater geltend (sog. Schein­va­ter­regress).

Der Beklagte hat die Vaterschaft nicht anerkannt und lehnt es ab, ein Vater­schafts­fest­stel­lungs­ver­fahren einzuleiten; hierzu ist auch die allein sorge­be­rechtigte Mutter weder im eigenen Namen noch als gesetzliche Vertreterin der Kinder bereit. Der Kläger selbst kann eine solche Vater­schafts­fest­stel­lungsklage nicht erheben, § 1600 e Abs. 1 BGB.

Beide Vorinstanzen haben der Klage den Erfolg versagt, weil § 1600 d Abs. 4 BGB bestimmt, dass die Rechtswirkungen der Vaterschaft erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden können, und haben sich insoweit auf ein Senatsurteil aus dem Jahre 1993 berufen, demzufolge eine Inzident­fest­stellung der Vaterschaft im Rahmen eines Prozesses über den Scheinvaterregress grundsätzlich unzulässig ist.

BGH ändert Rechtsprechung und erlaubt fortan Inzident­fest­stellung der Vaterschaft in Ausnahmefällen

An dieser Entscheidung hält der Senat nicht mehr uneingeschränkt fest und lässt eine Inzident­fest­stellung der Vaterschaft nunmehr in Ausnahmefällen wie dem vorliegenden zu, weil sich die gesetzlichen Rahmen­be­din­gungen inzwischen in entscheidenden Punkten geändert haben und der Scheinvater andernfalls trotz bestehenden gesetzlichen Anspruchs rechtlos gestellt wäre:

Bis zum 30. Juni 1998 konnte die allein­sor­ge­be­rechtigte Mutter ihr nichteheliches Kind nicht vertreten, soweit es um die Feststellung der Vaterschaft ging; insoweit stand die gesetzliche Vertretung dem Jugendamt zu, das in aller Regel ein solches Verfahren im Interesse des Kindes einleitete.

Diese Amtspflegschaft ist durch das am 1. Juli 1998 in Kraft getretene Beistand­schafts­gesetz in dem Bestreben abgeschafft worden, die Eigen­ver­ant­wortung der nichtehelichen Mutter zu stärken. Nach der Neuregelung des § 1629 Abs. 2 Satz 3 BGB kann ihr die Vertretung des Kindes selbst dann nicht durch das Familiengericht entzogen werden, wenn die Nichterhebung der Vater­schafts­fest­stel­lungsklage dem Interesse des Kindes zuwiderläuft.

Scheinvater darf nicht der Willkür der Kindesmutter und des wahren Erzeugers ausliefert sein

Dies würde den Scheinvater faktisch der Willkür der Kindesmutter und des wahren Erzeugers ausliefern und ihn rechtlos stellen, wenn die Rechts­aus­übungs­sperre des § 1600 d Abs. 4 BGB weiterhin uneingeschränkt zu beachten wäre.

Der Senat hat das Berufungsurteil deshalb auf die Revision des Klägers aufgehoben und die Sache zur Klärung der Vaterschaft des Beklagten an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Quelle: ra-online, BGH (pm)

der Leitsatz

BGB §§ 1607 Abs. 3 Satz 2, 1600d Abs. 4, 1600e Abs. 1, 1629 Abs. 2 Satz 3, 1712 Abs. 1 Nr. 1

a) Die Rechts­aus­übungs­sperre des § 1600 d Abs. 4 BGB kann im Regressprozess des Scheinvaters gegen den mutmaßlichen Erzeuger des Kindes in besonders gelagerten Einzelfällen mit der Folge durchbrochen werden, dass die Vaterschaft des Beklagten inzident festgestellt werden kann.

b) Nach Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft für nichteheliche Kinder zum 1. Juli 1998 kommt dies in Betracht, wenn der Kläger andernfalls rechtlos gestellt wäre, weil weder die Kindesmutter noch der mutmaßliche Erzeuger bereit sind, dessen Vaterschaft gerichtlich feststellen zu lassen (Abgrenzung zu Senatsurteil BGHZ 121, 299).

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