15.11.2024
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Dokument-Nr. 24644

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Urteil14.05.2002BundesgerichtshofXI ZR 50/01
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • DB 2002, 774Zeitschrift: Der Betrieb (DB), Jahrgang: 2002, Seite: 774
  • DNotZ 2002, 863Deutsche Notar-Zeitschrift (DNotZ), Jahrgang: 2002, Seite: 863
  • FamRZ 2002, 1550Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2002, Seite: 1550
  • MDR 2002, 1018Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2002, Seite: 1018
  • NJ 2002, 596Zeitschrift: Neue Justiz (NJ), Jahrgang: 2002, Seite: 596
  • NJW 2002, 2228Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2002, Seite: 2228
  • ZIP 2002, 1187Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP), Jahrgang: 2002, Seite: 1187
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Vorinstanz:
  • Oberlandesgericht Dresden, Urteil21.12.2000
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil14.05.2002

BGH: Sittenwidrige Bürgschafts­übernahme durch Ehegatten bei krasser finanzieller Überforderung, Übernahme allein aus emotionaler Verbundenheit und Ausnutzung der emotionalen Verbundenheit durch BankInteresse der Bank am Schutz vor Vermögens­verschiebungen zwischen Ehegatten unerheblich

Eine Bürgschafts­übernahme durch einen Ehegatten ist nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn der Ehegatte dadurch finanziell krass überfordert wird, die Übernahme allein aus der emotionalen Verbundenheit zum anderen Ehegatten erfolgte und der Kreditgeber die emotionale Verbundenheit ausnutzte. Das Interesse des Kreditgebers am Schutz von Vermögens­verschiebungen zwischen den Ehegatten ändert an der Sitten­wid­rigkeit nichts. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Zur Absicherung eines Kredits in Höhe von 200.000 DM für den Ehemann übernahm die Ehefrau im April 1994 eine selbst­schuld­ne­rische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 100.000 DM. Nachfolgend wurde die Ehefrau von der kreditgebenden Sparkasse in Anspruch genommen. Diese wehrte sich dagegen mit der Begründung, dass der Bürgschafts­vertrag sittenwidrig und damit unwirksam sei. Als teilzeit­be­schäftigte Lehrerin und Mutter eines siebenjährigen Sohnes habe sie zum Zeitpunkt der Bürgschafts­übernahme 1.470 DM netto verdient. Zwar gehöre ihr zudem ein Mehrfa­mi­li­enhaus und erziele daraus Mieteinnahmen in Höhe von 1.232,50 DM. Jedoch sei das Haus mit einer Hypothek in Höhe von 300.000 DM belastet und die monatliche Rate für das Hypothe­ken­da­rlehen habe 2.134 DM betragen. Die Sparkasse hielt dies für unbeachtlich und erhob Klage.

Landgericht und Oberlan­des­gericht gaben Klage statt

Sowohl das Landgericht Leipzig als auch das Oberlan­des­gericht Dresden gaben der Klage statt. Nach Ansicht des Oberlan­des­ge­richts habe der Bürgschafts­vertrag nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Eine krasse finanzielle Überforderung bei Abgabe der Bürgschafts­er­klärung lasse sich nicht feststellen. Zudem habe das Interesse der Klägerin, sich vor Vermö­gens­ver­schie­bungen zwischen Eheleuten schützen zu wollen, die Bürgschaft gerechtfertigt. Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Revision ein.

Bundes­ge­richtshof bejaht Sitten­wid­rigkeit des Bürgschafts­vertrags

Der Bundes­ge­richtshof entschied zu Gunsten der Beklagten und hob daher die Entscheidung der Vorinstanz auf. Der Bürgschafts­vertrag verstoße gegen die guten Sitten und sei daher gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Sittenwidrigkeit von zwischen Kredi­t­in­stituten und privaten Siche­rungs­gebern geschlossenen Bürgschafts­ver­trägen hänge regelmäßig entscheidend vom Grad des Missver­hält­nisses zwischen dem Verpflich­tungs­umfang und der finanziellen Leistungs­fä­higkeit des dem Hauptschuldner persönlich nahestehenden Bürgen ab. Zwar reiche selbst der Umstand, dass der Betroffene voraussichtlich nicht einmal die von den Darle­hens­ver­trags­parteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens oder Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls dauerhaft tragen könne, regelmäßig nicht aus, um das Unwerturteil der Sitten­wid­rigkeit zu begründen. In einem solchen Fall krasser finanzieller Überforderung sei aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerlegbar zu vermuten, dass die ruinöse Bürgschaft allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt habe.

Ruinöse Bürgschafts­übernahme aus emotionaler Verbundenheit mit Ehemann

Nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs sei die Beklagte ersichtlich nicht in der Lage gewesen, die vereinbarten Zinsen aus eigenem pfändbaren Einkommen oder Vermögen dauerhaft allein tragen zu können. Es spreche daher eine von der Klägerin zu widerlegende Vermutung dafür, dass die Beklagte die Bürgschaft aus emotionaler Verbundenheit mit ihrem Ehemann übernommen habe.

Sitten­wid­rigkeit trotz Interesses der Bank am Schutz vor Vermö­gens­ver­schie­bungen zwischen Ehegatten

An der Sitten­wid­rigkeit einer den bürgenden Ehegatten finanziell krass überfordernden Bürgschaft ändere nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs nichts, das Interesse des Kreditgebers, sich vor Vermö­gens­ver­schie­bungen zwischen Eheleuten zu schützen. Allein das Ziel, etwaigen Vermö­gens­ver­schie­bungen vorzubeugen, rechtfertige ein wirtschaftlich sinnloses Mithaf­tungs­be­gehren des Kreditgebers grundsätzlich nicht. Zudem sei eine Klage gegen einen krass finanziell überforderten bürgenden Ehegatten abzuweisen, wenn eine Vermö­gens­ver­schiebung nicht stattgefunden habe. Ohne besondere, vom Kreditgeber darzulegende und notfalls zu beweisende Anhaltspunkte könne grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass eine krass überfordernde Bürgschaft inhaltlich von vornherein nur eine erhebliche Vermö­gens­ver­la­gerung zwischen Hauptschuldner und dessen Ehegatte habe verhindern sollen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

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