24.11.2024
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Dokument-Nr. 4421

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Bundesgerichtshof Urteil12.06.2007

BGH zur Haftung eines Reise­ver­an­stalters wegen Unfall in Ferienclub trotz Versäumung der AusschlussfristReisende schuldlos an Fristversäumnis

Der Bundes­ge­richtshof (BGH) hatte über einen Fall der Schaden­s­er­satz­pflicht eines Reise­ver­an­stalters für einen Unfall zu entscheiden, bei dem die Reisende die einmonatige Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 BGB versäumt hatte. Er hat den Reise­ver­an­stalter grundsätzlich zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet, obwohl die Reisende ihre Ansprüche nicht binnen der Ein-Monats-Frist nach Reiseende geltend gemacht hatte. Der BGH war der Ansicht, dass die Klägerin die Frist ohne Verschulden verstreichen ließ.

Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen eines Unfalls, der ihr während eines bei dem beklagten Reise­ver­an­stalter gebuchten Urlaubs in einem Ferienclub zustieß. Sie besuchte eine Anima­ti­o­ns­ver­an­staltung, bei der die Animateurin im Rahmen eines Wetten-dass-Spiels einem Kind die Wette anbot: "Wetten, dass es deiner Mama nicht gelingt, in zwei Minuten 60 verschiedene Schuhe einzusammeln?" Daraufhin begannen die Zuschauer, Schuhe auf die Bühne zu werfen. Dabei traf ein Schuh mit hohem, spitzem Absatz die in der ersten Reihe sitzenden Klägerin am Hinterkopf. Nach ihrer alsbaldigen Rückkehr von der Reise diagnostizierte ihr Hausarzt eine Gehir­n­er­schüt­terung. Zwei Wochen nach dem Unfall hatte die Klägerin keine Beschwerden mehr. Einige Monate später traten bei ihr Kopfschmer­z­at­tacken und Sprach- und Koordi­na­ti­o­ns­s­tö­rungen auf. Im Krankenhaus wurde aufgrund eines Elektro­en­ze­pha­lo­gramms ein Herdbefund festgestellt. Daraufhin meldete die Klägerin bei der Beklagten Schaden­s­er­satz­ansprüche an. Sie trägt vor, sie habe bei dem Vorfall im Ferienclub ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten, das ein symptomatisches fokales Anfallsleiden ausgelöst habe, und es sei noch nicht abzusehen, ob ihr Leiden ausheilen oder aber sich zu einer bleibenden Epilepsie entwickeln werde.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat ihr stattgegeben. Der Bundes­ge­richtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungs­gericht zurückverwiesen.

Der Bundes­ge­richtshof hat die vertragliche Haftung des Reise­ver­an­stalters dem rechtlichen Ansatz nach bejaht (§ 651 f BGB). Der Unfall stellte zumindest deshalb einen Reisemangel dar, weil nach der vom Bundes­ge­richtshof als Revisi­ons­gericht nur beschränkt überprüfbaren Feststellung des Berufungs­ge­richts die Gefahr des Schuhewerfens und die damit verbundene Verlet­zungs­gefahr nicht fern lagen und die als Erfül­lungs­ge­hilfin des Reise­ver­an­stalters zu behandelnde Animateurin diese Gefahr hätte vorhersehen und durch ein Verbot des Schuhewerfens hätte abwenden können.

Einen Ausschluss des Ausspruchs wegen Fristversäumung nach § 651 g Abs. 1 BGB hat der Bundes­ge­richtshof verneint, weil die Klägerin an der Fristversäumung kein Verschulden traf. Denn der Reise­ver­an­stalter hatte sie nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, auf die Ausschlussfrist hingewiesen. Zum Verstoß des Reise­ver­an­stalters gegen seine Hinweispflicht und zu der daraus folgenden Vermutung eines fehlenden Verschuldens des Reisenden hat der Bundes­ge­richtshof nähere Ausführungen gemacht. Er hat ein Verschulden der Klägerin auch deshalb abgelehnt, weil diese, solange sie an eine harmlose Gehir­n­er­schüt­terung glauben konnte, auf die Anmeldung von Ansprüchen verzichten durfte.

Der Rechtsstreit war an das Berufungs­gericht zurück­zu­ver­weisen, weil dieses noch keine tragfähigen Feststellungen zu der streitigen Frage getroffen hat, ob der Unfall für das von der Klägerin geltend gemachte fokale Anfallsleiden kausal war.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 82/07 des BGH vom 20.06.2007

der Leitsatz

BGB §§ 651c, 651f, 651g Abs. 1; BGB-InfoV § 6 Abs. 2 Nr. 8, Abs. 4 Satz 1

a) Die Beein­träch­tigung, die ein Reisender durch eine Verletzung der Verkehrs­si­che­rungs­pflicht des Reise­ver­an­stalters erleidet, kann einen Reisemangel darstellen.

b) Eine § 6 Abs. 4 Satz 1 BGB-InfoV genügende Verweisung des Reise­ver­an­stalters auf Prospektangaben über die Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 BGB muss zumindest einen Hinweis auf die Existenz von Ausschluss­fristen und auf deren Fundstelle im Prospekt enthalten.

c) Der Ersatz von Angaben über die Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 BGB in der Reise­be­stä­tigung durch Verweisung auf den Prospekt setzt zumindest bei einer Buchung im Reisebüro voraus, dass der Reise­ver­an­stalter dem Reisenden den Prospekt ausgehändigt hat.

d) Wenn der Reise­ver­an­stalter seine Pflicht zum Hinweis auf die Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 BGB nicht erfüllt hat, besteht eine widerlegliche Ver-mutung dafür, dass die Fristversäumung des Reisenden entschuldigt ist.

e) Die Versäumung der Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 BGB ist entschuldigt, soweit der Reisende gesundheitliche Spätschäden geltend macht, die für ihn persönlich bis zum Fristablauf nicht vorhersehbar waren.

f) Ein Reisender, der die Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 BGB mangels Kenntnis seiner Ansprüche unverschuldet versäumt hat, braucht nach Kennt­ni­ser­langung die Anspruchs­an­meldung nur dann unverzüglich nachzuholen, wenn der Reise­ver­an­stalter ihn bei Vertragsschluss auf die Ausschlussfrist hingewiesen oder wenn er sie anderweitig in Erfahrung gebracht hatte (Fortführung von BGH, Urt. v. 22.06.2004 - X ZR 171/03). Dafür trägt der Reise­ver­an­stalter die Darlegungs- und Beweislast.

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