21.11.2024
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Dokument-Nr. 31006

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Urteil29.10.2021BundesgerichtshofVIII ZR 111/20
Vorinstanzen:
  • Landgericht Köln, Urteil08.01.2019, 19 O 191/17
  • Oberlandesgericht Köln, Urteil27.03.2020, 6 U 16/19
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Bundesgerichtshof Urteil29.10.2021

Abgasskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht ohne weiteres möglichKein Anspruch auf sofortigen Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung

Der Bundes­ge­richtshof hat sich in einer nunmehr veröf­fent­lichten Entscheidung damit beschäftigt, ob der Käufer eines aufgrund einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung mangelhaften Neufahrzeugs vom Kaufvertrag zurücktreten kann, ohne dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangel­be­sei­tigung (hier: durch ein Software-Update) zu geben.

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug Škoda Yeti, dessen Motor­steu­e­rungs­software den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von der Volkswagen AG entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update, das hinsichtlich des Stick­o­xid­ausstoßes einen vorschrifts­mäßigen Zustand herstellen sollte. Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

OLG: Fristsetzung zur Nacherfüllung hier entbehrlich

Die Vorinstanzen haben der auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten Klage weitgehend stattgegeben. Nach Ansicht des Berufungs­ge­richts scheitere der vom Kläger erklärte Rücktritt auch nicht an der unterbliebenen Fristsetzung zur Nacherfüllung, da diese vorliegend nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB und § 440 BGB entbehrlich gewesen sei. Dem Kläger sei eine Nachbesserung unzumutbar, weil er nicht gehalten sei, mit der Durchführung des Software-Updates die Beseitigung des Mangels letztlich der Herstellerin zu überlassen, auf deren arglistiges Verhalten das Bestehen des Mangels zurückzuführen sei. Außerdem könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Update keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug oder den Fahrbetrieb entfalte, denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung hätte die Herstellerin nicht ohne Not zu "illegalen Mitteln" gegriffen, wenn der mit der Prüfstan­der­kennung bezweckte Effekt so einfach und ohne anderweitige Nachteile zu erreichen gewesen wäre. Den Wert des bei Rückabwicklung des Kaufvertrags vom Kläger für die Nutzung des Fahrzeugs gemäß § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zu leistenden Ersatzes haben beide Instanzen im Wege der Schätzung ausgehend von einer zu erwartenden Gesamt­fahr­leistung von 250.000 Kilometern bestimmt. Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision will der Kläger zu seinen Gunsten demgegenüber den Ansatz eine Gesamt­fahr­leistung von 400.000 Kilometern erreichen, während die Beklagte mit ihrer ebenfalls zugelassenen Revision die Abweisung der Klage insgesamt begehrt.

BGH: Frist zur Nacherfüllung auch im Abgasskandal nicht ohne weiteres entbehrlich

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktritts­rechts vom Käufer einzuräumende Frist zur Nacherfüllung nicht allein deshalb entbehrlich ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung in Verkehr gebracht worden ist oder der (bloße) Verdacht besteht, dass ein zur Mangel­be­sei­tigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könnte. In einer solchen Fallgestaltung bedarf es vielmehr zunächst weitergehender Prüfung und (sachver­ständiger) Feststellungen durch das Tatgericht. Ein Rücktritt nach § 437 Nr. 2, § 323 Abs. 1 BGB setzt neben dem Vorliegen eines Sachmangels im Sinne des § 434 BGB grundsätzlich weiter voraus, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) gesetzt hat. Diese Fristsetzung ist jedoch entbehrlich, wenn dem Käufer - wofür dieser allerdings darlegungs- und beweisbelastet ist - eine Nacherfüllung unzumutbar wäre (§ 440 Satz 1 Alt. 3 BGB) oder besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dies bejaht die höchst­rich­terliche Rechtsprechung unter anderem dann, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch regelmäßig die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrau­ens­grundlage entfällt.

Störung der Vertrau­ens­grundlage zwischen Käufer und Verkäufer im Einzelfall zu prüfen

Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch - was das Berufungs­gericht vorliegend nicht hinreichend beachtet hat - nicht ohne weiteres auf Fallge­stal­tungen wie die vorliegende übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel - der unzulässigen Abschalt­ein­richtung - in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertrags­ab­schluss aber nicht bekannt war. Zwar kann die Vertrau­ens­grundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertrags­ab­schluss ordnungsgemäß verhalten hat, aber eine Nachbesserung allein in Form eines von eben diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Ob eine solche Störung vorliegt, hängt jedoch stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht allein schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich der Verkäufer, dem vom Gesetz grundsätzlich ein Recht zur zweiten Andienung eingeräumt wird, nach der Rechtsprechung des Senats ein arglistiges Vorgehen des Herstellers gerade nicht zurechnen lassen muss. Weiterhin wird in Betracht zu ziehen sein, ob vor dem Hintergrund der erforderlichen Prüfung und Freigabe des Updates durch die zuständige Behörde und der Beobachtung der weiteren Entwicklung durch die (Fach-)Öffentlichkeit ein erneutes arglistiges Verhalten des Herstellers nicht fraglich sein könnte. Denn wäre - was die Tatgerichte im Einzelnen zu prüfen haben - ein weiteres arglistiges Verhalten des Herstellers aus objektiver Sicht auszuschließen, ließe sich auch eine auf dessen früheres arglistiges Vorgehen gestützte Unzumutbarkeit der Nacherfüllung nicht begründen.

Behauptete Folgeschäden durch Software-Update kein Grund für sofortigen Rücktritt

Ebenso wenig ist vorliegend ein sofortiger Rücktritt bereits deshalb gerechtfertigt, weil - wie das Berufungs­gericht gemeint hat - nach der allgemeinen Lebenserfahrung das vom Verkäufer angebotene Software-Update mit dem Verdacht oder gar einer tatsächlichen Vermutung negativer Folgen für das Fahrzeug und dessen Betrieb (höherer Verbrauch, kürzere Lebensdauer des Fahrzeugs, erhöhter Verschleiß, verminderte Leistung, schlechtere Emissionen) behaftet wäre. Vielmehr ist zunächst durch entsprechende Feststellungen und vorliegend durch das vom Kläger diesbezüglich angebotene Sachver­stän­di­gen­gut­achten zu klären, ob und in welchem Umfang das vom Verkäufer angebotene Software-Update tatsächlich zu den vom Käufer behaupteten Folgeschäden führt. Nach alledem hat der Senat das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben, soweit darin zu deren Nachteil erkannt worden ist, und es an das Berufungs­gericht zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen nunmehr nachgeholt werden können.

Revision des Klägers erfolglos

Die Revision des Klägers, mit welcher dieser die Bemessung des bei einer Rückabwicklung des Kaufvertrages in Abzug zu bringenden Nutzungs­er­satzes als überhöht angreift, hat der Senat hingegen zurückgewiesen. Die Instanzgerichte haben ihrer Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO analog) insoweit im Einklang mit der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung die zeitanteilige lineare Wertminderung zugrunde gelegt, die bei Neufahrzeugen ausgehend vom Bruttokaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraus­sicht­licher Gesamt­nut­zungsdauer (erwartete Gesamt­lauf­leistung) zu bestimmen ist. Für die zu erwartende Gesamt­lauf­leistung ist dabei die Lebensdauer des gesamten Fahrzeugs maßgebend, die unter Berück­sich­tigung von der Motorisierung, der Qualität und der Preisklasse des Fahrzeugs zu beurteilen ist.

Schätzwerte für zu erwartende Gesamt­lauf­leistung nicht zu beanstanden

Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sich die Vorinstanzen an den in der Gerichtspraxis anzutreffenden Schätzwerten bei Mittel­klas­sewagen neueren Datums orientiert und für das Fahrzeug eine zu erwartende Gesamt­lauf­leistung von 250.000 Kilometern angesetzt haben. Die demgegenüber unter Sachver­stän­di­gen­beweis gestellte Behauptung des Klägers, das erworbene Fahrzeug habe eine voraus­sichtliche Laufleistung von 400.000 Kilometern, ist unbeachtlich. Denn der Kläger hat vorliegend nicht aufgezeigt, dass ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten eine tragfähigere Schätzgrundlage als die seit vielen Jahren veröf­fent­lichten Schätzwerte der Tatgerichte böte.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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