18.10.2024
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Dokument-Nr. 7165

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Urteil18.12.2008BundesgerichtshofVII ZR 201/06
Vorinstanzen:
  • Landgericht Erfurt, Urteil23.08.2008, 3 O 1867/02
  • Thüringer Oberlandesgericht Jena, Urteil19.09.2006, 5 U 899/05
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Bundesgerichtshof Urteil18.12.2008

BGH zu spekulativ überhöhtem Einheitspreis im Bauvertrag800-facher Preis verstößt gegen gute Sitten

Der Bundes­ge­richtshof hatte darüber zu entscheiden, welche Rechtsfolgen die Vereinbarung eines spekulativ überhöhten Einheitspreises einer Position eines Bauvertrages hat, wenn sich gerade in dieser Position Mengenmehrungen realisieren.

Das klagende Bauunternehmen verlangt vom öffentlichen Auftraggeber Mehrvergütung wegen Mengen­über­schrei­tungen in zwei Positionen des Leistungs­ver­zeich­nisses der Beklagten, die die Lieferung von Betonstahl und Beton­stahl­matten betreffen. Die Mehrmengen von insgesamt ca. 1.400 kg hatten sich herausgestellt, nachdem der Auftraggeber für einen bestimmten Baubereich eine bislang fehlende Statik nachgeliefert hatte. Die Klägerin berechnet ihre Mehrvergütung nach § 2 Nr. 3 bzw. 5 VOB/B unter Heranziehung des von ihr im Leistungs­ver­zeichnis eingesetzten Einheitspreises mit 2.045,14 DM/kg. Dieser Preis liegt um mehr als das 800fache über dem allgemein üblichen Durch­schnittspreis von 2,47 DM/kg. Andere Bieter hatten die Positionen zwischen 1,05 DM/kg und 5,93 DM/kg angeboten.

Das Landgericht hat die Klage in diesem Punkt abgewiesen, das Oberlan­des­gericht hat ihr teilweise stattgegeben. Die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten führte zur Aufhebung des Berufungs­urteils und Zurück­ver­weisung der Sache an das Oberlan­des­gericht.

Der Bundes­ge­richtshof sieht berechtigten Anlass zu der Prüfung, ob die auf die Vergütung der Mehrmengen gerichtete Preis­ver­ein­barung gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) verstößt.

Eine Vereinbarung zwischen Bauver­trags­parteien, nach der dem Auftragnehmer für diejenigen Mengen einer Position, die über die im Leistungs­ver­zeichnis geschätzten Mengen hinausgehen, ein Einheitspreis gezahlt wird, der den üblichen Preis um mehr als das Achthun­dertfache übersteigt, verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn der Preisbildung ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben zugrunde liegt. Dafür besteht bei einem derart auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung eine Vermutung, die der Auftragnehmer widerlegen kann. Sie wird allerdings nicht allein dadurch ausgeräumt, dass im Baugewerbe üblicherweise so genannte Speku­la­ti­o­ns­preise eingesetzt werden, wenn für den Auftragnehmer die Erwartung besteht, dass die in der Ausschreibung geschätzten Mengen in Wahrheit deutlich höher sind.

Da der Klägerin Gelegenheit gegeben werden muss, die Vermutung ihrer verwerflichen Gesinnung zu widerlegen, hat der Bundes­ge­richtshof die Sache an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen. Gleichzeitig hat er das Berufungsurteil auf die Anschluss­re­vision der Klägerin aufgehoben, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Dessen Begründung zur Klageabweisung, der Preis müsse auf das Zweihun­dertfache des üblichen Preises angepasst werden, findet im Gesetz keine Stütze.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 236/08 des BGH vom 18.12.2008

der Leitsatz

BGB §§ 138 Abs. 1, 632 Abs. 2; VOB/B §§ 2 Nr. 3 Abs. 2, 2 Nr. 5

a) Steht der nach § 2 Nr. 3 Abs. 2 oder § 2 Nr. 5 VOB/B neu zu vereinbarende Einheitspreis für Mehrmengen in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Bauleistung, kann die dieser Preisbildung zugrunde liegende Vereinbarung sittenwidrig und damit nichtig sein.

b) Ist der nach § 2 Nr. 3 Abs. 2 oder § 2 Nr. 5 VOB/B zu vereinbarende Einheitspreis für Mehrmengen um mehr als das Achthun­dertfache überhöht, weil der Auftragnehmer in der betreffenden Position des Leistungs­ver­zeich­nisses einen ähnlich überhöhten Einheitspreis für die ausgeschriebene Menge angeboten hat, besteht eine Vermutung für ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers.

c) Diese Vermutung wird nicht dadurch entkräftet, dass der Auftragnehmer in anderen Positionen unüblich niedrige Einheitspreise eingesetzt hat. Ein derartig spekulatives Verhalten des Auftragnehmers ist nicht schützenswert.

d) An die Stelle der nichtigen Vereinbarung über die Bildung eines neuen Preises auf der Grundlage des überhöhten Einheitspreises tritt die Vereinbarung, die Mehrmengen nach dem üblichen Preis zu vergüten.

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