In dem zu Grunde liegenden Fall stürzte eine Frau an einem Abend im Februar 1979 auf einer leicht abschüssigen, mit Kopfsteinpflaster versehenen Hofausfahrt eines Betriebsgrundstücks. Am späten Nachmittag des Unfalltags fiel ein leichter Sprühregen, der etwa bis 20.45 Uhr andauerte und auf dem unterkühltem Boden zur Bildung von Glatteis führte. Aufgrund der städtischen Straßenreinigungssatzung war der Betrieb verpflichtet in der Zeit von 7 bis 20 Uhr zu streuen. Die Frau behauptete vor 20 Uhr gestürzt zu sein und klagte auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Das Landgericht gab der Klage überwiegend statt. Das Oberlandesgericht wies die Klage auf Berufung des Betriebes ab. Eine Haftung sei nicht in Betracht gekommen, da die Beweisaufnahme gezeigt habe, dass der Unfall erst gegen 21 Uhr stattgefunden habe. Da der Niederschlag zudem erst nach 20 Uhr endete, habe die Möglichkeit bestanden, dass sich auch bei ordnungsgemäßem Streuen bis 20 Uhr zum Zeitpunkt des Unfalls wieder Glatteis gebildet hätte. Gegen das Berufungsurteil legte die Klägerin Revision ein.
Der Bundesgerichtshof entschied gegen die Klägerin. Zwar habe der beklagte Betrieb gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstoßen, als er es unterließ bis 20 Uhr die Hofausfahrt mit abstumpfenden Mitteln zu bestreuen. Die Klägerin habe aber nicht beweisen können, dass dies ursächlich für ihren Sturz war.
Grundsätzlich müsse derjenige, der durch den Verstoß gegen ein Schutzgesetz verletzt zu sein behauptet, beweisen, dass zwischen dem Verstoß und dem Unfall ein kausaler Zusammenhang besteht (vgl. BGH, Urt. v. 28.05.1957 - VI ZR 272/56 = VersR 1957, 529). Diese Beweislast könne dem Geschädigten nicht abgenommen werden.
Einem Geschädigten könne jedoch unter bestimmten Voraussetzungen eine Beweiserleichterung in Form eines Anscheinsbeweises zugebilligt werden, so der Bundesgerichtshof weiter. Dies bedeute, dass das Schadensereignis nach allgemeiner Lebenserfahrung eine typische Folge des Pflichtverstoßes ist. Bei Glatteisunfällen seien die Regeln über den Anscheinsbewies dann anwendbar, wenn der Geschädigte innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht gestürzt ist (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.1965 - III ZR 32/65). In diesem Fall spreche der erste Anschein für die Vermutung, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht nicht zu der Verletzung gekommen wäre.
Komme es hingegen, wie hier, erst nach dem Ende der Streupflicht zum Sturz, so seien die Regeln zum Anscheinsbeweis nach Auffassung der Bundesrichter nicht anwendbar. Ein solcher Sachverhalt entspreche nämlich nicht mehr dem typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweise.
Der Bundesgerichtshof führte weiter aus, dass ein Verletzter aber auch dann Schadenersatz zugesprochen werden könne, wenn der Sturz längere Zeit nach dem Ende der Streupflicht eingetreten ist (vgl. BGH, Urt. v. 15.02.1979 - III ZR 172/77 = VersR 1979, 541). Denn von den Schutzwirkungen einer zeitlich begrenzten Streupflicht seien auch diese Unfälle erfasst. Dies setze jedoch voraus, dass der Geschädigte beweise, dass ein Streuen vor dem Ende der Streupflicht dazu geführt hätte, dass sich der Unfall nicht oder nicht in der Weise ereignet hätte. Dies sei der Klägerin aber nicht gelungen. Sie habe nicht nachweisen können, dass durch ein pflichtgemäßes Handeln der Schaden mit Sicherheit verhindert worden wäre. Eine bloße Möglichkeit genüge nicht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.03.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)