18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 24243

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Urteil12.03.1996BundesgerichtshofVI ZR 12/95
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BGHZ 132, 164Sammlung: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ), Band: 132, Seite: 164
  • JuS 1996, 845Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 1996, Seite: 845
  • JZ 1996, 1178Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 1996, Seite: 1178
  • MDR 1996, 586Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 1996, Seite: 586
  • NJW 1996, 1533Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1996, Seite: 1533
  • NVwZ 1996, 726Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 1996, Seite: 726
  • VersR 1996, 715Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 1996, Seite: 715
  • zfs 1996, 245Zeitschrift für Schadenrecht (zfs), Jahrgang: 1996, Seite: 245
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Vorinstanzen:
  • Landgericht Oldenburg, Urteil10.06.1994, 6 O 3024/93
  • Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil09.12.1994, 6 U 153/94
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil12.03.1996

BGH zu einem "Heraus­forderungs­fall": Polizeibeamter erhält vom Flüchtigen Schadensersatz aufgrund erlittener Verletzungen bei der VerfolgungVerfolgtem wird selbst­ge­fährdende Handlung des Verfolgers zugerechnet

Flieht ein Häftling aus einem im ersten Obergeschoss liegenden Fensters und wird er dabei von einem Polizeibeamten verfolgt, so haftet er gemäß § 823 Abs. 1 BGB für die Verletzungen, die der Polizeibeamte aufgrund des Sprungs aus dem Fenster erleidet. Die selbst­ge­fährdende Handlung des Polizeibeamten wird dem Flüchtigen zugerechnet. Es liegt ein sogenannter Heraus­forderungs­fall vor. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im August 1990 floh ein Häftling anlässlich eines Gerichtstermins aus dem etwa über vier Meter über dem Erdboden gelegenen Fenster im 1. Obergeschoss des Gerichts­ge­bäudes. Die anwesenden zwei Polizeibeamten nahmen sofort die Verfolgung auf. Während der eine die Treppe nahm, sprang der andere aus dem Fenster, um sofort die Verfolgung aufnehmen zu können. Der Polizeibeamte erlitt in Folge des Sprungs erhebliche Verletzungen an den Beinen. Er war deshalb etwa sechs Monate lang stationär in Behandlung und war insgesamt rund 1 ½ Jahre dienstunfähig. Das Land verklagte aus übergangenem Recht des Polizeibeamten anschließend den Häftling auf Zahlung von Schadensersatz. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlan­des­gericht Oldenburg gaben der Klage statt. Dagegen richtete sich die Revision des beklagten Häftlings.

Anspruch auf Schadensersatz

Der Bundes­ge­richtshof entschied zum Teil zu Gunsten des Häftlings und hob dementsprechend die Entscheidung der Vorinstanz auf. Dem Land stehe zwar der Schaden­s­er­satz­an­spruch nach § 823 Abs. 1 BGB zu.

Zurechnung des selbst­ge­fähr­denden Verhaltens des Verfolgers

Fordert jemand durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbst­ge­fähr­denden Verhalten heraus, so der Bundes­ge­richtshof, sei er dem anderen gegenüber zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden sei, wenn der Willen­s­ent­schluss des anderen auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruhe. Dies sei etwa dann zu bejahen, wenn sich jemand der Festnahme durch Polizeibeamte oder anderer befugter Personen durch die Flucht zu entziehen versuche und diese Personen dadurch in vorwerfbarer Weise zu einer sie selbst­ge­fähr­denden Verfolgung herausgefordert habe, wobei sie dann infolge der gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben. Die Verfolger dürfen aber keine übersteigerte Reaktion eingehen. Zudem setze die Haftung voraus, dass der Fliehende damit rechnen müsse, verfolgt zu werden, und dass er voraussehen könne, sein Verfolger werde dabei möglicherweise zu Schaden kommen. Eine tatsächliche Wahrnehmung der Verfolgung sei nicht erforderlich. Die Voraussetzungen seien hier erfüllt.

Mitverschulden des Polizeibeamten

Nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs könne dem Polizeibeamten aber ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB angelastet werden. Denn er habe selbst bei der gebotenen Eile ohne weiteres erkennen und bei seiner Entscheidung berücksichtigen können, dass sich das Fenster in beträchtlicher Höhe über dem Erdboden befand und dass ein Sprung aus dem 1. Obergeschoss die Gefahr erheblicher Verletzungen begründet. Da das Oberlan­des­gericht diesbezüglich keine ausreichenden Feststellungen getroffen habe, sei das Verfahren zur Neuentscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückzuweisen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

der Leitsatz

1. Wer sich der polizeilichen Festnahme durch die Flucht entzieht, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden Körperschaden des Polizeibeamten, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck standen (Fortführung von BGHZ 63, 189 = VersR 75, 154).

2. Zum Mitverschulden des Verfolgers durch Selbst­ge­fährdung in solchen Fällen (hier: Sprung aus einem 4 m hoch gelegenen Fenster).

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