18.10.2024
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Dokument-Nr. 29213

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Bundesgerichtshof Urteil18.09.2020

BGH: Freiwillig zur unbegleiteten Probefahrt abgegebenen Autos ist nicht "abhan­den­ge­kommen"Fahrzeug vom späteren Käufer gutgläubig erworben

Der BGH hat entschieden, dass ein Fahrzeug, das einem vermeintlichen Kaufin­ter­es­senten für eine unbegleitete Probefahrt überlassen und von diesem nicht zurückgegeben wurde, von einem Dritten in gutem Glauben erworben werden kann.

Bei der Klägerin, die ein Autohaus betreibt, erschien ein vermeintlicher Kaufinteressent für ein als Vorführwagen genutztes Kraftfahrzeug (Mercedes-Benz V 220 d) im Wert von 52.900 Euro. Nachdem dieser hochpro­fes­si­onelle Fälschungen eines italienischen Perso­na­l­aus­weises, einer Melde­be­stä­tigung einer deutschen Stadt und eines italienischen Führerscheins vorgelegt hatte, wurden ihm für eine unbegleitete Probefahrt von einer Stunde auf der Grundlage eines "Fahrzeug-Benut­zungs­ver­trages" ein Fahrzeug­sch­lüssel, das mit einem roten Kennzeichen versehene Fahrzeug, das Fahrtenbuch und Fahrzeug­scheinheft sowie eine Kopie der Zulas­sungs­be­schei­nigung Teil I ausgehändigt. Der vermeintliche Kaufinteressent kehrte mit dem Fahrzeug nicht mehr zu dem Autohaus zurück. Kurze Zeit später wurde die Beklagte in einem Inter­net­ver­kauf­sportal auf das dort von einem Privatverkäufer angebotene Fahrzeug aufmerksam. Die Beklagte, die die vorgelegten Fahrzeu­g­un­terlagen nicht als gefälscht erkannte, schloss mit dem Verkäufer einen Kaufvertrag über das Fahrzeug. Ihr wurden nach Zahlung des Kaufpreises von 46.500 Euro das Fahrzeug, die Zulas­sungs­papiere, ein passender sowie ein weiterer – nicht dem Fahrzeug zuzuordnender – Schlüssel übergeben. Die Behörde lehnte eine Zulassung ab, da das Fahrzeug als gestohlen gemeldet war. Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Herausgabe des Fahrzeuges und des Origi­nal­sch­lüssels; die Beklagte verlangte im Wege der Widerklage u.a. die Herausgabe der Original-Zulas­sungs­papiere und des Zweitschlüssels. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Vor dem Oberlan­des­gericht hatte die Klage Erfolg; die Widerklage wurde abgewiesen.

BGH: Unbegleitete Probefahrt führt zu einem Besitzübergang auf den Kaufin­ter­es­senten

Der BGH hat das Urteil des Landgerichts im Wesentlichen wieder­her­ge­stellt. Nach Auffassung des BGH hat die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug verloren. Ein gutgläubiger Eigentumserwerb der Beklagten scheitere nicht an § 935 BGB, da das Fahrzeug der Klägerin nicht abhan­den­ge­kommen war. Ein Abhandenkommen im Sinne dieser Vorschrift setze einen unfreiwilligen Besitzverlust voraus. Daran fehle es. Eine Besitz­über­tragung sei nicht schon deshalb unfreiwillig, weil sie auf einer Täuschung beruhe. Die Überlassung eines Kraftfahrzeuges durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufin­ter­es­senten für eine gewisse Dauer – hier eine Stunde – führe auch nicht zu einer bloßen Besitzlockerung, sondern zu einem Besitzübergang auf den Kaufin­ter­es­senten. Dieser sei während der Probefahrt nicht lediglich Besitzdiener des Verkäufers, was nach § 855 BGB zur Folge hätte, dass nach wie vor der Verkäufer als Besitzer anzusehen wäre. Es fehle an dem dafür erforderlichen sozialen oder vergleichbaren Abhän­gig­keits­ver­hältnis zwischen dem Verkäufer und dem Kaufin­ter­es­senten. Dass Letzterer in Bezug auf das Fahrzeug Weisungen bzw. Vorgaben des Verkäufers unterworfen sei, ändere hieran nichts. Denn sie entsprängen dem Vertrags­an­bah­nungs­ver­hältnis und damit einem auf die Sache bezogenen Rechts­ver­hältnis i.S.d. § 868 BGB. Demgegenüber folge die Weisungs­un­ter­wor­fenheit eines Besitzdieners aus einem über den rechtlichen Bezug zur Sache hinausgehenden Verhältnis zum Besitzherrn. Ein solches Verhältnis bestehe zwischen dem Verkäufer eines Fahrzeugs und einem Kaufin­ter­es­senten nicht. Daher gehe mit der (freiwilligen) Überlassung des Fahrzeugs zur Probefahrt der Besitz auf den vermeintlichen Kaufin­ter­es­senten über.

Unbegleitete Probefahrt ermöglicht gutgläubigen Erwerb eines späteren Käufers

Die nicht erfolgte Rückgabe des Fahrzeugs an die Klägerin stelle somit kein Abhandenkommen i.S.d. § 935 BGB dar, sodass es von einem späteren Käufer gutgläubig erworben werden konnte. Folglich sei die Beklagte, da sie nach den revisi­ons­rechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungs­ge­richts bei dem Erwerb des Kraftfahrzeuges in gutem Glauben war, dessen Eigentümerin geworden und könne von der Klägerin die Herausgabe der Original-Zulas­sungs­papiere verlangen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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