18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen eine Häuserfassade mit einem Balkonkasten.

Dokument-Nr. 26824

Drucken
Urteil14.12.2018BundesgerichtshofV ZR 309/17
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Chemnitz, Urteil10.01.2017, 20 C 2065/16 WEG
  • Landgericht Dresden, Urteil03.11.2017, 2 S 92/17
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil14.12.2018

Fiskus haftet als gesetzlicher Alleinerbe eines Wohnungs­ei­gen­tümers für Wohngeld­schulden in einer Wohnungs­eigentümer­gemeinschaft nur mit NachlassWohngeld­schulden stellen in aller Regel nur Nach­lass­verbindlich­keiten dar

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass der Fiskus (die öffentliche Hand), der zum gesetzlichen Alleinerben eines Wohnungs­ei­gen­tümers berufen ist, für die nach dem Erbfall fällig werdenden oder durch Beschluss der Wohnungs­eigentümer­gemeinschaft begründeten Wohngeld­schulden in aller Regel nur mit dem Nachlass haftet.

Die Beklagte des zugrunde liegenden Verfahrens ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Das klagende Land ist gesetzlicher Alleinerbe eines im Juni 2006 verstorbenen Wohnungs­ei­gen­tümers (§ 1936 BGB). Bis Januar 2007 zog das Land die Mieten des seinerzeitigen Mieters der Wohnung ein und zahlte an die Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft Wohngeld für Januar bis März 2007. Ab Februar 2007 stand die Wohnung leer. Mit Schreiben vom 5. Juni 2007 teilte das Land der Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft mit, die Wohnung bis zur Veräußerung selbst zu verwalten. Auf seinen Antrag eröffnete das Insol­venz­gericht im Juli 2009 das Insol­venz­ver­fahren über den Nachlass des Erblassers. Der eingesetzte Insol­venz­ver­walter gab die Eigen­tums­wohnung im August 2009 aus der Insolvenzmasse frei. Das Insol­venz­ver­fahren wurde im Mai 2010 aufgehoben. Auf Antrag der Beklagten wurde die Wohnung im April 2011 zwangs­ver­steigert.

Unterdessen erwirkte die Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft gegen das Land drei Anerkennt­ni­s­urteile betreffend das Wohngeld für einen Zeitraum ab September 2009. Aus diesen Urteilen, in denen dem Land jeweils die beschränkte Erbenhaftung vorbehalten wurde, betreibt die Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft die Zwangs­voll­streckung. Mit der Klage (Vollstre­ckungs­ge­genklage) möchte das Land gestützt auf die sogenannte Dürftig­keitseinrede gemäß § 1990 Abs. 1 BGB erreichen, dass die Zwangs­voll­streckung in sein nicht zum Nachlass gehörendes Vermögen für unzulässig erklärt wird.

BGH: Titulierte Wohngeld­schulden sind Eigen­ver­bind­lich­keiten des Klägers

Das Amtsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das Landgericht die Klage ab. Der Bundes­ge­richtshof gab der Revision statt und hob das Urteil des Landgerichts auf. Bei den titulierten Wohngeldschulden handelt es sich nicht um Eigen­ver­bind­lich­keiten des Landes, sondern um Nachlassverbindlichkeiten, die das Land grundsätzlich zur Erhebung der Dürftig­keitseinrede gemäß § 1990 Abs. 1 BGB berechtigen.

Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft wird durch Annahme einer Nachlass­ver­bind­lichkeit nicht unangemessen benachteiligt

Andere Erben als der Fiskus haften nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs für die nach dem Erbfall fällig werdenden Wohngeld­schulden spätestens dann auch mit ihrem eigenen Vermögen, wenn sie die Erbschaft angenommen haben oder die Ausschla­gungsfrist abgelaufen ist. Dies lässt sich auf die Haftung des zum gesetzlichen Alleinerben berufenen Fiskus nicht übertragen, weil ihm gemäß § 1942 Abs. 2 BGB das Recht versagt ist, die Erbschaft auszuschlagen. Ob ein Verhalten des Fiskus die Qualifizierung der Wohngeld­schulden als Eigen­ver­bind­lichkeit rechtfertigt, muss deshalb unter Berück­sich­tigung des Zwecks und der Besonderheiten des Fiskalerbrechts nach anderen Kriterien bestimmt werden. Hiernach stellen Wohngeld­schulden in aller Regel nur Nachlass­ver­bind­lich­keiten dar. Der Fiskus nimmt eine Ordnungs­funktion wahr. Herrenlose Nachlässe sollen vermieden und eine ordnungsgemäße Nachlas­s­ab­wicklung soll gesichert werden. In aller Regel wird der Fiskus deshalb bei seinen Handlungen nur seiner gesetzlichen Aufgabe nachkommen, den Nachlass abzuwickeln. Nur wenn der Fiskus seine Rolle als Nachlas­s­ab­wickler verlässt, er also zu erkennen gibt, die Wohnung zu eigenen Zwecken nutzen zu wollen, ist es gerechtfertigt, die Wohngeld­schulden als Eigen­ver­bind­lich­keiten zu qualifizieren, bei denen eine Haftungs­be­schränkung ausgeschlossen ist. Die Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft wird durch die Annahme einer Nachlass­ver­bind­lichkeit nicht unangemessen benachteiligt. Sie kann nämlich in der Regel ihre Rechte im Wege der Zwangs­ver­stei­gerung effektiv durchsetzen, weil die Wohngeldansprüche in dem Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG bevorrechtigt sind und den Rechten der nachfolgenden Rangklassen - insbesondere denjenigen von Kreditgebern und Vormer­kungs­be­rech­tigten - vorgehen.

Rückweisung der Sache an das Landgericht

Unter Berück­sich­tigung dieser Grundsätze fehlt es hier an einem Verhalten des Landes, das über die Wahrnehmung der Aufgaben der Verwaltung und der Abwicklung des Nachlasses hinausgeht und den Schluss zulässt, das Land wolle die Wohnung für eigene Zwecke nutzen. Die Sache wurde an das Landgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dieses hat die von ihm bislang offen gelassene Frage zu klären, ob der Nachlass tatsächlich dürftig i.S.d. § 1990 Abs. 1 BGB ist.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Erläuterungen

§ 1936 BGB Gesetzliches Erbrecht des Staates

Ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt das Land, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Übrigen erbt der Bund.

§ 1942 BGB Anfall und Ausschlagung der Erbschaft

(1) [...]

(2) Der Fiskus kann die ihm als gesetzlichen Erben angefallene Erbschaft nicht ausschlagen. entschieden, dass die in einem Landpacht­vertrag von dem Pächter als Allgemeine Geschäfts­be­dingung gestellte Klausel, wonach ihm "ein Vorpachtrecht" eingeräumt wird, wegen Verstoßes gegen das Trans­pa­renzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam ist.

§ 1990 BGB Dürftig­keitseinrede des Erben

(1) Ist die Anordnung der Nachlass­ver­waltung oder die Eröffnung des Nachlass­in­sol­venz­ver­fahrens wegen Mangels einer den Kosten entsprechenden Masse nicht tunlich oder wird aus diesem Grunde die Nachlass­ver­waltung aufgehoben oder das Insol­venz­ver­fahren eingestellt, so kann der Erbe die Befriedigung eines Nachlass­gläu­bigers insoweit verweigern, als der Nachlass nicht ausreicht. Der Erbe ist in diesem Fall verpflichtet, den Nachlass zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangs­voll­streckung herauszugeben.

(2) [...]

§ 10 ZVG Rangordnung der Rechte

(1) Ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück gewähren nach folgender Rangordnung, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge:

1. [...]

1a. [...]

2. bei Vollstreckung in ein Wohnungs­ei­gentum die daraus fälligen Ansprüche auf Zahlung der Beiträge zu den Lasten und Kosten des gemein­schaft­lichen Eigentums oder des Sondereigentums, die nach § 16 Abs. 2, § 28 Abs. 2 und 5 des Wohnungs­ei­gen­tums­ge­setzes geschuldet werden, einschließlich der Vorschüsse und Rückstellungen sowie der Rückgriffs­ansprüche einzelner Wohnungseigentümer. Das Vorrecht erfasst die laufenden und die rückständigen Beträge aus dem Jahr der Beschlagnahme und den letzten zwei Jahren. Das Vorrecht einschließlich aller Nebenleistungen ist begrenzt auf Beträge in Höhe von nicht mehr als 5 vom Hundert des nach § 74 a Abs. 5 festgesetzten Wertes. Die Anmeldung erfolgt durch die Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer. Rückgriffs­ansprüche einzelner Wohnungs­ei­gentümer werden von diesen angemeldet.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil26824

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI