21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil13.02.2004

Voraussetzungen des privaten Immis­si­ons­schutzes gegen Mobil­funksen­de­anlagen

Der Bundes­ge­richtshof hatte in zwei parallel gelagerten Verfahren über die Frage zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen von einem Unternehmen verlangt werden kann, den Betrieb von Mobil­funksen­de­anlagen wegen der davon ausgehenden elektro­ma­gne­tischen Felder zu unterlassen.

Die Beklagte zu 1 betreibt seit 1999 auf dem Kirchturm der Jakobuskirche in Bruchköbel eine Mobilfunksendeanlage. Den Standort nutzt sie aufgrund eines auf 20 Jahre befristeten Mietvertrages mit der Beklagten zu 2. Die Kläger beider Verfahren wohnen in der Nähe bzw. gehen dort einer beruflichen Tätigkeit nach. Die für Mobil­funk­anlagen geltenden Grenzwerte nach § 2 in Verbindung mit Anhang 1 der 26. Bunde­s­im­mis­si­ons­schutz­ver­ordnung (BImSchV) vom 16. Dezember 1996 (BGBl. I S. 1966) werden eingehalten.

Die Kläger verlangen von der Beklagten zu 1, den Betrieb der Sendeanlage zu unterlassen, und von der Beklagten zu 2, den Betrieb durch die Beklagte zu 1 nicht zu ermöglichen. Sie haben behauptet, von dem Betrieb der Anlage gehe für sie eine konkrete Gesund­heits­ge­fährdung aus, vor der sie die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BimSchV nicht schütze. Zum einen seien diese Werte zu hoch angesetzt, zum anderen erfasse die Verordnung nur die sog. thermischen Wirkungen, nicht aber die athermischen, die u. a. zu einer Steigerung des Krebsrisikos führten, negative Auswirkungen auf das Immunsystem hätten und auch Kopfschmerzen, Gehör- und Konzen­tra­ti­o­ns­s­tö­rungen auslösten.

Die Klage ist vom Landgericht Hanau abgewiesen worden. Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (Urt. v. 18.06.2003) hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Auch die von dem Berufungs­gericht zugelassene Revision blieb ohne Erfolg.

Der Bundes­ge­richtshof hat einen Unter­las­sungs­an­spruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB für nicht begründet erachtet, weil die Kläger die von der Mobilfunkanlage der Beklagten zu 1 ausgehenden elektro­ma­gne­tischen Felder nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB dulden müssen. Nach dieser Vorschrift besteht eine Duldungspflicht, wenn die von der Anlage ausgehenden Immissionen zu keiner oder nur zu einer unwesentlichen Beein­träch­tigung führen. Ob eine Beein­träch­tigung wesentlich ist, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats von dem Empfinden eines verständigen Menschen und davon ab, was diesem auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zuzumuten ist. Dabei steht dem Tatrichter ein auf die konkreten Umstände des Einzelfalls bezogener Beurtei­lungs­spielraum zu. Hierbei hat er indes zu beachten, daß nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB eine unwesentliche Beein­träch­tigung "in der Regel" dann vorliegt, wenn - wie hier - die in Gesetzen oder Rechts­ver­ord­nungen festgelegten Grenzen oder Richtwerte von den ermittelten und bewerteten Immissionen nicht überschritten werden. Die Einhaltung solcher Grenzen oder Richtwerte schließt zwar das Vorliegen einer wesentlichen Beein­träch­tigung nicht aus, hat aber Indizwirkung zugunsten einer nur unwesentlichen Beein­träch­tigung.

Hiervon ist das Berufungs­gericht ausgegangen. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme, daß die Kläger die Indizwirkung nicht erschüttert haben. Hierzu wäre darzulegen gewesen, daß ein wissen­schaftlich begründeter Zweifel an der Richtigkeit der in der BImSchV festgelegten Grenzwerte und ein fundierter Verdacht einer Gesund­heits­ge­fährdung durch elektro­ma­gne­tische Felder unterhalb dieser Werte besteht. Daran fehlt es. Wissenschaft und Forschung ist – wie das Berufungs­gericht festgestellt hat - bislang nicht der Nachweis gelungen, daß athermische Effekte elektro­ma­gne­tischer Felder, zumal unterhalb der durch die 26. BImSchV gezogenen Grenzen, zu gesund­heit­lichen Schäden führen können. Darauf beruhen die Empfehlungen der Strah­len­schutz­kom­mission vom 13./14. September 2001, die Grundlage für die festgesetzten Grenzwerte sind. Bei diesem Forschungsstand war es nicht verfah­rens­feh­lerhaft, daß das Berufungs­gericht kein Sachver­stän­di­gen­gut­achten zu der Frage der gesund­heit­lichen Auswirkungen von elektro­ma­gne­tischen Feldern eingeholt hat. Ein solches Gutachten hätte nur diesen Stand der Forschung widerspiegeln können und ist daher nicht geeignet, neue Erkenntnisse zu vermitteln.

Vorinstanzen:

LG Hanau

OLG Fankfurt am Main, Urt. v. 18.06.2003: Kein Unter­las­sungs­an­spruch von Nachbarn gegen Mobil­funk­anlagen, wenn die festgelegten Grenzwerte nicht überschritten werden

Quelle: Pressemitteilung Nr. 15/04 des BGH v. 13.02.2004

der Leitsatz

BGB § 906 Abs. 1 Satz 2

Der Einhaltung der in Gesetzen oder Rechts­ver­ord­nungen im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB festgelegten Grenz- oder Richtwerte kommt Indizwirkung dahin zu, daß eine nur unwesentliche Beein­träch­tigung vorliegt. Es ist dann Sache des Beein­träch­tigten, Umstände darzulegen und zu beweisen, die diese Indizwirkung erschüttern.

Bei einer von einer Mobil­funksen­de­anlage ausgehenden Beein­träch­tigung durch elektro­ma­gne­tische Felder, die die Grenzwerte der 26. BImSchV einhalten, muß der Beeinträchtigte zur Erschütterung der Indizwirkung darlegen - und gegebenenfalls beweisen -, daß ein wissen­schaftlich begründeter Zweifel an der Richtigkeit der festgelegten Grenzwerte und ein fundierter Verdacht einer Gesund­heits­ge­fährdung besteht.

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