23.11.2024
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Dokument-Nr. 17391

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Urteil17.12.2013BundesgerichtshofKZR 65/12 und KZR 66/12
Vorinstanzen:
  • Landgericht Kiel, Urteil03.02.2012, 14 O 83/10 Kart und 14 O 12/11 Kart
  • Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil22.11.2012, 16 U (Kart) 21/12 und 16 U (Kart) 22/12
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil17.12.2013

Bundes­ge­richtshof zur Vergabe von Strom­netz­konzessionen durch die GemeindenKonzessionär für das Stromnetz der Gemeinde muss in einem diskri­mi­nierungs­freien und transparenten Verfahren ausgewählt werden

Gemeinden müssen den Konzessionär für ihr Stromnetz in einem diskri­mi­nierungs­freien und transparenten Verfahren auswählen. Das gilt auch im Fall der Übertragung an einen Eigenbetrieb. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Die Parteien des zugrunde liegenden Falls streiten über Ansprüche auf Übereignung der Strom­ver­sor­gungsnetze in schleswig-holsteinischen Gemeinden. Aufgrund Ende 2008 bis Ende 2012 ausgelaufener Konzes­si­ons­verträge war die Beklagte in diesen Gemeinden Netzbetreiber. Ihre Bewerbung um Abschluss neuer Konzes­si­ons­verträge hatte jeweils keinen Erfolg.

Stadt Heiligenhafen verlangt im Verfahren KZR 65/12 von bisherigem Netzbetreiber Übereignung des örtlichen Strom­ver­sor­gungs­netzes

Die Klägerin des Verfahrens KZR 65/12, die Stadt Heiligenhafen, entschied sich dafür, den Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb selbst zu übernehmen. Sie verlangt, gestützt auf § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aF* sowie eine Regelung des abgelaufenen Konzes­si­ons­vertrags (Endschafts­be­stimmung), von der Beklagten die Übereignung des örtlichen Strom­ver­sor­gungs­netzes der allgemeinen Versorgung.

Klägerin im Verfahren KZR 66/12 verlangt Übereignung des Netzes

Im Verfahren KZR 66/12 haben die 36 Gemeinden der Ämter Sandesneben-Nusse und Berkenthin einen neuen Konzes­si­ons­vertrag mit der Klägerin abgeschlossen, bei der es sich um eine mittelbare Tochter­ge­sell­schaft dreier anderer Gemeinden handelt. Die Klägerin verlangt aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aF sowie aus abgetretenem Recht der Gemeinden die Übereignung des Netzes.

Vorinstanzen verneinen Ansprüche auf Übertragung des Netzes

Die Vorinstanzen haben die Klagen abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat Ansprüche auf Übertragung des Netzes verneint, weil die Neuvergaben der Konzessionen jeweils gegen § 46 EnWG aF* und § 20 Abs. 1 GWB aF** verstießen. Die Gemeinden hätten in einer diskri­mi­nie­rungs­freien Verga­be­ent­scheidung vorrangig die Ziele des § 1 EnWG aF*** und somit in erster Linie das Niveau der erreichbaren Netzentgelte sowie die Effizienz des Bewerbers berücksichtigen müssen. Erst in zweiter Linie könnten die fiskalischen Interessen der Kommune eine Rolle spielen. Die Entscheidungen der Gemeinden für eine Rekom­mu­na­li­sierung genügten diesen Anforderungen nicht. Dies könne die Beklagte den Übertra­gungs­ansprüchen entgegenhalten.

Verfahren KZR 65/12: Gemeinden achten bei Vergabe von Wegerechten für Netzbetrieb nicht ausreichend auf Trans­pa­renzgebot

Der Bundes­ge­richtshof hat die dagegen gerichteten Revisionen zurückgewiesen. Im Verfahren KZR 65/12 kann die Beklagte den Überlas­sungs­ansprüchen entgegenhalten, dass die Klägerin bei der Neuvergabe des Wegerechts gegen § 46 Abs. 1 EnWG verstoßen und dadurch die Beklagte im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB aF unbillig behindert hat. Die Klägerin hat das Transparenzgebot nicht beachtet, das bei der Vergabe von Wegerechten für den Netzbetrieb aus dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG folgt. Das Trans­pa­renzgebot verlangt, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entschei­dungs­kri­terien der Gemeinde und deren Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden. Das gilt auch dann, wenn die Gemeinde den Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen will. Gemeinden können sich in diesem Zusammenhang weder auf ein "Konzernprivileg" noch auf die Grundsätze des im Vergaberecht anerkannten "In-house-Geschäfts" berufen. Das verfas­sungs­rechtlich geschützte kommunale Selbst­ver­wal­tungsrecht wird dadurch nicht verletzt.

Verfahren KZR 66/12: Klägerin hat wegen nichtiger Konzes­si­ons­ver­trägen mit den Gemeinden keinen Anspruch auf Überlassung der Netze

Im Verfahren KZR 66/12 stehen der Klägerin keine Ansprüche auf Überlassung der Netze zu, weil sie nicht "neues Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen" im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG aF geworden ist. Voraussetzung dafür wäre jeweils ein wirksamer Konzes­si­ons­vertrag mit den Gemeinden. Die abgeschlossenen Verträge sind jedoch nach § 134 BGB nichtig, weil die Gemeinden bei ihrer Auswah­l­ent­scheidung gegen § 20 Abs. 1 GWB aF verstoßen haben. Zwar haben die Gemeinden in diesem Fall das Trans­pa­renzgebot beachtet. Die bei der Auswah­l­ent­scheidung angewandten Kriterien und ihre Gewichtung müssen aber auch inhaltlich mit dem Diskri­mi­nie­rungs­verbot des § 46 Abs. 1 EnWG in Einklang stehen. Danach ist die Auswahl vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG (Effizienz, Verbrau­cher­freund­lichkeit, preisgünstige und sichere Versorgung, Umwelt­ver­träg­lichkeit) auszurichten. Im Übrigen bleibt der Gemeinde überlassen, sachgerechte Auswahl­kri­terien zu finden und zu gewichten, die einen Bezug zum Gegenstand des Konzes­si­ons­vertrags aufweisen, was eine zulässige wirtschaftliche Verwertung des Wegerechts umfasst.

Ziele des Energie­wirt­schafts­ge­setzes von Gemeinden nicht ausreichend berücksichtigt

Diesem Maßstab genügen die Auswah­l­ent­schei­dungen zugunsten der Klägerin nicht. Zwar hat das Berufungs­gericht einige Auswahl­kri­terien wie etwa den Gemeinderabatt oder eine Folge­kos­ten­übernahme zu Unrecht für unzulässig gehalten. Es hat jedoch zu Recht beanstandet, dass 70 von 170 bei der Angebots­be­wertung höchstens erreichbaren Punkten auf Kriterien zum Geschäftsmodell entfielen, und zwar im Sinne von Möglichkeiten zur Ausgestaltung einer kommunalen Beteiligung an der Netzge­sell­schaft. Außerdem haben die Gemeinden die Ziele des § 1 EnWG nicht hinreichend berücksichtigt.

Zuwider­hand­lungen gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen führen zur Nichtigkeit der Konzes­si­ons­verträge

Die Zuwiderhandlung gegen § 20 Abs. 1 GWB aF hat die Nichtigkeit der Konzes­si­ons­verträge zur Folge, da andernfalls der vom Gesetzgeber bezweckte Wettbewerb um das Wegerecht ausgeschlossen wäre. Darauf kann sich die Beklagte berufen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen Bewertung der Angebote gegenüber ihren Mitbewerbern durchgesetzt hätte.

Ansprüche der Klägerin aufgrund der ihr von den Gemeinden abgetretenen Rechte aus den vertraglichen Endschafts­be­stim­mungen scheitern daran, dass die Beklagte ihnen nach § 404 BGB**** entgegenhalten kann, von den Gemeinden diskriminiert (§ 46 Abs. 1 EnWG) und unbillig behindert (§ 20 Abs. 1 GWB aF) worden zu sein.

* § 46 EnWG aF - Wegenut­zungs­verträge (vom 13. Juli 2005 bis 3. August 2011 geltende Fassung)

(1) 1. Gemeinden haben ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, einschließlich Fernwirk­lei­tungen zur Netzsteuerung und Zubehör, zur unmittelbaren Versorgung von Letzt­ver­brauchern im Gemeindegebiet diskri­mi­nie­rungsfrei durch Vertrag zur Verfügung zu stellen. 2. Unbeschadet ihrer Verpflichtungen nach Satz 1 können die Gemeinden den Abschluss von Verträgen ablehnen, solange das Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen die Zahlung von Konzes­si­ons­abgaben in Höhe der Höchstsätze nach § 48 Abs. 2 verweigert und eine Einigung über die Höhe der Konzes­si­ons­abgaben noch nicht erzielt ist.

(2) 1. Verträge von Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen mit Gemeinden über die Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, die zu einem Energie­ver­sor­gungsnetz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehören, dürfen höchstens für eine Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen werden. 2. Werden solche Verträge nach ihrem Ablauf nicht verlängert, so ist der bisher Nutzungs­be­rechtigte verpflichtet, seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Vertei­lungs­anlagen dem neuen Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu überlassen.

(3) 1 Die Gemeinden machen spätestens zwei Jahre vor Ablauf von Verträgen nach Absatz 2 das Vertragsende durch Veröf­fent­lichung im Bundesanzeiger oder im elektronischen Bundesanzeiger bekannt. 2. Wenn im Gemeindegebiet mehr als 100.000 Kunden unmittelbar oder mittelbar an das Versorgungsnetz angeschlossen sind, hat die Bekanntmachung zusätzlich im Amtsblatt der Europäischen Union zu erfolgen. [...] 5. Sofern sich mehrere Unternehmen bewerben, macht die Gemeinde bei Neuabschluss oder Verlängerung von Verträgen nach Absatz 2 ihre Entscheidung unter Angabe der maßgeblichen Gründe öffentlich bekannt.

(4) Die Absätze 2 und 3 finden für Eigenbetriebe der Gemeinden entsprechende Anwendung.

(5) [...]

** § 20 GWB aF - Diskri­mi­nie­rungs­verbot, Verbot unbilliger Behinderung (bis 29. Juni 2013 geltende Fassung)

(1) Markt­be­herr­schende Unternehmen [...] dürfen ein anderes Unternehmen in einem Geschäfts­verkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, weder unmittelbar noch mittelbar unbillig behindern oder gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlich gerecht­fer­tigten Grund unmittelbar oder mittelbar unterschiedlich behandeln.

[...]

*** § 1 EnWG aF - Zweck des Gesetzes (vom 13. Juli 2005 bis 3. August 2011 geltende Fassung)

(1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbrau­cher­freundliche, effiziente und umwelt­ver­trägliche leitungs­ge­bundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas.

[...]

**** § 404 Einwendungen des Schuldners

Der Schuldner kann dem neuen Gläubiger die Einwendungen entgegensetzen, die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger begründet waren.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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