18.10.2024
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Dokument-Nr. 21693

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Urteil06.10.2015BundesgerichtshofKZR 17/14
Vorinstanzen:
  • Landgericht Köln, Urteil14.02.2012, 88 O (Kart) 17/11
  • Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil26.02.2014, VI-U (Kart) 7/12
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil06.10.2015

Zentral­verhandlungs­mandat des Presse-Grosso verstößt nicht gegen KartellrechtZentrale Verhand­lungs­mandat zur Gewährleistung eines flächen­de­ckenden und diskri­mi­nie­rungs­freien Pressevertriebs geeignet

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass das zentrale Mandat der Vereinigung der Presse-Grossisten für Verhandlungen mit den Verlagen über die Grosso-Konditionen nicht gegen Kartellrecht verstößt.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist die Vertrie­bs­ge­sell­schaft der Bauer Media Group, einem der größten deutschen Verlagshäuser. Der Beklagte ist ein Branchenverband, dem alle verlags­u­n­ab­hängigen Presse-Grossisten angehören. In Deutschland werden nahezu alle Zeitungen und Zeitschriften, die über den stationären Einzelhandel mit Ausnahme der Bahnhofs­buch­hand­lungen verkauft werden, im Großhandel von verlags­u­n­ab­hängigen Grossisten oder Grossisten mit unter­schied­licher Verlags­be­tei­ligung vertrieben. Grundsätzlich versorgt jeweils nur ein Grossist ein bestimmtes Gebiet mit den Publikationen sämtlicher Verlage. Lediglich in vier Gebieten besteht ein sogenanntes Doppelgrosso. Die Grossisten kaufen die Zeitungen und Zeitschriften von den Verlagen und verkaufen sie zu gebundenen Preisen an die Einzelhändler in ihrem Gebiet. Die Vergütung der Grossisten richtet sich nach den Handelsspannen, die zwischen ihnen und den Verlagen jeweils für mehrere Jahre vereinbart werden. Für die verlags­u­n­ab­hängigen und regelmäßig auch für die verlags­ver­bundenen Grossisten werden diese Verhandlungen zentral vom Beklagten geführt. Infolgedessen galten bisher zwischen den Verlagen und den Grossisten einheitliche Preise und Konditionen. Die Klägerin möchte nunmehr die Vertrags­kon­di­tionen individuell mit den einzelnen Grossisten aushandeln, wozu diese jedoch nicht bereit sind. Die Klägerin will dem Beklagten deshalb verbieten lassen, für Presse-Grossisten in Deutschland einheitliche Grosso-Konditionen mit den Verlagen zu verhandeln, zu vereinbaren oder Presse-Grossisten aufzufordern, individuelle Verhandlungen mit der Klägerin über Grosso-Konditionen zu verweigern.

Vorinstanzen geben Klage wegen unzulässigen Kartell­ab­sprachen statt

Die Vorinstanzen haben das zentrale Verhand­lungs­mandat als unzulässige Kartell­ab­sprache angesehen und der Klage, gestützt auf das unions­rechtliche Kartellverbot (Art. 101 Abs. 1 AEUV*), stattgegeben.

Anwendung des EU-Kartellrechts ausgeschlossen

Der Bundes­ge­richtshof wies die Klage jedoch ab. Ansprüche der Klägerin scheiden jedenfalls deshalb aus, weil Art. 101 Abs. 1 AEUV* auf das zentrale Verhand­lungs­mandat des Beklagten nach Art. 106 Abs. 2 AEUV** i.V.m. § 30 Abs. 2a GWB*** nicht anwendbar ist. Nach Art. 106 Abs. 2 AEUV ist eine Anwendung des EU-Kartellrechts ausgeschlossen, wenn Unternehmen mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaft­lichem Interesse betraut sind und die Anwendung der Wettbe­wer­bs­regeln die Erfüllung der diesen Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern würde. Die dem Beklagten angehörenden Presse-Grossisten werden durch § 30 Abs. 2a GWB mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaft­lichem Interesse, nämlich dem flächen­de­ckenden und diskri­mi­nie­rungs­freien Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften betraut. Dass die Presse-Grossisten lediglich betraut werden, "soweit" sie eine der in § 30 Abs. 2a GWB genannten Branchen­ver­ein­ba­rungen abschließen, steht der Wirksamkeit des Betrauungsaktes nicht entgegen. Damit wird keine Bedingung formuliert, deren Eintritt ungewiss ist. Vielmehr ist der Gesetzgeber bewusst von den bestehenden Markt­ver­hält­nissen ausgegangen, die durch die seit Jahrzehnten bestehenden Branchen­ver­ein­ba­rungen geprägt sind. Diese gewährleisten einen flächen­de­ckenden und diskri­mi­nie­rungs­freien Pressevertrieb.

Anwendung der EU-Wettbe­wer­bs­regeln auf zentrales Verhand­lungs­mandat würde Erfüllung von Aufgaben der Presse-Grossisten verhindern

Die Anwendung der Wettbe­wer­bs­regeln der Union auf das zentrale Verhand­lungs­mandat des Beklagten würde die Erfüllung der den Presse-Grossisten übertragenen Aufgaben im Sinne von Art. 106 Abs. 2 AEUV verhindern. Dafür reicht es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU aus, wenn die Geltung der Wettbe­wer­bs­vor­schriften die Erfüllung dieser Aufgaben gefährdet. Für diese Beurteilung ist eine komplexe Prognose dazu erforderlich, wie sich die Markt­ver­hältnisse bei Anwendung der Wettbe­wer­bs­regeln entwickeln würden. Gibt es - wie hier - keine Gemein­schafts­re­gelung und bestehen große Progno­seun­si­cher­heiten, steht dem nationalen Gesetzgeber ein Einschät­zungs­spielraum zu. Entsprechend ist der gerichtliche Prüfungsumfang beschränkt.

Wegfall des zentralen Verhand­lungs­mandats wäre mit steigenden Vertriebskosten für kleinere Verlage verbunden

Danach ist die Einschätzung des Gesetzgebers, der flächendeckende und diskri­mi­nie­rungsfreie Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften werde bei Anwendung der Wettbe­wer­bs­regeln auf das zentrale Verhand­lungs­mandat gefährdet, unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das zentrale Verhand­lungs­mandat ist, wie die Vergangenheit zeigt, geeignet, einen flächen­de­ckenden und diskri­mi­nie­rungs­freien Pressevertrieb zu gewährleisten. Die Prognose des Gesetzgebers, dass es auch in Zukunft erforderlich ist, um diese Ziele zu sichern, ist plausibel. Es liegt nicht fern, dass bei einem Wegfall des zentralen Verhand­lungs­mandats große Verlage und Verlage mit auflagenstarken Titeln aufgrund ihrer Marktstärke sowie der großen Auflagen, deren Vertrieb sie nachfragen, bessere Preise und Konditionen durchsetzen können, so dass die Vertriebskosten für kleinere Verlage steigen werden. Es ist weiter plausibel, dass nach einem Aufbrechen der Gebietsmonopole mittels individueller Verhandlungen insgesamt höhere Vertriebskosten für den Pressevertrieb anfallen werden. In der Folge könnten sich für kleinere Verlage und unrentable Verkaufspunkte, vor allem in ländlichen Gebieten, schlechtere Vertrie­bs­kon­di­tionen ergeben, so dass der Vertrieb von Nischen­pro­dukten oder die Belieferung unrentabler Verkaufspunkte längerfristig gefährdet wird. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der verfas­sungs­recht­lichen Bedeutung einer pluralistischen und möglichst umfassend vertriebenen Presse ist die der Ausnah­me­vor­schrift des § 30 Abs. 2a GWB zugrunde liegende Beurteilung des Gesetzgebers daher nicht zu beanstanden.

* Art. 101 AEUV Kartellverbot

Erläuterungen
(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unter­neh­mens­ver­ei­ni­gungen und aufeinander abgestimmte Verhal­tens­weisen, welche den Handel zwischen den Mitglieds­s­taaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere

(a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäfts­be­din­gungen;

(b) [...]

[...]

** Art. 106 AEUV Öffentliche Unternehmen; Dienst­leis­tungen von allgemeinem wirtschaft­lichem Interesse

[...]

(2) Für Unternehmen, die mit Dienst­leis­tungen von allgemeinem wirtschaft­lichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbe­wer­bs­regeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Union zuwiderläuft.

[...]

*** § 30 GWB Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften

[...]

(2a) § 1 gilt nicht für Branchen­ver­ein­ba­rungen zwischen Vereinigungen von Unternehmen, die nach Absatz 1 Preise für Zeitungen oder Zeitschriften binden (Presseverlage), einerseits und Vereinigungen von deren Abnehmern, die im Preis gebundene Zeitungen und Zeitschriften mit Remissionsrecht beziehen und mit Remissionsrecht an Letztveräußerer verkaufen (Presse-Grossisten), andererseits für die von diesen Vereinigungen jeweils vertretenen Unternehmen, soweit in diesen Branchen­ver­ein­ba­rungen der flächendeckende und diskri­mi­nie­rungsfreie Vertrieb von Zeitungs- und Zeitschrif­ten­sor­ti­menten durch die Presse-Grossisten, insbesondere dessen Voraussetzungen und dessen Vergütungen sowie die dadurch abgegoltenen Leistungen geregelt sind. Insoweit sind die in Satz 1 genannten Vereinigungen und die von ihnen jeweils vertretenen Presseverlage und Presse-Grossisten zur Sicherstellung eines flächen­de­ckenden und diskri­mi­nie­rungs­freien Vertriebs von Zeitungen und Zeitschriften im stationären Einzelhandel im Sinne von Artikel 106 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union mit Dienst­leis­tungen von allgemeinem wirtschaft­lichem Interesse betraut. [...]

[...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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