21.11.2024
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Sie sehen Geld, auf dem das Wort „Insolvenz“ arrangiert wurde.

Dokument-Nr. 178

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Urteil10.02.2005BundesgerichtshofIX ZR 211/02
Vorinstanzen:
  • Landgericht Dresden, , 12 O 1340/00
  • Oberlandesgericht Dresden, Urteil18.04.2002, 13 U 2579/01
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil10.02.2005

Keine vorsätzliche Gläubi­ger­be­nach­tei­ligung bei Vollstre­ckungs­maß­nahmen außerhalb der dreimonatigen SchutzfristBundes­ge­richtshof zur Insol­ven­zan­fechtung

Der u.a. für Insolvenzsachen zuständige IX. Zivilsenat hatte darüber zu entscheiden, inwiefern Zwangs­voll­stre­ckungs­maß­nahmen von Gläubigern der Insol­ven­zan­fechtung unterliegen, wenn sie früher als drei Monate vor dem Insolvenzantrag durchgeführt wurden.

Das Finanzamt Dresden des in Anspruch genommenen Landes hat aufgrund einer dem Drittschuldner am 3. Februar 1999 zugegangenen Pfändungs- und Überwei­sungs­ver­fügung von der späteren Gemein­schuldnerin, die am 4. Mai 1999 einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens stellte, rückständige Umsatzsteuer erhalten. Die Schuldnerin hatte zuvor gegenüber dem Finanzamt darauf hingewiesen, daß sie nicht mehr leistungsfähig sei. Der Insol­venz­ver­walter nimmt das beklagte Land im Wege der Insol­ven­zan­fechtung auf Rückzahlung in Anspruch.

Das Berufungs­gericht hat eine Anfechtbarkeit der Pfändung nach §§ 130, 131 InsO wegen kongruenter und inkongruenter Deckung verneint, weil die Pfändungs­ver­fügung dem Drittschuldner nicht innerhalb des insoweit geschützten Dreimo­nats­zeitraums vor dem Antrag auf Insol­ven­z­er­öffnung zugestellt worden sei. Auch eine Anfechtung nach § 133 InsO wegen vorsätzlicher Gläubi­ger­be­nach­tei­ligung hat das Berufungs­gericht abgelehnt, weil es an einer Rechtshandlung des Schuldners fehle.

Der Bundes­ge­richtshof hat das Urteil des Berufungs­ge­richtes bestätigt, weil §§ 130, 131 InsO für Rechts­hand­lungen außerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor Stellung des Insol­ven­z­antrags nicht anwendbar seien und Zwangs­voll­stre­ckungs­maß­nahmen ohne eine Rechtshandlung oder eine ihrer gleichwertigen Unterlassung des Schuldners auch nicht nach § 133 Abs. 1 InsO angefochten werden könnten. Er ist damit einer in der Literatur jüngst vertretenen Auffassung nicht gefolgt, nach der eine Insol­ven­zan­fechtung wegen vorsätzlicher Gläubi­ger­be­nach­tei­ligung abweichend vom Wortlaut der Norm allein aufgrund einer gegen den Schuldner gerichteten Vollstre­ckungs­maßnahme in Betracht kommt, wenn der vollstreckende Gläubiger weiß, daß dies die Gläubi­ger­ge­samtheit benachteiligt. Eine Ausweitung der Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung widerspreche der gesetzlichen Regelung, die nach dem Urheber der Rechtshandlung differenziere. Während die in §§ 130-132 InsO geregelten Tatbestände die Anfech­tungs­mög­lich­keiten auf den Zeitraum bis zu drei Monaten vor dem Eingang des Eröff­nungs­an­trages beschränkten und damit das die Einzelzwangs­voll­streckung beherrschende Priori­täts­prinzip zum Schutz der Gleich­be­handlung der Gläubiger verdrängten, stehe die Anfechtungsnorm des § 133 Abs. 1 InsO nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der materiellen Insolvenz, sondern mißbillige bestimmte Verhal­tens­weisen des Schuldners. Außerhalb des von §§ 130-132 InsO geschützten Drei-Monatszeitraums unterliege der einzelne Gläubiger deshalb bei der Verfolgung seiner Rechte gegen den Schuldner grundsätzlich keinen vom Anfech­tungsrecht ausgehenden Beschränkungen. Eine Ausdehnung des Anwen­dungs­be­reiches von § 131 InsO auf reine Gläubi­ger­hand­lungen würde zudem einer Erweiterung der Anfechtungsnorm des § 130 Abs. 1 InsO über den Dreimo­nats­zeitraum hinaus gleichkommen.

Verzögere der Schuldner die Stellung des Insol­ven­z­antrags, stelle dies keine anfechtbare Rechtshandlung dar. Eine Rechts­schutzlücke entstehe dadurch nicht, weil im Falle eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem Gläubiger der Schutz der Masse durch eine Haftung nach §§ 823 Abs. 2, 826 BGB gewährleistet sei.

Da das Finanzamt damit ein unanfechtbares Pfandrecht erworben hatte, war auch die Zahlung der Schuldnerin selbst nicht anfechtbar.

Erläuterungen

§ 130 InsO

(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insol­venz­gläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat,

1. wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungs­un­fä­higkeit kannte oder

2. wenn sie nach dem Eröff­nungs­antrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungs­un­fä­higkeit oder den Eröff­nungs­antrag kannte.

(...)

§ 131 InsO

(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insol­venz­gläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte,

1. wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist,

2. wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröff­nungs­antrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war oder

3. wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröff­nungs­antrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, daß sie die Insol­venz­gläubiger benachteiligte.

(...)

§ 133 InsO

(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungs­un­fä­higkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

(...)

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 25/2005 des BGH vom 11.02.2005

der Leitsatz

InsO §§ 129, 133 Abs. 1; BGB §§ 826, 823 Abs. 2; GmbHG § 84 Abs. 1 Nr. 2

a) Zwangs­voll­stre­ckungs­hand­lungen des Gläubigers sind ohne eine vorsätzliche Rechtshandlung oder eine ihr gleichstehende Unterlassung des Schuldners nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar.

b) Hat der Schuldner nur noch die Wahl, die geforderte Zahlung sofort zu leisten oder die Vollstreckung zu dulden, ist also jede Möglichkeit eines selbst­be­stimmten Handelns ausgeschaltet, fehlt es an einer Rechtshandlung des Schuldners im Sinne von § 133 Abs. 1 InsO.

c) Die Anfechtung nach § 133 InsO kann nicht darauf gestützt werden, daß der Schuldner den Insolvenzantrag vorsätzlich verspätet gestellt und dadurch bewirkt hat, daß die Rechtshandlung des Gläubigers nicht in den von §§ 130 bis 132 InsO geschützten zeitlichen Bereich fällt.

d) Veranlaßt der Gläubiger den Schuldner, den Insolvenzantrag bewußt hinauszuzögern, um eine Anfechtung der Zwangs­voll­stre­ckungs­maßnahme nach § 131 InsO zu vermeiden, kommt eine Haftung gegenüber der Masse nach §§ 826, 823 Abs. 2 BGB in Betracht.

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