15.11.2024
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Dokument-Nr. 7022

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Urteil19.11.2008BundesgerichtshofIV ZR 305/07
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Hannover, Urteil15.05.2007, 544 C 16386/06
  • Landgericht Hannover, Urteil17.10.2007, 6 S 43/07
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil19.11.2008

BGH: Eintritts­pflicht des Rechts­schutz­ver­si­cherers bei Kündi­gung­s­an­drohung des ArbeitgebersKündi­gung­s­an­drohung und Kündi­gungs­aus­spruch sind gleich zu behandeln

Ein Arbeitnehmer kann seine Rechts­schutz­ver­si­cherung schon bei einer Kündi­gung­s­an­drohung in Anspruch nehmen und muss nicht warten, bis der Arbeitgeber die Kündigung wahr macht. Dies hat der Bundes­ge­richtshof in einem Fall entschieden, in dem sich ein Mann einen Rechtsanwalt nahm, weil sein Arbeitgeber ihn kündigen wollte. Die Versicherung wollte die Kosten nicht übernehmen.

Der Kläger verlangt von seinem Rechts­schutz­ver­si­cherer die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren. Versichert ist u. a. die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeits­ver­hält­nissen.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber teilte dem Kläger mit, dass aufgrund eines "Restruk­tu­rie­rungs­pro­grammes" und "der damit verbundenen Stellen­re­du­zierung" beabsichtigt sei, ihm zu kündigen, falls er nicht einen ihm angebotenen Aufhe­bungs­vertrag annehme. Die vom Kläger daraufhin beauftragten Rechtsanwälte wandten sich gegen das Vorgehen seines Arbeitgebers. Eine Kostenübernahme dafür lehnte der Rechts­schutz­ver­si­cherer ab.

Rechts­schutz­ver­si­cherung: Versi­che­rungsfall war noch nicht eingetreten

Er ist der Auffassung, dass ein Versi­che­rungsfall nicht eingetreten sei, da noch kein Rechtsverstoß vorliege. Das bloße Inaus­sicht­stellen einer Kündigung begründe als reine Absichts­er­klärung noch keine Veränderung der Rechtsposition des Klägers; dementsprechend stünde ihm auch ein Rechtsbehelf dagegen nicht zur Verfügung. Dies sei allein bei einer unberechtigt erklärten Kündigung möglich. Das Aufhe­bungs­angebot habe sich im Rahmen der Privatautonomie bewegt.

AG und LG geben dem Kläger recht: Versicherung muss zahlen

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die von dem Rechts­schutz­ver­si­cherer dagegen eingelegte Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen.

Nach dessen Auffassung liegt ein Rechtsverstoß schon in der Kündigungsandrohung selbst. Mit der Erklärung des Arbeitgebers, seine Beschäf­ti­gungs­pflicht nicht mehr erfüllen zu wollen, sei die Rechtsschutz auslösende Pflicht­ver­letzung unabhängig davon, ob die in Aussicht gestellte Kündigung rechtmäßig sei begangen und beginne die sich vom Rechts­schutz­ver­si­cherer übernommene Gefahr zu verwirklichen. Die Rechtsposition des Klägers sei bereits mit der Kündi­gung­s­an­drohung beeinträchtigt; ihr Ausspruch nur noch eine rein formale Umsetzung. Eine weitere Pflicht­ver­letzung sah das Landgericht darin, dass der Arbeitgeber dem Kläger trotz Aufforderung die Sozialauswahl nicht dargelegt habe und ihn damit nicht in die Lage versetzt hat, eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können.

BGH weist Revision des Rechts­schutz­ver­si­cherers zurück

Der Bundes­ge­richtshof hat in seiner Entscheidung die Revision des Rechts­schutz­ver­si­cherers zurückgewiesen und damit die Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt.

Nach seit langem gefestigter, nicht umstrittener Rechtsprechung des Senats erfordert die Annahme eines Rechts­schutz­falles i. S. von § 14 Abs. 3 Satz 1 ARB 75 bzw. § 4 (1) c) ARB 94/2000/2008 ein Vorbringen des Versi­che­rungs­nehmers mit objektivem Tatsachenkern, mit dem er den Vorwurf eines Rechtsverstoßes aufstellt und auf den er seine Inter­es­sen­ver­folgung stützt. Diese Grundsätze gelten auch für die Androhung einer Kündigung des Arbeitsgebers.

BGH: Kündi­gung­s­an­drohung und Kündi­gungs­aus­spruch sind gleich zu behandeln

Damit kommt es auf Diffe­ren­zie­rungen wie sie in Insta­nz­recht­sprechung und Schrifttum vorgenommen werden etwa zwischen Kündi­gung­s­an­drohung und Kündi­gungs­aus­spruch, verhaltens- und betrie­bs­be­dingten Kündigungen und eingetretenen oder noch bevorstehenden Beein­träch­ti­gungen der Rechtsposition des Versi­che­rungs­nehmers nicht an. Ebenso wenig gibt es eine besondere Fallgruppe für Kündigungen von Vertrags­ver­hält­nissen oder gar speziell für betrie­bs­be­dingte Kündigungen von Arbeits­ver­hält­nissen.

BGH: Rechts­schutzfall war eingetreten

Im zu entscheidenden Fall ist auch der Bundes­ge­richtshof vom Eintritt eines Rechts­schutz­falles ausgegangen. Der Kläger hatte ein tatsächliches Geschehen aufgezeigt, mit dem er den Vorwurf eines Rechtsverstoßes durch seine Arbeitgeberin verbunden hatte: Sie habe ihm einen Aufhe­bungs­vertrag angeboten, im Falle der Nichtannahme eine betrie­bs­be­dingte Kündigung angedroht, später mitgeteilt, dass er von der geplanten Stellen­re­du­zierung betroffen sei, Angaben zur Sozialauswahl verweigert und dann zugleich ein befristetes Angebot auf Abschluss eines Aufhe­bungs­ver­trages unterbreitet. An der Ernsthaftigkeit, das Arbeits­ver­hältnis auf diese Weise auf jeden Fall beenden und nicht etwa nur vorbereitende Gespräche über Möglichkeiten von betrieblich bedingten Stellen­re­du­zie­rungen und deren etwaigen Umsetzungen führen zu wollen, bestand nach diesen Behauptungen kein Zweifel. Auf diese vom Kläger behaupteten Tatsachen hatte er den Vorwurf gegründet, die Arbeitgeberin habe ihre Fürsorgepflicht verletzt und damit eine Vertrags­ver­letzung begangen, sie habe eine Kündigung ohne Auskunft über die Sozialauswahl in Aussicht gestellt, die weil sozial ungerecht­fertigt rechtswidrig wäre. Schon mit diesem vom Kläger behaupteten Verhalten begann sich die vom Rechts­schutz­ver­si­cherer übernommene Gefahr zu verwirklichen; der Rechts­schutzfall war damit eingetreten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 213/08 des BGH vom 19.11.2008

der Leitsatz

ARB 75 § 14 (3) Satz 1; [ARB 94 § 4 (1) Satz 1 c]

1. Die Festlegung eines verstoß­ab­hängigen Rechts­schutz­falles i.S. von § 14 (3) Satz 1 ARB 75 (entsprechend für § 4 (1) Satz 1 c ARB 94) richtet sich allein nach den vom Versi­che­rungs­nehmer behaupteten Pflicht­ver­let­zungen.

2. Dieses Vorbringen muss (erstens) einen objektiven Tatsachenkern - im Gegensatz zu einem bloßen Werturteil - enthalten, mit dem er (zweitens) den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verbindet, der den Keim für eine rechtliche Ausein­an­der­setzung enthält, und worauf er (drittens) seine Inter­es­sen­ver­folgung stützt.

3. Auf die Schlüssigkeit, Substan­ti­iertheit und Entschei­dungs­er­heb­lichkeit dieser Behauptungen kommt es nicht an.

4. Nach diesen Grundsätzen kann die Androhung einer betrie­bs­be­dingten Kündigung, wenn ein unterbreitetes Angebot zum Abschluss eines Aufhe­bungs­ver­trages abgelehnt wird, einen Rechts­schutzfall auslösen.

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