21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil09.03.2011

Arbeits­un­fä­higkeit durch Mobbing begründet Anspruch auf KrankentagegeldNur eine dauerhafte Berufs­un­fä­higkeit befreit Versicherung von ihrer Leistungs­pflicht

Mobbing am Arbeitsplatz kann zu körperlichen oder psychischen Leiden oder Erkrankungen führen und eine Arbeits­un­fä­higkeit des Betroffenen begründen. Hat der Arbeitnehmer eine Kranken­ta­ge­geld­ver­si­cherung abgeschlossen, so kann er diese damit in Anspruch nehmen. Der Versicherer kann einen Leistungs­an­spruch nicht verneinen, indem er den Betroffenen auf Vergleichs­berufe oder sonstige auf dem Arbeitsmarkt angebotene Erwer­b­s­tä­tig­keiten verweist. Ausschlaggebend ist nämlich die Arbeits­un­fä­higkeit im konkreten, ausgeübten Beruf am konkreten Arbeitsplatz. Dies geht aus einem Urteil des Bundes­ge­richtshofs hervor.

Der Kläger im vorliegenden Fall war als Projektleiter für Brand­schutz­anlagen beschäftigt. Da er sich an seinem Arbeitsplatz einem Mobbing­ver­halten ausgesetzt sah, das bei ihm zu physischen und psychischen Leiden geführt hatte, befand er sich seit längerer Zeit in ärztlicher Behandlung. Infolge seiner Erkrankungen sah sich der Mann nicht in der Lage, seine bisherige Arbeit­s­tä­tigkeit auszuüben und nahm deshalb seine Krankentagegeldversicherung mit einem versicherten Tagegeld in Höhe von 117 Euro in Anspruch. Die Versicherung zahlte zunächst, stellte ihre Leistungen jedoch schließlich mit der Begründung ein, dass der Mann zu hundert Prozent arbeitsfähig sei. Ein außer­ge­richtlich eingeholtes Gutachten belege dies. Es liege demnach auch keine Arbeitsunfähigkeit, sondern lediglich eine "konflikt­be­dingte Arbeits­plat­zun­ver­träg­lichkeit" vor. Der Arbeitnehmer ging gegen diese Entscheidung vor Gericht.

Mobbing als Ursache der Arbeits­un­fä­higkeit

Der Bundes­ge­richtshof stellt fest, dass es sich vorliegend um einen Versi­che­rungsfall nach § 1 (2) Satz 1 MB/KT handelt. Nach medizinischem Befund habe der Kläger seine berufliche Tätigkeit in der konkreten Ausgestaltung in keiner Weise ausüben können. Die von einem Arzt festgestellten Symptome und Krankheiten des Klägers wie Rücken­be­schwerden, Panikreaktionen und Depressionen seien auf eine Mobbingsi­tuation am Arbeitsplatz zurückzuführen.

Arbeits­un­fä­higkeit bemisst sich nach konkreter, bisher ausgeübter Tätigkeit

Maßgebend für die Feststellung der Arbeits­un­fä­higkeit sei der bisher ausgeübte Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung. Eine bedin­gungs­gemäße Arbeits­un­fä­higkeit liege vor, wenn der Versicherte in seinem bisher ausgeübten Beruf an sich leistungsfähig und lediglich aufgrund besonderer, krankmachender Umstände vorübergehend außerstande sei, seinen Beruf am bisherigen Arbeitsplatz auszuüben. Hierbei müsse die konkrete Tätigkeit der betreffenden Person betrachtet werden und nicht ihre allgemeinen beruflichen Möglichkeiten. Die Arbeits­un­fä­higkeit bemesse sich also nach der bisherigen Art der Berufsausübung, selbst wenn der Versicherte noch in der Lage wäre, andere Tätigkeiten auszuüben. Der Versicherer sei nicht berechtigt, den Versi­che­rungs­nehmer auf Vergleichs­berufe oder sonstige auf dem Arbeitsmarkt angebotene Erwer­b­s­tä­tig­keiten zu verweisen.

Durch Mobbing hervorgerufene gesundheitliche Leiden gelten als Krankheit

Auch wenn Mobbing an sich nicht als Krankheit gelte, so würden jedoch die daraus resultierenden Erkrankungen eine Betrachtung als Krankheit rechtfertigen. Gegen den Einwand der Versicherung, es handele sich lediglich um eine "konflikt­be­dingte Arbeits­plat­zun­ver­träg­lichkeit" und nicht um Arbeits­un­fä­higkeit, spreche die Tatsache, dass die Erkrankungen im vorliegenden Fall auf Umstände im Zusammenhang mit dem bisherigen Arbeitsplatz zurückzuführen seien. Auch die Forderung, der Arbeitnehmer müsse zunächst arbeits­rechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber einleiten, sei nach Meinung des Gerichts abwegig. Wenn Mobbing zu psychischen oder physischen Beein­träch­ti­gungen führe, könne vom Betroffenen nicht verlangt werden, zunächst die Ursache seiner Erkrankung zu beseitigen.

Kläger nicht dauerhaft berufsunfähig

Hätte anstatt einer Arbeits­un­fä­higkeit eine dauerhafte Berufs­un­fä­higkeit vorgelegen, wäre die Versicherung von ihrer Leistungs­pflicht befreit. Im vorliegenden Fall treffe dies jedoch nicht zu. Aus den ärztlichen Stellungnahmen gehe hervor, dass der Mann in einem anderen Arbeitsumfeld uneingeschränkt arbeits- und leistungsfähig wäre. Der Versicherer hätte andernfalls darlegen müssen, dass der Mann im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 Prozent erwerbsunfähig und damit dauerhaft berufsunfähig sei.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/st)

der Leitsatz

MB/KT 94 § 1 (3)

Arbeits­un­fä­higkeit i.S. von § 1 (3) MB/KT 94 liegt auch dann vor, wenn sich der Versicherte an seinem Arbeitsplatz einer tatsächlichen oder von ihm als solcher empfundenen Mobbingsi­tuation ausgesetzt sieht, hierdurch psychisch oder physisch erkrankt und infolgedessen seinem bisher ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausprägung nicht nachgehen kann.

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