Der Kläger im vorliegenden Fall war als Projektleiter für Brandschutzanlagen beschäftigt. Da er sich an seinem Arbeitsplatz einem Mobbingverhalten ausgesetzt sah, das bei ihm zu physischen und psychischen Leiden geführt hatte, befand er sich seit längerer Zeit in ärztlicher Behandlung. Infolge seiner Erkrankungen sah sich der Mann nicht in der Lage, seine bisherige Arbeitstätigkeit auszuüben und nahm deshalb seine Krankentagegeldversicherung mit einem versicherten Tagegeld in Höhe von 117 Euro in Anspruch. Die Versicherung zahlte zunächst, stellte ihre Leistungen jedoch schließlich mit der Begründung ein, dass der Mann zu hundert Prozent arbeitsfähig sei. Ein außergerichtlich eingeholtes Gutachten belege dies. Es liege demnach auch keine Arbeitsunfähigkeit, sondern lediglich eine "konfliktbedingte Arbeitsplatzunverträglichkeit" vor. Der Arbeitnehmer ging gegen diese Entscheidung vor Gericht.
Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass es sich vorliegend um einen Versicherungsfall nach § 1 (2) Satz 1 MB/KT handelt. Nach medizinischem Befund habe der Kläger seine berufliche Tätigkeit in der konkreten Ausgestaltung in keiner Weise ausüben können. Die von einem Arzt festgestellten Symptome und Krankheiten des Klägers wie Rückenbeschwerden, Panikreaktionen und Depressionen seien auf eine Mobbingsituation am Arbeitsplatz zurückzuführen.
Maßgebend für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sei der bisher ausgeübte Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung. Eine bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit liege vor, wenn der Versicherte in seinem bisher ausgeübten Beruf an sich leistungsfähig und lediglich aufgrund besonderer, krankmachender Umstände vorübergehend außerstande sei, seinen Beruf am bisherigen Arbeitsplatz auszuüben. Hierbei müsse die konkrete Tätigkeit der betreffenden Person betrachtet werden und nicht ihre allgemeinen beruflichen Möglichkeiten. Die Arbeitsunfähigkeit bemesse sich also nach der bisherigen Art der Berufsausübung, selbst wenn der Versicherte noch in der Lage wäre, andere Tätigkeiten auszuüben. Der Versicherer sei nicht berechtigt, den Versicherungsnehmer auf Vergleichsberufe oder sonstige auf dem Arbeitsmarkt angebotene Erwerbstätigkeiten zu verweisen.
Auch wenn Mobbing an sich nicht als Krankheit gelte, so würden jedoch die daraus resultierenden Erkrankungen eine Betrachtung als Krankheit rechtfertigen. Gegen den Einwand der Versicherung, es handele sich lediglich um eine "konfliktbedingte Arbeitsplatzunverträglichkeit" und nicht um Arbeitsunfähigkeit, spreche die Tatsache, dass die Erkrankungen im vorliegenden Fall auf Umstände im Zusammenhang mit dem bisherigen Arbeitsplatz zurückzuführen seien. Auch die Forderung, der Arbeitnehmer müsse zunächst arbeitsrechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber einleiten, sei nach Meinung des Gerichts abwegig. Wenn Mobbing zu psychischen oder physischen Beeinträchtigungen führe, könne vom Betroffenen nicht verlangt werden, zunächst die Ursache seiner Erkrankung zu beseitigen.
Hätte anstatt einer Arbeitsunfähigkeit eine dauerhafte Berufsunfähigkeit vorgelegen, wäre die Versicherung von ihrer Leistungspflicht befreit. Im vorliegenden Fall treffe dies jedoch nicht zu. Aus den ärztlichen Stellungnahmen gehe hervor, dass der Mann in einem anderen Arbeitsumfeld uneingeschränkt arbeits- und leistungsfähig wäre. Der Versicherer hätte andernfalls darlegen müssen, dass der Mann im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 Prozent erwerbsunfähig und damit dauerhaft berufsunfähig sei.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.01.2012
Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/st)