21.11.2024
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Dokument-Nr. 7456

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Urteil16.02.2009BundesgerichtshofII ZR 185/07
Vorinstanzen:
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil21.12.2005, 3/9 O 98/03
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil17.07.2007, 5 U 229/05
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil16.02.2009

Leo Kirch mit Anfech­tungsklage gegen Deutsche Bank erfolgreichBeschlüsse über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Bank AG für das Geschäftsjahr 2002 für nichtig erklärt

Der frühere Vorstands­s­precher Rolf Breuer hatte in einem Interview die Kredit­wür­digkeit von Leo Kirch in Zweifel gezogen. Dieser führt verschiede Prozesse gegen die Deutsche Bank. Vor dem Bundes­ge­richtshof hat Kirch nun einen Teilerfolg errungen. Die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats der Deutschen Bank für 2002 durch die Haupt­ver­sammlung sei nichtig, entschied der BGH.

I. Der II. Zivilsenat hatte über die Nichtigkeits- und Anfech­tungs­klagen des Medien­un­ter­nehmers Dr. Leo Kirch (im Folgenden: Kläger zu 1) sowie zweier weiterer Aktionäre der beklagten Deutschen Bank AG (im Folgenden: Kläger zu 2 und 3) zu entscheiden, mit welchen die Kläger einzelne Beschlüsse der Jahres­haupt­ver­sammlung der Deutschen Bank AG vom 10. Juni 2003 angreifen. Während sich alle drei Kläger gegen die Beschlüsse über die Entlastung des Vorstandes sowie des Aufsichtsrates jeweils für das Geschäftsjahr 2002 wenden, richten sich die Klagen der Kläger zu 1 und 2 darüber hinaus auch gegen die Beschlüsse betreffend die Wahl des Abschluss­prüfers für das Geschäftsjahr 2003 sowie die (Listen-)Wahl der vorgeschlagenen Aufsichts­rats­mit­glieder. Hintergrund des Rechtsstreits sind öffentliche Äußerungen des damaligen Vorstands­s­prechers und nachherigen Aufsichts­rats­vor­sit­zenden der Beklagten, Dr. Breuer, vom 4. Februar 2002 über die Kredit­wür­digkeit des Klägers zu 1 und der von ihm beherrschten Unternehmen. Auf diese Äußerungen führt der Kläger zu 1 den Niedergang seiner Unter­neh­mens­gruppe zurück. Dies hat ihn zur Erhebung einer Schaden­s­er­satzklage gegen die Beklagte und zur Erstattung einer Strafanzeige gegen Dr. Breuer veranlasst. Nach Ansicht der Kläger ist Dr. Breuer dadurch in eine Inter­es­sen­kol­lision gegenüber der Beklagten geraten, die mangels Offenlegung zur Unrichtigkeit der Organ­er­klä­rungen gemäß § 161 AktG und u. a. deshalb zur Anfechtbarkeit der Entlas­tungs­be­schlüsse geführt habe.

Im Vordergrund des Rechtsstreits steht die formelle Frage, ob die in der Haupt­ver­sammlung gefassten Beschlüsse mangels ordnungsgemäßer Protokollierung gemäß § 130, § 241 Nr. 2 AktG nichtig sind. Der von der Gesellschaft hinzugezogene Notar hat den Gang der Versammlung aufgezeichnet und diese Aufzeichnungen unmittelbar nach dem Ende der Versammlung – wie es notarieller Praxis in diesen Fällen entspricht – aus Vorsichts­gründen unterzeichnet, sie aber nicht herausgegeben, sondern später durch eine überarbeitete Endfassung ersetzt. Die ursprüngliche Aufzeichnung ist nicht mehr vorhanden. Neben sonstigen Mängeln im Ablauf der Haupt­ver­sammlung beanstanden die Kläger, dass in der Haupt­ver­sammlung gestellte Fragen nicht ordentlich beantwortet worden seien.

II. Nachdem die Klagen in den Vorinstanzen erfolglos geblieben waren, hat der II. Zivilsenat nunmehr auf die Revisionen der Kläger zu 1 bis 3 die Entlas­tungs­be­schlüsse betreffend Vorstand und Aufsichtsrat für nichtig erklärt; die weiter gehenden Revisionen der Kläger zu 1 und 2 waren hingegen nicht erfolgreich.

Siehe im Weiteren die Leitsätze des Urteils.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 31/2009 des BGH vom 16.02.2009

der Leitsatz

a)Ein notarielles Haupt­ver­samm­lungs­pro­tokoll (§ 130 Abs. 1 Satz 1 AktG) hat den Charakter eines Berichts des Notars über seine Wahrnehmungen und muss von ihm nicht in der Haupt­ver­sammlung fertig gestellt, sondern kann auch noch danach im Einzelnen ausgearbeitet und unterzeichnet werden. Urkunde im Sinne des Gesetzes ist erst die von dem Notar autorisierte, unterzeichnete und in den Verkehr gegebene Endfassung.

b)Die Überwachung und Protokollierung der Stimme­n­aus­zählung fällt nicht unter die zwingenden, mit der Nichtig­keits­sanktion des § 241 Nr. 2 AktG bewehrten Proto­kol­lie­rungs­er­for­dernisse gemäß § 130 Abs. 1, 2 und 4 AktG.

c)Eine Unrichtigkeit der gemäß § 161 AktG vom Vorstand und Aufsichtsrat abzugebenden "Entspre­chen­s­er­klä­rungen" führt wegen der darin liegenden Verletzung von Organpflichten zur Anfechtbarkeit jedenfalls der gleichwohl gefassten Entlas­tungs­be­schlüsse, soweit die Organmitglieder die Unrichtigkeit kannten oder kennen mussten.

d)Unrichtig ist oder wird eine Entspre­chen­s­er­klärung gemäß § 161 AktG, wenn entgegen Ziff. 5.5.3 DCGK (Deutscher Corporate Governance Kodex) nicht über das Vorliegen und die praktische Behandlung eines Inter­es­sen­kon­flikts in der Person eines Organmitglieds berichtet wird. Ein solcher Inter­es­sen­konflikt entsteht bereits, wenn ein Dritter eine Schaden­s­er­satzklage gegen die Gesellschaft erhebt, die auf einen Gesetzesverstoß des betreffenden Aufsichts­rats­mit­glieds während seiner früheren Vorstand­s­tä­tigkeit gestützt wird.

e)Eine Satzungs­re­gelung, welche die Durchführung einer Listenwahl der Aufsichts­rats­mit­glieder (§ 101 Abs. 1 AktG) in das Ermessen des Versamm­lungs­leiters stellt, ist wirksam und kann nicht durch einen Geschäfts­ord­nungs­antrag einzelner Aktionäre, eine Einzelwahl durchzuführen, außer Kraft gesetzt werden.

f)Die Anfechtung eines Haupt­ver­samm­lungs­be­schlusses wegen Infor­ma­ti­o­ns­pflicht­ver­let­zungen (§ 131 Abs. 1 Satz 1, § 243 Abs. 4 AktG) setzt die konkrete Angabe der angeblich in der Haupt­ver­sammlung nicht beantworteten Fragen innerhalb der Frist des § 246 Abs. 1 AktG voraus.

g)Im Auskunft­s­er­zwin­gungs­ver­fahren gemäß § 132 AktG ergangene Entscheidungen binden das Gericht im Anfech­tungs­prozess nicht.

Der Erfolg der Anfech­tungsklage eines von mehreren (notwendigen) Streitgenossen kommt im Hinblick auf § 248 Abs. 1 AktG auch den übrigen Streitgenossen zugute, ohne dass es einer Prüfung der von ihnen (zusätzlich) vorgebrachten Anfech­tungs­gründe gegen denselben Haupt­ver­samm­lungs­be­schluss bedarf (vgl. BGHZ 122, 211, 240).

§ 161 AktG - Erklärung zum Corporate Governance Kodex

Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den vom Bundes­mi­nis­terium der Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der "Regie­rungs­kom­mission Deutscher Corporate Governance Kodex" entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden. Die Erklärung ist den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen.

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