24.11.2024
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Dokument-Nr. 4702

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Bundesgerichtshof Urteil16.08.2007

Angebot von Oddset-Wetten ohne staatliche Erlaubnis: BGH zur Strafbarkeit gem. § 284 "Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels" bei sog. AltfällenFreispruch eines Wettbü­ro­be­treibers aufgrund unvermeidbarem Verbotsirrtums

Der Bundes­ge­richtshof (BGH) hat entschieden, dass der bloße Verstoß gegen das Verbot, ohne behördliche Erlaubnis als Privater Sportwetten anzubieten oder zu vermitteln bei so genannten Altfällen, die sich vor der Grund­sat­z­ent­scheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 28. März 2006 ereignet haben, die Verhängung einer Strafe nach § 284 StGB nicht rechtfertigen kann. Diese Auffassung des BGH betrifft ausschließlich die straf­recht­lichen Konsequenzen ungenehmigter Veranstaltung bzw. Vermittlung von Sportwetten in Altfällen, nicht hingegen die verwal­tungs­rechtliche Frage, ob und inwieweit eine entsprechende Betätigung Privater ordnungs­rechtlich unterbunden werden durfte.

Der Angeklagte betrieb im Saarland im Zeitraum zwischen Oktober 2003 bis März 2004 ein Wettbüro, in dem auch die Beteiligung an Sportwetten mit festen Gewinnquoten (sog. Oddset-Wetten) einer auf der Isle of Man ansässigen Firma angeboten wurden. Eine behördliche Erlaubnis besaß der Angeklagte nicht. Das Landgericht hat dahingestellt sein lassen, ob das strafbewehrte Verbot unerlaubten Glücksspiels gegen europäisches Gemeinschaftsrecht und/oder deutsches Verfas­sungsrecht verstößt; es hat den Angeklagten vielmehr vom Vorwurf der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels (§ 284 StGB) freigesprochen, weil er sich wegen der unklaren Rechtslage in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe. Gegen den Freispruch hat die Staats­an­walt­schaft Revision eingelegt.

Das Rechtsmittel blieb erfolglos. Der Senat hat die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden, im Ergebnis bestätigt.

Es bedurfte deshalb keiner Vorlage der Sache an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Klärung der Frage, ob die gesetzliche Regelung über das Sport­wet­ten­monopol im Saarland im Tatzeitraum verfas­sungsgemäß war. Der Senat hat indes zum Ausdruck gebracht, dass er unter Anwendung der tragenden Erwägungen der zum staatlichen Wettmonopol im Freistaat Bayern ergangenen Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG, Urteil v. 28.03.2006 - 1 BvR 1054/01 - ) die Strafnorm des § 284 StGB auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt aus verfas­sungs­recht­lichen Gründen nicht für anwendbar erachtet hätte.

Nach dieser Grund­sat­z­ent­scheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte das staatliche Wettmonopol in seiner gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung einen unver­hält­nis­mäßigen und deshalb mit Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbaren Eingriff in die Berufsfreiheit der an entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Personen dar; denn ein solches Monopol sei verfas­sungs­rechtlich nur gerechtfertigt, wenn es konsequent an seinem legitimen Hauptzweck ausgerichtet werde, nämlich an der Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht. Daran fehlte es in Bayern, weil dort der Vertrieb der Sportwette Oddset dem Erschei­nungsbild der wirtschaftlich effektiven Vermarktung einer grundsätzlich unbedenklichen Freizeit­be­schäf­tigung entsprach.

Diese Beurteilung der Rechtslage durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht trifft nach Auffassung des Senats für den Tatzeitraum auch auf das Saarland zu. Auch dort war deshalb im Tatzeitraum die Berufsfreiheit des privaten Sport­wet­tan­bieters einem unver­hält­nis­mäßigen, mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbaren Eingriff ausgesetzt.

Unter diesen Umständen vermag nach Auffassung des Senats - jedenfalls in Fällen, die sich vor der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts ereigneten (sog. Altfälle) - der bloße Verstoß gegen das Verbot, ohne behördliche Erlaubnis als Privater Sportwetten anzubieten oder zu vermitteln, die Verhängung von Kriminalstrafe nicht zu rechtfertigen. Nach Auffassung des Senats könnte § 284 StGB deshalb auf das Verhalten des Angeklagten nicht angewendet werden. Diese Auffassung des Senats betrifft ausschließlich die straf­recht­lichen Konsequenzen ungenehmigter Veranstaltung bzw. Vermittlung von Sportwetten in Altfällen, nicht hingegen die verwal­tungs­rechtliche Frage, ob und inwieweit eine entsprechende Betätigung Privater ordnungs­rechtlich unterbunden werden durfte.

Erläuterungen

§ 284 Abs. 1 StGB hat folgenden Wortlaut:

"Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtung hierzu bereitstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 115/07 des BGH vom 16.08.2007

der Leitsatz

StGB § 284

Zur Anwendbarkeit des § 284 StGB auf die ohne Vorliegen einer behördlichen Genehmigung betriebene gewerbliche Vermittlung von Sportwetten (sog. Oddset-Wetten) in der Zeit vor der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 (sog. Altfälle).

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