21.11.2024
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Dokument-Nr. 2130

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Bundesverfassungsgericht Urteil28.03.2006

Staatliches Monopol für Sportwetten ist verfas­sungs­widrigMonopol verstößt gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass das staatliche Sport­wet­ten­monopol in der jetzigen Form verfas­sungs­widrig ist. Es verstößt gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit privater Wettanbieter.

Das in Bayern bestehende staatliche Wettmonopol für Sportwetten ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar, weil es in einer Art und Weise ausgestaltet ist, die eine effektive Suchtbekämpfung, die den Ausschluss privater Veranstalter rechtfertigen könnte, nicht sicherstellt. Allerdings führt dies nicht zur Nichtigkeit der angegriffenen Rechtslage. Vielmehr ist der Gesetzgeber verfas­sungs­rechtlich gehalten, den Bereich der Sportwetten bis zum 31. Dezember 2007 neu zu regeln. Ein verfas­sungs­mäßiger Zustand kann sowohl durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols erreicht werden, die sicherstellt, dass es wirklich der Suchtbekämpfung dient, als auch durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltung durch private Wettunternehmen. Will er an einem staatlichen Wettmonopol festhalten, muss er dieses konsequent am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht und der Begrenzung der Wettlei­den­schaft ausrichten. Eine Neuregelung kommt dabei grundsätzlich sowohl durch den Bundes- wie den Landes­ge­setzgeber in Betracht. Während der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung darf das Staats­lot­te­rie­gesetz weiter angewandt werden. Das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, dürfen weiterhin als verboten angesehen und ordnungs­rechtlich unterbunden werden. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht auf die Verfas­sungs­be­schwerde einer Buchmacherin aus München hin.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Das in Bayern bestehende staatliche Wettmonopol für Sportwetten ist in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar. Den an entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Bürgern ist der Ausschluss gewerblicher Wettangebote durch private Wettunternehmen nur dann zumutbar, wenn das bestehende Wettmonopol auch in seiner konkreten Ausgestaltung der Vermeidung und Abwehr von Spielsucht und problematischem Spielverhalten dient. Das Staats­lot­te­rie­gesetz enthält jedoch keine entsprechenden materi­ell­recht­lichen Regelungen und strukturellen Sicherungen, die dies hinreichend gewährleisten.

a) Dem staatlichen Wettmonopol liegen legitime Gemeinwohlziele (Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht; Schutz der Spieler vor betrügerischen Machenschaften seitens der Wettanbieter; Schutz vor irreführender Werbung) zugrunde. Allerdings scheiden fiskalische Interessen des Staates als solche zur Rechtfertigung der Errichtung eines Wettmonopols aus. Eine Abschöpfung von Mitteln aus dem Glücksspiel für Gemein­wohl­zwecke ist nur als Weg zur Suchtbekämpfung und als Konsequenz aus einem öffentlichen Monopolsystem gerechtfertigt, nicht dagegen als selbständiges Ziel. Die gesetzliche Errichtung eines staatlichen Wettmonopols stellt auch ein geeignetes Mittel dar, die mit dem Wetten verbundenen Gefahren zu bekämpfen. Nicht zu beanstanden ist die Annahme des Gesetzgebers, dass eine Marktöffnung zu einer erheblichen Ausweitung von Wettangeboten und diese Ausweitung auch zu einer Zunahme von sucht­be­ein­flusstem Verhalten führen würde. Der Gesetzgeber durfte auch von der Erfor­der­lichkeit eines Wettmonopols ausgehen. Insbesondere hinsichtlich der Suchtgefahren durfte er angesichts seines weiten Beurtei­lungs­spielraums davon ausgehen, dass sie mit Hilfe eines auf die Bekämpfung von Sucht und problematischem Spielverhalten ausgerichteten Wettmonopols mit staatlich verantwortetem Wettangebot effektiver beherrscht werden können als im Wege einer Kontrolle privater Wettunternehmen.

b) Das in Bayern errichtete staatliche Wettmonopol stellt jedoch in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung einen unver­hält­nis­mäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, weil es in einer Weise ausgestaltet ist, die eine effektive Suchtbekämpfung nicht sicherstellt. Das Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren ist allein durch ein staatliches Wettmonopol noch nicht gesichert. Ein Monopol kann auch fiskalischen Interessen des Staates dienen und damit in ein Spannungs­ver­hältnis zur Zielsetzung geraten. Eine konsequente und wirkliche Ausrichtung des Wettmonopols an der Bekämpfung und Begrenzung von Wettsucht und problematischem Spielverhalten muss sich daher in der rechtlichen wie tatsächlichen Ausgestaltung des Wettmonopols positiv ausdrücken. Die gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung des Wettmonopols gewährleistet nicht hinreichend, dass das staatliche Wettangebot konsequent in den Dienst einer aktiven Suchtbekämpfung und der Begrenzung der Wettlei­den­schaft gestellt ist und ein Konflikt mit fiskalischen Interessen des Staates nicht zu Gunsten dieser ausgeht. Das Staats­lot­te­rie­gesetz enthält nahezu ausschließlich Bestimmungen zur Zuständigkeit und Organisation. Das verwal­tungs­rechtliche Regelungs­defizit wird nicht durch den von sämtlichen Ländern ratifizierten Lotte­rie­staats­vertrag ausgeglichen. Zwar ist hierin bestimmt, dass die Veranstaltung, Durchführung und gewerbliche Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen den Erfordernissen des Jugendschutzes nicht zuwiderlaufen und Werbemaßnahmen nicht irreführend und unangemessen sein dürfen sowie dass seitens der Veranstalter, Durchführer und gewerblichen Spielvermittler Informationen über Spielsucht, Prävention und Behand­lungs­mög­lich­keiten bereitzuhalten sind. Dies gewährleistet jedoch allein noch nicht eine Begleitung des Wettangebots durch aktive Maßnahmen zur Suchtbekämpfung.

c) Dieses Regelungs­defizit spiegelt sich darin wider, dass auch tatsächlich eine konsequente Ausrichtung der durch den Freistaat Bayern veranstalteten Wetten am Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren gegenwärtig nicht gegeben ist. Die Veranstaltung der Sportwette ODDSET verfolgt erkennbar auch fiskalische Zwecke. Vor allem aber ist der Vertrieb nicht aktiv an einer Bekämpfung der Suchtgefahren ausgerichtet. Das tatsächliche Erschei­nungsbild entspricht vielmehr dem der wirtschaftlich effektiven Vermarktung einer grundsätzlich unbedenklichen Freizeit­be­schäf­tigung. Dies zeigt eine breit angelegte Werbung, in der das Wetten als sozialadäquate, wenn nicht sogar positiv bewertete Unterhaltung dargestellt wird. Ebenso wenig sind die Vertriebswege für ODDSET auf eine Bekämpfung der Suchtgefahren angelegt. Durch das breit gefächerte Netz von Lotto-Annahmestellen wird die Möglichkeit zum Sportwetten zu einem allerorts verfügbaren „normalen“ Gut des täglichen Lebens. Schließlich ist auch die Präsentation des Wettangebots nicht ausreichend am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht und der Begrenzung der Wettlei­den­schaft ausgerichtet. Die Staatliche Lotte­rie­ver­waltung beschränkt sich auf die Bereithaltung von Informationen zu Spielsucht, Prävention und Behand­lungs­mög­lich­keiten, ohne darüber hinaus eine aktive Suchtprävention zu betreiben.

2. Die Unver­hält­nis­mä­ßigkeit der konkreten tatsächlichen und rechtlichen Ausgestaltung des in Bayern bestehenden staatlichen Wettmonopols erfasst auch den Ausschluss der Vermittlung anderer als der vom Freistaat Bayern veranstalteten Wetten.

3. Der Gesetzgeber ist verfas­sungs­rechtlich gehalten, den Bereich der Sportwetten unter Ausübung seines rechts­po­li­tischen Gestal­tungs­spielraums neu zu regeln. Ein verfas­sungs­mäßiger Zustand kann sowohl durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols erreicht werden, die sicherstellt, dass es wirklich der Suchtbekämpfung dient, als auch durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltung durch private Wettunternehmen. Will der Gesetzgeber an einem staatlichen Wettmonopol festhalten, muss er dieses konsequent am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht und der Begrenzung der Wettlei­den­schaft ausrichten. Zu den erforderlichen Regelungen gehören inhaltliche Kriterien hinsichtlich Art und Zuschnitt der Sportwetten sowie Vorgaben zur Beschränkung ihrer Vermarktung. Die Werbung für das Wettangebot hat sich zur Vermeidung eines Auffor­de­rung­s­cha­rakters bei Wahrung des Ziels, legale Wettmög­lich­keiten anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Wetten zu beschränken. Geboten sind auch Maßnahmen zur Abwehr von Suchtgefahren, die über das bloße Bereithalten von Infor­ma­ti­o­ns­ma­terial hinausgehen. Die Vertriebswege sind so auszuwählen und einzurichten, dass Möglichkeiten zur Realisierung des Spieler- und Jugendschutzes genutzt werden. Schließlich hat der Gesetzgeber die Einhaltung dieser Anforderungen durch geeignete Kontrol­l­in­stanzen sicherzustellen, die eine ausreichende Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates aufweisen. Eine Neuregelung kommt dabei grundsätzlich sowohl durch den Bundes- wie den Landes­ge­setzgeber in Betracht. Für die Neureglung ist eine Frist bis zum 31. Dezember 2007 angemessen. Während der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bleibt die bisherige Rechtslage anwendbar. Das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, dürfen weiterhin als verboten angesehen und ordnungs­rechtlich unterbunden werden. Ob in der Übergangszeit eine Strafbarkeit nach § 284 StGB gegeben ist, unterliegt der Entscheidung der Strafgerichte. Auch in der Übergangszeit muss allerdings bereits damit begonnen werden, das bestehende Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht und einer Begrenzung der Wettlei­den­schaft auszurichten.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 25/06 des BVerfG vom 28.03.2006

der Leitsatz

Ein staatliches Monopol für Sportwetten ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn es konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist.

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