Dokument-Nr. 15495
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- JuS 2013, 945Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2013, Seite: 945
- NJW 2013, 1379Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 1379
- Landgericht Stuttgart, Urteil10.07.2012, 20 KLs 57 Js 58352/11
- Keine Opferentschädigung für schwere Kopfverletzungen bei SchlägereiLandessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil17.02.2012, L 13 VG 68/11
- Haftstrafen für zwei Mitglieder der "Hells Angels" wegen tödlichen Überfalls auf Mitglied einer konkurrierenden Rockergruppe rechtskräftigBundesgerichtshof, Urteil27.01.2011, 4 StR 502/10
Bundesgerichtshof Beschluss20.02.2013
Verabredete Schlägereien schützen nicht vor Strafe: Körperverletzungen trotz Einwilligung zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen sittenwidrigErteilte Zustimmung zu eigenen Verletzungen und verabredeten wechselseitigen Tätlichkeiten unwirksam
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine erteilte Zustimmung zu eigenen Verletzungen und verabredeten wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen rivalisierenden Gruppen unwirksam ist, weil die typischerweise eintretenden gruppendynamischen Prozesse generell mit einem so erheblichen Grad an Gefährdung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Kontrahenten verbunden sind, dass die Grenze der "Sittenwidrigkeit" der Taten überschritten ist.
Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht Stuttgart drei heranwachsende Angeklagte wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu unterschiedlichen Sanktionen des Jugendstrafrechts verurteilt. Sie hatten die Taten als Mitglieder einer Jugendgruppe begangen, die nach vorangegangenen wechselseitigen Provokationen mit Angehörigen einer weiteren Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener verabredet hatte, sich miteinander zu schlagen. Die an dieser faktisch zustande gekommenen Übereinkunft Beteiligten beider Gruppen stimmten zu, die Auseinandersetzung auch mit Faustschlägen und Fußtritten auszutragen. Den Eintritt selbst erheblicher Verletzungen billigten sie jeweils. Im Verlaufe der wechselseitigen Tätlichkeiten erlitten mehrere Angehörige der gegnerischen Gruppe nicht unerhebliche Verletzungen. So musste etwa einer der "Gegner" drei Tage stationär, davon einen Tag auf der Intensivstation, behandelt werden.
LG: Körperverletzungen verstößt trotz Einwilligungen gegen die "guten Sitten"
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen der von ihnen begangen oder als Mittäter der übrigen Gruppenmitglieder zu verantwortenden Körperverletzungen verurteilt. Die von den später Verletzten aus der gegnerischen Gruppe erteilten Einwilligungen in die Schläge und Tritte hat es nicht als Rechtfertigung zugunsten der Angeklagten gewertet. Nach Auffassung des Tatgerichts verstießen die Körperverletzungen trotz dieser Einwilligungen im Sinne von § 228 StGB gegen die "guten Sitten".
BGH sieht Grenze der "Sittenwidrigkeit" bei Taten überschritten
Mit ihren Revisionen haben sich die Angeklagten u.a. gegen diese rechtliche Bewertung gewandt. Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsmittel jedoch verworfen und im Ergebnis die Rechtsauffassung des Landgerichts bestätigt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat bislang bereits Einwilligungen von späteren Opfern von Körperverletzungen keine rechtfertigende Wirkung beigemessen, wenn die Taten mit einer konkreten Gefahr des Todes für die Opfer verbunden sind. Nunmehr hat der 1. Strafsenat deutlich gemacht, dass jedenfalls bei wie hier verabredeten wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen Gruppen § 228 StGB die Wirksamkeit der erteilten Zustimmung zu eigenen Verletzungen regelmäßig ausschließt, weil die typischerweise eintretenden gruppendynamischen Prozesse generell mit einem so erheblichen Grad an Gefährdung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Kontrahenten verbunden sind, dass die Grenze der "Sittenwidrigkeit" der Taten überschritten ist.
Entscheidung wird Auswirkungen auf strafrechtliche Bewertung bei Schlägereien zwischen rivalisierenden Hooligan-Gruppen haben
Die Entscheidung des 1. Strafsenats wird - auch wenn darüber nicht unmittelbar zu entscheiden war - Auswirkungen auf die strafrechtliche Bewertung verabredeter Schlägereien zwischen rivalisierenden Hooligan-Gruppen haben (häufig so genannte Dritte Halbzeit). Selbst wenn solche körperlichen Auseinandersetzungen auf getroffenen Abreden über die Art des "Kampfes" beruhen, werden sich die Taten wegen der typischen Eskalationsgefahren trotz der Einwilligungen sämtlicher Beteiligungen als Verstoß gegen die "guten Sitten" erweisen.
Sportwettkämpfe von Entscheidung nicht betroffen
Dagegen sind mit erheblichen Gesundheitsgefahren verbundene Sportwettkämpfe auch bei Austragung durch Mannschaften nicht betroffen. Das vorhandene Regelwerk der Sportarten, dessen Einhaltung regelmäßig durch eine neutrale Instanz kontrolliert wird, begrenzt üblicherweise den für die Beteiligten vorhandenen Gefährdungsgrad. Wie schon bisher sind strafbare Körperverletzungen hier erst dann gegeben, wenn diese aus grob regelwidrigem Verhalten hervorgehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 25.03.2013
Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online
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