18.10.2024
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Dokument-Nr. 30617

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Bundesgerichtshof Urteil28.07.2021

BGH bestätigt Urteil im bundesweit ersten Cum-Ex-StrafverfahrenCum-Ex-Geschäfte stellen Straftatbestand der Steuer­hin­ter­ziehung dar

Der BGH hat das Urteil im bundesweit ersten Cum-Ex-Strafverfahren bestätigt, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapita­l­er­trag­steuer gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage derartiger Cum-Ex-Geschäfte den Straftatbestand der Steuer­hin­ter­ziehung erfüllt.

Das Landgericht hat den Angeklagten S. im Zusammenhang mit sog. Cum-Ex-Geschäften in den Jahren 2007 bis 2011 wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu einer Bewäh­rungs­strafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt; gegen den Mitangeklagten D. hat es wegen mehrerer Fälle der Beihilfe zur Steuer­hin­ter­ziehung eine Bewäh­rungs­strafe von einem Jahr verhängt. Zudem hat es bei dem Angeklagten S. Taterträge in Höhe von 14 Millionen Euro sowie bei dem Bankhaus W. als der Einzie­hungs­be­tei­ligten in Höhe von ca. 176 Millionen Euro eingezogen.

Wahrheits­widrige Erklärungen zur Erstattung angeblich gezahlter Kapita­l­er­trag­steuer

Der Angeklagte S. und Verantwortliche des Bankhauses W., insbesondere die gesondert Verfolgten Dr. O. und Sc., verabredeten in den Jahren 2007 bis 2011, deutsche Finanzbehörden durch wahrheits­widrige Erklärungen zur Erstattung angeblich gezahlter Kapita­l­er­trag­steuer in Millionenhöhe zu veranlassen, die tatsächlich aber nicht entrichtet wurde. Hierfür plante und organisierte der Angeklagte S. eine Vielzahl vom Bankhaus W. durchgeführter Cum-Ex-Leerver­kaufs­ge­schäfte, die wie folgt abliefen: Das Bankhaus W. kaufte in der Dividen­den­saison der Jahre 2007 bis 2011 von Leerverkäufern jeweils kurz vor dem Haupt­ver­samm­lungstag Aktien mit Dividen­de­n­an­spruch (sog. "Cum-Aktien"); die Leerverkäufer lieferten - wie von vornherein geplant und auch gewollt - Aktien ohne Dividen­de­n­an­spruch (sog. "Ex-Aktien") und leisteten zur Kompensation an das Bankhaus W. je eine Ausgleichs­zahlung (sog. Dividen­den­kom­pen­sa­ti­o­ns­zahlung), für die ab dem Jahr 2007 Kapita­l­er­trag­steuer zu entrichten ist

Bankhaus stellte sich selbst Steuer­be­schei­ni­gungen zur Vorlage bei den Finanzbehörden aus

Allen Beteiligten war als Bankkaufleuten bekannt, dass diese Steuer weder auf Seiten der Leerverkäufer noch sonst einbehalten wurde. Gleichwohl stellte das Bankhaus W. sich selbst Steuer­be­schei­ni­gungen zur Vorlage bei den Finanzbehörden aus, mit denen es - fälsch­li­cherweise - den angeblichen Steuereinbehalt bestätigte. Unter Vorlage dieser Bescheinigungen bei den Finanzbehörden erreichten insbesondere die gesondert Verfolgten Dr. O. und Sc., dass an die Einzie­hungs­be­teiligte zu Unrecht insgesamt über 166 Millionen Euro ausbezahlt wurden. Aus diesen Taterträgen erwirtschaftete die Einzie­hungs­be­teiligte weitere 10 Millionen Euro.

Extra neu gegründete Fonds übernahm Rolle des Leerkäufers

In den Jahren 2009 bis 2011 war der Angeklagte S. noch an weiteren Fällen maßgeblich beteiligt, in denen die umgesetzte Strategie dem Vorgehen in den Eigen­han­dels­fällen des Bankhauses W. entsprach, jedoch eigens für diesen Zweck gegründete Fonds die Rolle des Leerkäufers übernahmen. Nach Vorlage - inhaltlich falscher - Steuer­be­schei­ni­gungen, die den angeblichen Steuereinbehalt für die durchgeführten Cum-Ex-Transaktionen bestätigten, zahlten die Finanzbehörden an die Fonds zu Unrecht über 226 Millionen Euro aus. Der Angeklagte S. profitierte von den Geschäften insgesamt in Höhe von 14 Millionen Euro. Hingegen war der Angeklagte D. an den Profiten nicht beteiligt; ihm kamen auch nur unterstützende Aufgaben zu. Entscheidung des Senats:

BGH: Straftatbestand der Steuer­hin­ter­ziehung erfüllt

Der Bundes­ge­richtshof hat die gegen dieses Urteil von allen Verfah­rens­be­tei­ligten - mit unter­schied­licher Reichweite und Angriffs­richtung - eingelegten Revisionen verworfen und nur den Schuldspruch in Bezug auf den Angeklagten D. unter Aufrecht­er­haltung der verhängten Strafe dahin geändert, als dieser Angeklagte einer einheitlichen Beihilfe schuldig ist. Mit seiner Entscheidung hat der Bundes­ge­richtshof die Auffassung der Vorinstanz bestätigt, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapita­l­er­trag­steuer gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage derartiger Cum-Ex-Geschäfte den Straftatbestand der Steuer­hin­ter­ziehung erfüllt.

Kein Zweifel an vorsätzlicher Begehung

An einer vorsätzlichen Begehung konnte - wie das Landgericht ohne Rechtsfehler ausgeführt hat - kein Zweifel bestehen, weil die Beteiligten um den Dividen­den­stichtag herum bewusst arbeitsteilig auf die Auszahlung nicht abgeführter Kapita­l­er­trag­steuer hingewirkt haben. Zum Zeitpunkt der Begehung der Taten sah das Gesetz bereits in den insoweit einschlägigen Vorschriften eine klare und eindeutige Regelung vor, gegen die die Beteiligten nach den rechts­feh­lerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts verstoßen haben. Dies ergibt sich schon daraus, dass nur die tatsächlich einbehaltene Kapita­l­er­trag­steuer zur Anrechnung und Auszahlung angemeldet werden darf. Zudem betrifft die von der Revision angeführte Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofs zum wirtschaft­lichen Eigentum solche Konstellationen nicht, weil der bloße Abschluss derartiger Leerver­kaufs­a­breden kein wirtschaft­liches Eigentum begründen konnte.

BGH: Einzie­hungs­ent­schei­dungen nicht wegen Verjährung ausgeschlossen

Die Revisionen des Angeklagten S. und des Bankhauses W. gegen die sie betreffenden Einzie­hungs­ent­schei­dungen blieben ohne Erfolg. Das Landgericht hat auf Grundlage der rechts­feh­lerfrei getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen der jeweiligen Einziehung zu Recht bejaht und anhand der erzielten Taterträge und der hieraus gezogenen Nutzungen die Höhe der Einzie­hungs­beträge zutreffend bestimmt. Jedenfalls auf Grund der durch das Jahressteu­er­gesetz 2020 vom 21. Dezember 2020 neu eingeführten Regelung des § 73 e Abs. 1 Satz 2 StGB ist die Einziehung auch nicht wegen Verjährung ausgeschlossen. Ebenso wenig drang die Staats­an­walt­schaft mit ihrer Beanstandung durch, das Landgericht habe bei den Einzie­hungs­a­n­ord­nungen zu Unrecht zugunsten des Angeklagten S. und der Einzie­hungs­be­tei­ligten eine gesamt­s­chuld­ne­rische Haftung angeordnet. Die getroffene Anordnung weist keinen Rechtsfehler auf.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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