18.10.2024
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Dokument-Nr. 4479

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Bundesgerichtshof Urteil03.07.2007

BGH: Zeuge, der unter Tatverdacht gerät, muss über Aussa­ge­ver­wei­ge­rungsrecht belehrt werdenBGH entscheidet zu Beleh­rungs­pflichten der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden

Sobald die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden (Polizei oder Staats­an­walt­schaft) einen Tatverdacht gegen jemanden hegen, den sie in seiner Eigenschaft als Zeugen vernehmen, müssen sie ihn über sein Aussa­ge­ver­wei­ge­rungsrecht aufklären. Das hat der Bundes­ge­richtshof entschieden. Wenn eine solche Belehrung nicht erfolgt, kann die Aussage in einem späteren Gerichts­ver­fahren nicht verwertet werden. Das Karlsruher Gericht hob mit dieser Begründung ein Urteil wegen zweifachen Totschlags auf.

Der 1. Strafsenat des Bundes­ge­richtshofs hat die rechtlichen Voraussetzungen präzisiert, unter denen die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden verpflichtet sind, einen Verdächtigen über seine Beschul­dig­ten­rechte zu belehren.

Mit Urteil der Schwur­ge­richts­kammer beim Landgericht Waldshut-Tiengen vom 10. Mai 2006 wurde der heute 50-jährige Angeklagte wegen Totschlags in zwei Fällen zu lebenslanger Gesamt­frei­heits­strafe verurteilt; die besondere Schwere der Schuld ist nicht festgestellt worden. Nach den Urteils­fest­stel­lungen hatte der Angeklagte am 9. oder 10. Mai 2002 im gemeinsamen Wohnanwesen zunächst seine Ehefrau und dann seine Tochter getötet. Er fügte seiner Ehefrau mit einem schweren großflächigen Gegenstand Schädel­frakturen zu; hinsichtlich der Tötung der Tochter hat die Kammer keine näheren Feststellungen treffen können. Die Leichen versteckte der Angeklagte anschließend in einem 30 Kilometer entfernt liegenden Waldstück. Erst mehr als drei Jahre später wurden die beiden Leichen in weitgehend skelettiertem Zustand entdeckt.

Der Bundes­ge­richtshof hat das Urteil sowohl auf die Revision des Angeklagten als auch – teilweise – auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staats­an­walt­schaft aufgehoben und die Sache an das Landgericht Freiburg zurückverwiesen.

Die Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof hat beanstandet, dass die Schwur­ge­richts­kammer bei der Urteilsfindung die Angaben des Angeklagten bei zwei polizeilichen Vernehmungen verwertet hat, bei denen dieser zu Unrecht nicht als Beschuldigter belehrt worden war. Der Angeklagte, der kurz nach der Tat eine Vermiss­te­n­anzeige bei der Polizei erstattet hatte, war im folgenden halben Jahr von der Polizei fünfmal als Zeuge vernommen worden, noch bevor in dieser Sache ein Ermitt­lungs­ver­fahren wegen des Verdachts einer Straftat eingeleitet worden war. Die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden hatten hiervon abgesehen, weil nach ihrer Beurteilung keine Tatsachen vorlagen, die einen konkreten und ernsthaften Tatverdacht auf Tötungs­ver­brechen begründet hätten, auf Grund dessen sie sich hierzu verpflichtet gesehen hätten.

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die Beurteilung der Verdachtslage durch Staats­an­walt­schaft und Polizei zwar nicht zu beanstanden ist, da der Tatverdacht zur Zeit der Vernehmungen weitgehend auf krimi­na­lis­tischer Erfahrung beruhte. Eine Pflicht zur Beschul­dig­ten­be­lehrung habe gleichwohl bestanden, weil die Ermitt­lungs­beamten bei der ersten der beiden von der Revision angegriffenen Vernehmungen und danach ein Verhalten gezeigt hätten, aus welchem sich für den Angeklagten habe ergeben müssen, dass sie ihm als Beschuldigten begegneten. Ein solcher Verfol­gungswille der Ermitt­lungs­beamten ergebe sich aus dem Ziel, der Gestaltung und den Beglei­t­um­ständen dieser Vernehmung und einer darauf folgenden Suchmaßnahme mit Leichen­such­hunden auf dem Anwesen des Angeklagten. Die Vernehmung habe vornehmlich dazu gedient, mittels krimi­na­lis­tischer Taktik einen Tatnachweis gegen den Angeklagten, von dessen mutmaßlicher Täterschaft sich der Beamte überzeugt gezeigt habe, zu ermöglichen oder einen gegebenenfalls erst später möglichen Tatnachweis zu erleichtern. Die Vernehmung sei von Vorhalten und Fragen geprägt gewesen, die erkennbar auf "Schwachstellen" in den bisherigen Aussagen gezielt und zuletzt in eindringlicher Form auf ein Geständnis hingewirkt hätten (etwa: "Das Gewissen plagt Sie nicht?").

Zudem hat der 1. Strafsenat das Urteil auch auf die Revision der Staats­an­walt­schaft aufgehoben, soweit der Angeklagte (nur) wegen Totschlags an seiner Tochter verurteilt worden war. Die Erwägungen, mit denen die Schwur­ge­richts­kammer das Mordmerkmal der Verde­ckungs­absicht abgelehnt hat, seien nicht frei von Rechtsfehlern.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 88/07 des BGH vom 03.07.2007

der Leitsatz

StPO § 136 Abs. 1, § 163 a Abs. 4

Zur Begründung der Beschul­dig­te­nei­gen­schaft durch die Art und Weise einer Vernehmung (im Anschluss an BGHSt 38, 214).

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