15.11.2024
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Dokument-Nr. 5053

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Urteil24.10.2007Bundesgerichtshof1 StR 160/07, 1 StR 189/07
Vorinstanzen:
  • Landgericht Landshut, Urteil04.12.2006, 3 KLs 52 Js 181/04
  • Landgericht Landshut, Urteil20.12.2006, 3 KLs 52 Js 3295/04
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil24.10.2007

Mögliche Strafbarkeit wegen Nichtabführung von Sozia­l­ver­si­che­rungs­bei­trägen trotz Vorlage einer aufgrund eines bilateralen Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommens ausgestellten Bescheinigung

Mit Urteilen vom 4. Dezember und 20. Dezember 2006 hat das Landgericht Landshut drei Angeklagte unter anderem von Vorwürfen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266 a StGB) von insgesamt 358.327,12 € bzw. 537.343,71 € freigesprochen.

Nach den Urteils­fest­stel­lungen waren die Angeklagten Geschäftsführer oder Bevollmächtigte von unselbständigen Zweignie­der­las­sungen ungarischer Unternehmen in Deutschland. Diese Unternehmen warben in Ungarn Arbeitnehmer für Arbeits­leis­tungen in Betrieben ihrer Werkver­trags­partner in Deutschland an und setzten sie dort ein. Eine Weiter­be­schäf­tigung der Arbeitnehmer nach der Beendigung der Tätigkeit im Bundesgebiet erfolgte nicht. In Ungarn existierten "keine Produk­ti­o­ns­s­tätten", sondern lediglich Räumlichkeiten, in denen nur interne Verwal­tung­s­tä­tig­keiten für die Unternehmen ausgeübt wurden. In Deutschland wurden keine Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge für die Arbeitnehmer abgeführt. Die Angeklagten nahmen für diese den sozia­l­ver­si­che­rungs­recht­lichen Ausnah­me­tat­bestand der Entsendung nach dem Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn vom 2. Mai 1998 in Anspruch, das bis zum Beitritt Ungarns zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 galt. Sämtliche von den Angeklagten in Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer verfügten während ihrer Tätigkeit über gültige D/H101-Bescheinigungen, die Art. 4 der Durch­füh­rungs­ver­ein­barung zu dem Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommen vorsah und denen zufolge die Arbeitnehmer nach Art. 7 des Abkommens ausschließlich dem ungarischen Sozia­l­ver­si­che­rungsrecht unterfielen. Ob für die Arbeitnehmer in Ungarn Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge entrichtet wurden, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Die Wirtschaftss­traf­kammer hat die Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil sie sich daran gehindert gesehen hat, die Sozialversicherungspflicht nach deutschem Recht zu beurteilen. Sie hat sich insoweit an den Inhalt der D/H101-Bescheinigungen gebunden gesehen. Dies haben die Revisionen der Staats­an­walt­schaft erfolgreich beanstandet.

Der Bundes­ge­richtshof hat sich erstmals mit der Frage der Bindungswirkung solcher aufgrund bilateraler Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommen ausgestellter Bescheinigungen befasst, die die Sozia­l­ver­si­che­rungs­pflicht im Ausland bestätigen. Der 1. Strafsenat hat entschieden, dass diese Bescheinigungen – anders als die innerhalb der Europäischen Union verwendeten, nahezu inhaltsgleichen E101-Bescheinigungen – für die Strafgerichte nicht in gleicher Weise bindend sind (BGHSt 51, 124 = Keine Strafbarkeit wegen Nichtabführung von Sozia­l­ver­si­che­rungs­bei­trägen bei Vorlage einer durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft ausgestellten "E 101-Bescheinigung"). Insoweit für maßgebend erachtet er die unter­schiedliche Rechtsnatur von herkömmlichen internationalen völker­recht­lichen Verträgen im Vergleich zum einheitlichen Rechtsraum, wie er für die Europäischen Gemeinschaften kennzeichnend ist. Der 1. Strafsenat brauchte nicht zu entscheiden, ob Bescheinigungen aufgrund bilateraler Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommen eine beschränkte Bindungswirkung zukommen kann; denn eine solche Bindungswirkung fände jedenfalls ihre Grenze dort, wo die Bescheinigungen wie in den zugrunde liegenden Fällen gemessen am Wortlaut des Abkommens (Art. 7) inhaltlich offensichtlich unzutreffend sind. Daher hat der 1. Strafsenat beide freisprechenden Urteile aufgehoben und die Sachen an das Landgericht Landshut zurückverwiesen. Art. 7 des Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn vom 2. Mai 1998: "Wird ein Arbeitnehmer, der in einem Vertragsstaat beschäftigt ist, im Rahmen dieses Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses von seinem Arbeitgeber in den anderen Vertragsstaat entsandt, um dort eine Arbeit für diesen Arbeitgeber auszuführen, so gelten in Bezug auf diese Beschäftigung während der ersten 24 Kalendermonate allein die Rechts­vor­schriften des ersten Vertragsstaat über die Versi­che­rungs­pflicht so weiter, als wäre er noch in dessen Hoheitsgebiet beschäftigt."

Erläuterungen
Art. 7 des Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn vom 2. Mai 1998: "Wird ein Arbeitnehmer, der in einem Vertragsstaat beschäftigt ist, im Rahmen dieses Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses von seinem Arbeitgeber in den anderen Vertragsstaat entsandt, um dort eine Arbeit für diesen Arbeitgeber auszuführen, so gelten in Bezug auf diese Beschäftigung während der ersten 24 Kalendermonate allein die Rechts­vor­schriften des ersten Vertragsstaat über die Versi­che­rungs­pflicht so weiter, als wäre er noch in dessen Hoheitsgebiet beschäftigt."

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 155/07 des BGH vom 24.10.2007

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