21.11.2024
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Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 7597

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Urteil18.03.2009Bundesgerichtshof XII ZR 74/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BGHZ 180, 170Sammlung: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ), Band: 180, Seite: 170
  • DNotZ 2009, 851Deutsche Notar-Zeitschrift (DNotZ), Jahrgang: 2009, Seite: 851
  • FamRZ 2009, 770Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2009, Seite: 770
  • GRUR 2009, 597Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Jahrgang: 2009, Seite: 597
  • JuS 2009, 1154 (Marina Wellenhofer)Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2009, Seite: 1154, Entscheidungsbesprechung von Marina Wellenhofer
  • MDR 2009, 689Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2009, Seite: 689
  • NJW 2009, 1876Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2009, Seite: 1876
  • WRP 2009, 730Zeitschrift: Wettbewerb in Recht und Praxis (WRP), Jahrgang: 2009, Seite: 730
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Pankow/Weißensee, Urteil29.08.2007, 20 F 5145/06
  • Kammergericht Berlin, Urteil25.04.2008, 18 UF 160/07
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil18.03.2009

BGH schränkt Unterhalt für Allein­er­ziehende ein - Allein­er­ziehende müssen schneller wieder einen Vollzeitjob annehmenBGH zur Dauer des nachehelichen Betreuungs­unterhalts - Urteil zum neuen Unterhaltsrecht

Erneut hat der Bundes­ge­richtshof (BGH) eine Entscheidung zum neuen - seit dem 1. Januar 2008 geltenden - Unterhaltsrecht getroffen. Danach müssen Allein­er­ziehende deutlich schneller als früher wieder eine Vollzeitstelle annehmen, wenn es ausreichende Betreuungs­möglichkeiten für das Kind gibt. Dies entschied der BGH im Falle eines Vaters, der der Mutter Betreu­ungs­un­terhalt für einen 7-jährigen Jungen zahlen sollte.

Der u. a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte sich erstmals mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zum 1. Januar 2008 geänderten Anspruch auf nachehelichen Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB) zu befassen.

Streit um nachehelichen Unterhalt

1. Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt. Die seit Januar 2000 verheirateten und seit September 2003 getrennt lebenden Parteien sind seit April 2006 rechtskräftig geschieden. Ihr im November 2001 geborener Sohn wird von der Klägerin betreut. Er besuchte seit 2005 eine Kinder­ta­gesstätte mit Nachmit­tags­be­treuung und geht seit September 2007 zur Schule und danach bis 16.00 Uhr in einen Hort. Die Klägerin ist verbeamtete Studienrätin und seit August 2002 mit knapp 7/10 einer Vollzeitstelle (18 Wochenstunden) erwerbstätig.

Amtsgericht verurteilte den Vater zum Betreuungs- und Aufsto­ckungs­un­terhalt

Das Amtsgericht hat den Beklagten für die Zeit ab Januar 2008 zur Zahlung nachehelichen Betreuungs- und Aufsto­ckungs­un­terhalt in Höhe von monatlich 837 € verurteilt. Die Berufung des Beklagten, mit der er eine Herabsetzung des monatlichen Unterhalts auf 416,32 € und eine zeitliche Befristung der Unter­halts­zah­lungen bis Juni 2009 begehrt, wurde zurückgewiesen.

BGH hebt die Entscheidung auf und verweist die Sache an das Kammergericht (OLG) zurück

Auf seine Revision hat der Bundes­ge­richtshof die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

2. Der Bundes­ge­richtshof hatte über die in Rechtsprechung und Literatur umstrittenen Rechtsfragen zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen dem betreuenden Elternteil eines Kindes Betreu­ungs­un­terhalt zusteht und ob dieser Anspruch zeitlich befristet werden kann.

Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung sind hinsichtlich der Verlängerung des Unter­halts­an­spruchs der Mutter zur berücksichtigen

Nach § 1570 BGB in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung kann ein geschiedener Ehegatte von dem anderen wegen der Pflege und Erziehung eines gemeinsamen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen. Die Dauer des Unter­halts­an­spruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen. Die Dauer des Anspruchs auf Betreu­ungs­un­terhalt verlängert sich darüber hinaus, wenn dies unter Berück­sich­tigung der Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwer­b­s­tä­tigkeit in der Ehe sowie der Dauer der Ehe der Billigkeit entspricht.

Mit der Einführung des "Basisunterhalts" hat der Gesetzgeber dem betreuenden Elternteil die Entscheidung überlassen, ob er das Kind in dessen ersten drei Lebensjahren selbst erziehen oder eine andere Betreu­ungs­mög­lichkeit in Anspruch nehmen will. Ein gleichwohl während der ersten drei Lebensjahre erzieltes Einkommen ist damit stets überob­li­ga­torisch. Der betreuende Elternteil kann deswegen in dieser Zeit auch eine schon bestehende Erwer­b­s­tä­tigkeit wieder aufgeben und sich voll der Erziehung und Betreuung des Kindes widmen. Erzielt er gleichwohl eigene Einkünfte, weil das Kind auf andere Weise betreut wird, ist das überob­li­ga­torisch erzielte Einkommen allerdings nicht völlig unberück­sichtigt zu lassen, sondern nach den Umständen des Einzelfalles anteilig zu berücksichtigen.

Ab Vollendung des dritten Lebensjahres Betreu­ungs­un­terhalt nur noch aus Billig­keits­gründen

Für die Zeit ab Vollendung des dritten Lebensjahres steht dem betreuenden Elternteil nach der gesetzlichen Neuregelung nur noch ein Anspruch auf Betreu­ungs­un­terhalt aus Billig­keits­gründen zu (s. o.). Damit verlangt die Neuregelung allerdings regelmäßig keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzei­t­er­wer­b­s­tä­tigkeit. Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kind- und elternbezogenen Gründe ist auch nach dem neuen Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzei­t­er­wer­b­s­tä­tigkeit möglich.

Kindbezogene Verlän­ge­rungs­gründe

Im Rahmen der Billig­keits­prüfung haben kindbezogene Verlän­ge­rungs­gründe das stärkste Gewicht. Vorrangig ist deswegen stets der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Betreuung des Kindes auf andere Weise gesichert ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Neugestaltung des nachehelichen Betreu­ungs­un­terhalts in § 1570 BGB für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres den Vorrang der persönlichen Betreuung durch die Eltern gegenüber einer anderen kindgerechten Betreuung aufgegeben hat. Damit hat der Gesetzgeber auf den zahlreichen sozial­staat­lichen Leistungen und Regelungen aufgebaut, die den Eltern dabei behilflich sein sollen, Erwer­b­s­tä­tigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können, insbesondere auf den Anspruch des Kindes auf den Besuch einer Tagespflege. In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine solche Einrichtung besucht oder unter Berück­sich­tigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, kann sich der betreuende Elternteil also nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes berufen.

Alter­spha­sen­modell gilt nicht mehr

Soweit demgegenüber in Rechtsprechung und Literatur zu der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des § 1570 BGB abweichende Auffassungen vertreten werden, die an das frühere Alter­spha­sen­modell anknüpfen und eine Verlängerung des Betreu­ungs­un­terhalts allein vom Kindesalter abhängig machen, sind diese im Hinblick auf den eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht haltbar.

Unter­halts­an­spruch bei einer überob­li­ga­ti­o­ns­mäßigen Belastung

Soweit die Betreuung des Kindes sichergestellt oder auf andere Weise kindgerecht möglich ist, können einer Erwer­b­s­ob­lie­genheit des betreuenden Elternteils allerdings auch andere Gründe entgegenstehen, insbesondere der Umstand, dass der ihm verbleibende Betreu­ungs­anteil neben der Erwer­b­s­tä­tigkeit zu einer überob­li­ga­ti­o­ns­mäßigen Belastung führen kann. Hinzu kommen weitere Gründe nachehelicher Solidarität, etwa ein in der Ehe gewachsenes Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollen­ver­teilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Kinderbetreuung.

Im Streitfall konnte das Kind bis 16.00 Uhr einen Hort besuchen

3. Diesen gesetzlichen Vorgaben des neuen Unter­halts­rechts trug die angefochtene Entscheidung nicht hinreichend Rechnung. Das Berufungs­gericht hat bei der Bemessung der Erwerbspflicht der Klägerin vorrangig auf das Alter des Kindes abgestellt und nicht hinreichend berücksichtigt, dass es nach Beendigung der Schulzeit bis 16.00 Uhr einen Hort aufsucht und seine Betreuung in dieser Zeit auf andere Weise sichergestellt ist. Konkrete gesundheitliche Einschränkungen, die eine zusätzliche persönliche Betreuung in dieser Zeit erfordern, hat das Berufungs­gericht nicht festgestellt. Ferner hat das Berufungs­gericht auch nicht ermittelt, ob die Klägerin als Lehrerin im Falle einer vollschichtigen Erwer­b­s­tä­tigkeit (26 Wochenstunden) über 16.00 Uhr hinaus arbeiten müsste. Die Billig­keits­ab­wägung, ob der Aspekt einer überob­li­ga­ti­o­ns­mäßigen Beanspruchung durch Erwer­b­s­tä­tigkeit und Kindesbetreuung oder durch andere elternbezogene Gründe zu einer eingeschränkten Erwer­b­s­ob­lie­genheit führt, obliegt grundsätzlich dem Tatrichter und kann vom Bundes­ge­richtshof nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Zwar mag die Entscheidung des Kammergerichts im Ergebnis gerechtfertigt sein. Da es indes an den erforderlichen Feststelllungen und der entsprechenden Billig­keits­ab­wägung durch das Berufungs­gericht fehlt, hat der Bundes­ge­richtshof das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurück­zu­ver­weisen.

4. Die vom Beklagten begehrte Befristung des Betreu­ungs­un­terhalts nach § 1578 b BGB scheidet schon deswegen aus, weil § 1570 BGB in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung eine Sonderregelung für diese Billig­keits­ab­wägung enthält und insoweit bereits alle Umstände des Einzelfalles abschließend zu berücksichtigen sind.

Übergangszeit

Das schließt es aber nicht aus, die Höhe des Betreu­ungs­un­terhalts in Fällen, in denen keine ehe- oder erzie­hungs­be­dingten Nachteile mehr vorliegen, nach Ablauf einer Übergangszeit zu begrenzen. Im Einzelfall kann dann der von einem höheren Einkommen des Unter­halts­pflichtigen abgeleitete Unter­halts­an­spruch nach den ehelichen Lebens­ver­hält­nissen auf einen Unter­halts­an­spruch nach der eigenen Lebensstellung des Unter­halts­be­rech­tigten herabgesetzt werden. Diese Voraussetzungen lagen hier indes nicht vor, weshalb der Senat die Entscheidung des Kammergerichts, den Unterhalt nicht zusätzlich zu begrenzen, gebilligt hat.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 62/2009 des BGH vom 18.03.2009

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