18.10.2024
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Bundesfinanzhof Urteil05.10.2006

Pharma­un­ter­nehmen muss Steuerfahndung Auskunft erteilenVerdacht der Steuer­ver­kürzung genügt

Aufgabe der Steuerfahndung ist es nicht nur, Steuer­straftaten zu erforschen, sondern insbesondere bislang unbekannte Steuer­ver­kür­zungen aufzudecken und die zur korrekten Besteuerung erforderlichen Sachverhalte zu ermitteln. Allerdings darf sie – wie die Rechtsprechung zu den Samme­laus­kunft­s­er­suchen bei Banken deutlich gemacht hat – keine Ermittlungen “ins Blaue hinein”, Raster­fahn­dungen, Ausfor­schungs­durch­su­chungen oder ähnliche nur auf einen Pauscha­l­verdacht gegründete Ermittlungen führen. Besteht allerdings aufgrund bestimmter Anhaltspunkte oder Erkenntnisse ein Anlass anzunehmen, dass weitere Nachforschungen zu steue­rer­heb­lichen Tatsachen führen könnten, darf die Fahndung von ihren Ermitt­lungs­be­fug­nissen umfassend Gebrauch machen, insbesondere sachdienliche Informationen durch Befragungen bzw. Auskunft­s­er­suchen einholen.

Ob ein derart hinreichender Anlass für ein Auskunfts­ver­langen vorlag, hatte der Bundesfinanzhof auf die Klage und Revision eines Arznei­mit­tel­her­stellers zu prüfen. Diesen hatte die Steuerfahndung aufgefordert, die 50 Apotheken zu benennen, an die er in vorangegangenen Jahren die meisten Hormonspiralen geliefert hatte, und die Anzahl der jeweils pro Jahr gelieferten Spiralen mitzuteilen. In einigen Betrie­b­sprü­fungen bei Gynäkologen, die diese Spirale bei verschiedenen nicht ortsansässigen Apotheken eingekauft und bei Patientinnen – die Krankenkasse kommt für diese Behandlung nicht auf – gegen Bar- oder Scheckzahlung eingesetzt hatten, war nämlich festgestellt worden, dass die Ärzte den Vorgang nicht bzw. nicht vollständig in ihrer Buchführung erfasst hatten.

Das höchste deutsche Steuergericht gab den Fahndern Recht. Es sah die bei den geprüften Gynäkologen getroffenen Feststellungen wegen der nicht unerheblichen Steuer­ver­kür­zungen je Einzelfall als Anlass, der weitere Ermittlungen rechtfertige. Da die vom Pharma­un­ter­nehmen erbetene Auskunft geeignet erschien, Vorin­for­ma­tionen für weitere Ermittlungen zu liefern, musste es die gewünschten Informationen herausgeben. Den Einwand, als bloßer Hersteller der Hormonspirale habe das Unternehmen selbst in keinerlei Beziehung zu den Ärzten oder zu sonstigen Umständen der möglichen Steuer­ver­kürzung gestanden, hielt der Bundesfinanzhof für unbeachtlich.

Allgemein formuliert bedeutet dies: Deckt die Betriebsprüfung in einzelnen Fällen Steuer­ver­kür­zungen auf, die in der Geschäfts­ab­wicklung eines typischen Tätig­keits­be­reichs der geprüften Steuer­pflichtigen ihre Ursache haben und durch spezifische Gesche­hens­a­bläufe in der Berufsgruppe bzw. Betriebssparte dieser Steuer­pflichtigen begünstigt worden sind, darf die Steuerfahndung weitergehende sog. Vorfeld-Ermittlungen führen, wenn erwartet werden kann, dass sie Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen liefern. Die Verpflichtung, die entsprechenden Auskünfte zu erteilen, ist dem Einzelnen aus Gründen des Allgemeinwohls als allgemeine staats­bür­gerliche Pflicht auferlegt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 11/07 des BFH vom 31.01.2007

der Leitsatz

AO 1977 § 93, § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 208 Abs. 1 Satz 2

1. Ein hinreichender Anlass für Ermittlungen der Steuerfahndung zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle nach § 93, § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 kann auch dann vorliegen, wenn bei Betrie­b­sprü­fungen Steuer­ver­kür­zungen aufgedeckt worden sind, die durch bestimmte für die Berufsgruppe typische Geschäfts­a­bläufe begünstigt worden sind. Eine nur geringe Anzahl bereits festgestellter Steuer­ver­kür­zungen allein steht dann der Aufnahme von Vorfel­der­mitt­lungen nicht entgegen.

2. Die Befragung Dritter, auch wenn sie mit den möglichen Steuer­ver­kürzern in keiner unmittelbaren Beziehung stehen, ist --ohne dass es eines Anlasses in ihrer Person oder Sphäre bedürfte-- gerechtfertigt, wenn die Steuerfahndung aufgrund ihrer Vorerkenntnisse nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auskunft zu steue­rer­heb­lichen Tatsachen zu führen vermag.

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