14.11.2024
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Bundesfinanzhof Beschluss25.04.2018

BFH äußert Zweifel an Verfassungs­mäßigkeit der Nachzah­lungs­zinsenGesetzlich festgelegter Zinssatz überschreitet angemessenen Rahmen der wirtschaft­lichen Realität erheblich

Der Bundesfinanzhof hat Zweifel an der Verfassungs­mäßigkeit von Nachzah­lungs­zinsen für Verzinsungs­zeit­räume ab dem Jahr 2015 geäußert. Das Gericht gewährte daher in einem summarischen Verfahren Aussetzung der Vollziehung. Die Entscheidung ist zu §§ 233a, 238 der Abgabenordnung (AO) ergangen. Danach betragen die Zinsen für jeden Monat einhalb Prozent einer nachzuzahlenden oder zu erstattenden Steuer. Allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung vereinnahmte der Fiskus im Bereich der Zinsen nach § 233 a AO in den letzten Jahren mehr als 2 Mrd. Euro.

Im zugrunde liegenden Streitfall setzte das Finanzamt die von den Antragstellern für das Jahr 2009 zu entrichtende Einkommensteuer zunächst auf 159.139 Euro fest. Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das Finanzamt am 13. November 2017 die Einkom­men­steu­er­fest­setzung auf 2.143.939 Euro. Nachzuzahlen war eine Steuer von 1.984.800 Euro. Das Finanzamt verlangte zudem in dem mit der Steuer­fest­setzung verbundenen Zinsbescheid für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 Nachzah­lungs­zinsen in Höhe von 240.831 Euro. Die Antragsteller begehren die Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheids, da die Höhe der Zinsen von einhalb Prozent für jeden Monat verfas­sungs­widrig sei. Das Finanzamt und das Finanzgericht lehnten dies ab.

Realitätsferne Bemessung des Zinssatzes verletzt allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes

Demgegenüber gab der Bundesfinanzhof dem Antrag statt und setzte die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang aus. Nach dem Beschluss des Bundes­fi­nanzhofs bestehen im Hinblick auf die Zinshöhe für Verzin­sungs­zeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfas­sungs­mä­ßigkeit von § 233 a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Der Bundesfinanzhof begründete dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaft­lichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Markt­zins­niveaus strukturell und nachhaltig verfestigt habe.

Gesetzliche Zinshöhe sachlich nicht gerechtfertigt

Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe bestehe bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht. Auf Grund der auf moderner Daten­ver­a­r­bei­tungs­technik gestützten Automation in der Steuer­ver­waltung könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwal­tungs­ver­ein­fachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz im Sinne des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr entgegenstehen. Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzin­sungs­pflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuer­pflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichten­t­richtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrig­zins­niveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.

Es bestünden überdies schwerwiegende verfas­sungs­rechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechts­s­taats­prinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspreche. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrig­zins­niveaus wie ein rechts­grundloser Zuschlag auf die Steuer­fest­setzung.

Gesetzgeber ist zur Überprüfung der Höhe von Nachzah­lungs­zinsen verpflichtet

Der Gesetzgeber sei im Übrigen von Verfassungs wegen gehalten zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zu der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten gesetzlichen Höhe von Nachzah­lungs­zinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrig­zins­niveaus aufrecht­zu­er­halten sei oder die Zinshöhe herabgesetzt werden müsse. Dies habe er selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis heute nichts getan, obwohl er vergleichbare Zinsregelungen in der Abgabenordnung und im Handels­ge­setzbuch dahin gehend geändert habe.

Quelle: Bundesfinanzhof/ra-online

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