01.11.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil12.01.2005

Inhalts­kon­trolle eines formularmäßigen Änderungs­vor­behaltsGrenzen für Gehaltswiderruf

Nach § 308 Nr. 4 BGB ist die formularmäßige Vereinbarung eines Rechts des Arbeitgebers, die versprochene Vergütung zu ändern oder von ihr abzuweichen, unwirksam, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berück­sich­tigung der Interessen des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer zumutbar ist. Diese Regelung gilt seit dem 1. Januar 2002. Auf Arbeitsverträge, die vor dem 1. Januar 2002 begründet worden sind, findet sie seit dem 1. Januar 2003 Anwendung.

Dem Kläger stand nach einem Formu­la­r­a­r­beits­vertrag vom 9. Juli 1998 neben dem Tariflohn u.a. eine außertarifliche Zulage von zuletzt 227,72 Euro brutto und ein Fahrt­kos­te­n­ersatz von 12,99 Euro arbeitstägig zu. Im Vertrag heißt es, die Firma habe das Recht, "diese übertariflichen Lohnbe­standteile jederzeit unbeschränkt zu widerrufen". Mit Schreiben vom 11. April 2003 widerrief die beklagte Arbeitgeberin die genannten Leistungen gegenüber allen Arbeitnehmern unter Berufung auf ihre schlechte wirtschaftliche Situation.

Das Bundes­a­r­beits­gericht hat die Entscheidungen der Vorinstanzen, der Widerruf sei rechtsunwirksam, nicht bestätigt:

Die Vereinbarung eines Widerrufsrechts ist nach Auffassung des Senats für den Arbeitnehmer jedenfalls dann zumutbar und deshalb wirksam, wenn ihm die tarifliche oder mindestens die übliche Vergütung verbleibt und der Schutz gegenüber Änderungs­kün­di­gungen nicht umgangen wird. Das setzt voraus, dass der Widerruf höchstens 25 bis 30 % der Gesamtvergütung erfasst. Darüber hinaus darf der Widerruf nicht ohne Grund erfolgen. Dies muss sich aus der vertraglichen Regelung selbst ergeben, die zumindest auch die Art der Widerrufsgründe (z.B. wirtschaftliche Gründe, Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers) benennen muss.

Diesen Minde­st­an­for­de­rungen wird der Vertrag vom 9. Juli 1998 nicht gerecht. Zwar erfasst der Widerruf weniger als 25 % der bisherigen Gesamtvergütung und es verbleibt dem Kläger mindestens die tarifliche Vergütung. Auch hat die Beklagte wirtschaftliche Gründe für den Widerruf geltend gemacht, die die Vereinbarung eines Wider­rufs­vor­behalts rechtfertigen können. Jedoch sind solche Gründe vertraglich nicht benannt. Das führt zur Unwirksamkeit der Wider­rufs­re­gelung.

Die unwirksame Vertragsklausel fällt bei dem hier vorliegenden Altfall nicht ersatzlos weg. Da die Unwirksamkeit allein auf förmlichen Anforderungen beruht, die die Parteien bei Vertrags­ab­schluss nicht kennen konnten, würde eine Bindung der Arbeitgeberin an die vereinbarte Leistung ohne Wider­rufs­mög­lichkeit unver­hält­nismäßig in die Privatautonomie eingreifen. Deshalb ist die entstandene Lücke durch eine ergänzende Vertrags­aus­legung zu schließen. Es liegt nahe, dass die Parteien bei Kenntnis der nachträglich in Kraft getretenen gesetzlichen Anforderungen an die Wider­rufs­ver­ein­barung jedenfalls die von der Beklagten geltend gemachten wirtschaft­lichen Gründe mit einbezogen hätten. Das Landes­a­r­beits­gericht muss deshalb in einer neuen Verhandlung das Vorliegen dieser vom Kläger bestrittenen Gründe sowie die Einhaltung billigen Ermessens durch die Beklagte prüfen.

Hinweis zur Vorinstanz: Landes­a­r­beits­gericht Hamm, Urteil vom 11. Mai 2004 - 19 Sa 2132/03 -

Quelle: Pressemitteilung Nr. 1/05 des Bundesarbeitsgerichts

der Leitsatz

1. Die Vertragsklausel in einem Formu­la­r­a­r­beits­vertrag, nach der dem Arbeitgeber das Recht zustehen soll, "übertarifliche Lohnbe­standteile jederzeit unbeschränkt zu widerrufen", ist gem § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.

2. Wurde der Formu­la­r­a­r­beits­vertrag vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossen, kommt eine ergänzende Vertrags­aus­legung zur Schließung der entstandenen Lücke in Betracht. Es gelten dann die Widerrufsgründe, die die Vertrags­parteien zugrunde gelegt hätten, wenn ihnen die gesetzlich angeordnete Unwirksamkeit der Wider­rufs­klausel bekannt gewesen wäre.

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