21.11.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil13.12.2023

Verdächtige Krankschreibung nach Entlassung - Zur Erschütterung des Beweiswerts von Arbeits­un­fä­higkeits­bescheinigungenGesamt­be­trachtung kann Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeits­un­fä­higkeit des Arbeitnehmers geben

Der Beweiswert von (Folge-)Arbeits­un­fä­higkeits­bescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folge­bescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeits­verhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.

Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2. Mai 2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6. Mai 2022 vor. Mit Schreiben vom 2. Mai 2022, das dem Kläger am 3. Mai 2022 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeits­ver­hältnis zum 31. Mai 2022. Mit Folge­be­schei­ni­gungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20. Mai 2022 und bis zum 31. Mai 2022 (einem Dienstag) bescheinigt.

Arbeitnehmer war genau am Tag für die Aufnahme der neuen Beschäftigung wieder gesund

Ab dem 1. Juni 2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgelt­fort­zahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeits­un­fä­higkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgelt­fort­zahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31. Mai 2022 stattgegeben.

Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung durch tatsächliche Umstände erschüttern

Die Revision der Beklagten hatte teilweise - bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 - Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeits­un­fä­higkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamt­be­trachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeits­un­fä­higkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landes­a­r­beits­gericht bei der Prüfung des Beweis-werts von Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen, die während einer laufenden Kündigungs-frist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeits­un­fä­higkeit eine oder mehrere Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen vorgelegt wer-den. Stets erforderlich ist allerdings eine einzel­fa­ll­be­zogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungs­gericht richtig erkannt, dass für die Bescheinigung vom 2. Mai 2022 der Beweiswert nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeits­un­fä­higkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Kläger zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das Landes­a­r­beits­gericht hat insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folge­be­schei­ni­gungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeits­un­fä­higkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass nunmehr der Kläger für die Zeit vom 7. bis zum 31. Mai 2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krank­heits­be­dingter Arbeits­un­fä­higkeit als Voraussetzung für den Entgelt­fort­zah­lungs­an­spruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trägt. Da das Landes­a­r­beits­gericht - aus seiner Sicht konsequent - hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landes­a­r­beits­gericht zurück­zu­ver­weisen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/pt)

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