Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Dezember 1996 stimmte ein fast 17-jähriger Jugendlicher, der bei der öffentlichen Stadtreinigung Berlins eine Ausbildung als Industriemechaniker absolvierte, in der Ausbildungsgruppe das "Auschwitzlied" an, um es danach mit fast der Hälfte der Ausbildungsgruppe mehrfach zu singen. Das Lied enthielt Textpassagen, wie "haltet die Öfen bereit" und "Juden werden getrieben". Zudem fertigte der Auszubildende im Februar 1997 ein 25 x 5 cm großes Schild an. Auf diesem stand in 5 mm Größe "Arbeit macht frei - Türkei schönes Land". Dieses Schild brachte er an dem Arbeitsplatz eines türkischen Kollegen an. Die Stadtreinigung hielt das Verhalten für unzumutbar und kündigte daher das Ausbildungsverhältnis fristlos. Dagegen richtete sich die Klage des Auszubildenden.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Berlin gaben der Klage statt. Zwar habe der Auszubildende erheblich gegen seine Pflichten verstoßen. Die fristlose Kündigung sei aber unverhältnismäßig gewesen, da zuvor eine Abmahnung habe ausgesprochen werden müssen. Gegen diese Entscheidung legte die Stadtreinigung Revision ein.
Das Bundesarbeitsgericht wertete die Herstellung und das Anbringen des Schilds als eine schwerwiegende Pflichtverletzung. Seiner Ansicht nach habe der Auszubildende seinen Kollegen zwar nicht in ein Konzentrationslager gewünscht. Er habe ihm aber zu verstehen gegeben, er möge seinem Arbeitseifer lieber in der Türkei nachgehen. Damit habe er seinen Mitauszubildenden verschlüsselt des Landes verwiesen, ihm aufgrund seiner nationalen Heimat Gleichwertigkeit abgesprochen und ihn verächtlich gemacht. Er habe ihn damit grob beleidigt. Durch sein ausländerfeindliches Verhalten habe der Auszubildende die innerbetriebliche Verbundenheit unter den Auszubildenden gestört und das Ansehen der öffentlichen Stadtreinigung gefährdet.
Das Bundesarbeitsgericht sah ebenfalls in dem Vortragen des "Auschwitzlieds" einen schwerwiegenden Verstoß gegen die betriebliche Ordnung. Denn der Auszubildende habe durch sein Verhalten den vom Nationalsozialismus organisierten und industrialisierten Massenmord, der unter anderem im Vernichtungslager Auschwitz verübt wurde, verharmlost bzw. verherrlicht. Die Stadtreinigung sei verpflichtet gewesen dagegen einzuschreiten.
Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts sei eine vorherige Abmahnung des Auszubildenden jedoch nicht zwingend erforderlich gewesen. Das Landesarbeitsgericht habe übersehen, dass bei besonders schwerwiegenden Verstößen eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich sei. Denn in solchen Fällen sei regelmäßig davon auszugehen, dass das pflichtwidrige Verhalten das für das Arbeits- und Ausbildungsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört habe.
Das Bundesarbeitsgericht hob daher das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und wies den Fall zur Neuentscheidung zurück. Es habe überprüfen müssen, ob eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Dabei sei zu Gunsten des Auszubildenden zu berücksichtigen gewesen, dass er angesichts seines jugendlichen Alters, verbunden mit Unreife und Geltungsdrang, seiner Entschuldigung sowie der fehlende Unterstützung durch seine Eltern während des Vorfalls zukünftig sein Verhalten möglicherweise ändere.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.09.2015
Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)