21.11.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 21523

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Urteil01.07.1999Bundesarbeitsgericht2 AZR 676/98
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • AuR 2000, 72Zeitschrift: Arbeit und Recht (AuR), Jahrgang: 2000, Seite: 72
  • BB 1999, 2302Zeitschrift: Betriebs-Berater (BB), Jahrgang: 1999, Seite: 2302
  • DB 1999, 2216Zeitschrift: Der Betrieb (DB), Jahrgang: 1999, Seite: 2216
  • NZA 1999, 1270Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Jahrgang: 1999, Seite: 1270
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Vorinstanz:
  • Landesarbeitsgericht Berlin, Urteil30.01.1998, 16 Sa 128/97
ergänzende Informationen

Bundesarbeitsgericht Urteil01.07.1999

Auslän­der­feindliche Äußerungen eines Auszubildenden können fristlose Kündigung rechtfertigenVorherige Abmahnung aufgrund Schwere der Pflicht­ver­letzung grundsätzlich entbehrlich

Befestigt ein Auszubildender am Arbeitsplatz eines Kollegen ein Schild mit der Aufschrift "Arbeit macht frei - Türkei schönes Land" und singt er das "Auschwitzlied", so verletzt er schwerwiegend seine Pflichten. Dies kann ohne vorherige Abmahnung die fristlose Kündigung des Auszubildenden rechtfertigen. Dies hat das Bundes­arbeits­gericht entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Dezember 1996 stimmte ein fast 17-jähriger Jugendlicher, der bei der öffentlichen Stadtreinigung Berlins eine Ausbildung als Indus­trie­me­chaniker absolvierte, in der Ausbil­dungs­gruppe das "Auschwitzlied" an, um es danach mit fast der Hälfte der Ausbil­dungs­gruppe mehrfach zu singen. Das Lied enthielt Textpassagen, wie "haltet die Öfen bereit" und "Juden werden getrieben". Zudem fertigte der Auszubildende im Februar 1997 ein 25 x 5 cm großes Schild an. Auf diesem stand in 5 mm Größe "Arbeit macht frei - Türkei schönes Land". Dieses Schild brachte er an dem Arbeitsplatz eines türkischen Kollegen an. Die Stadtreinigung hielt das Verhalten für unzumutbar und kündigte daher das Ausbil­dungs­ver­hältnis fristlos. Dagegen richtete sich die Klage des Auszubildenden.

Arbeitsgericht und Landes­a­r­beits­gericht geben Klage statt

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landes­a­r­beits­gericht Berlin gaben der Klage statt. Zwar habe der Auszubildende erheblich gegen seine Pflichten verstoßen. Die fristlose Kündigung sei aber unver­hält­nismäßig gewesen, da zuvor eine Abmahnung habe ausgesprochen werden müssen. Gegen diese Entscheidung legte die Stadtreinigung Revision ein.

Bundes­a­r­beits­gericht sieht in Herstellung und Anbringung des Schilds schwerwiegende Pflicht­ver­letzung

Das Bundes­a­r­beits­gericht wertete die Herstellung und das Anbringen des Schilds als eine schwerwiegende Pflicht­ver­letzung. Seiner Ansicht nach habe der Auszubildende seinen Kollegen zwar nicht in ein Konzen­tra­ti­o­nslager gewünscht. Er habe ihm aber zu verstehen gegeben, er möge seinem Arbeitseifer lieber in der Türkei nachgehen. Damit habe er seinen Mitaus­zu­bil­denden verschlüsselt des Landes verwiesen, ihm aufgrund seiner nationalen Heimat Gleich­wer­tigkeit abgesprochen und ihn verächtlich gemacht. Er habe ihn damit grob beleidigt. Durch sein auslän­der­feind­liches Verhalten habe der Auszubildende die inner­be­triebliche Verbundenheit unter den Auszubildenden gestört und das Ansehen der öffentlichen Stadtreinigung gefährdet.

Schwerwiegender Verstoß gegen betriebliche Ordnung aufgrund "Auschwitzlied"

Das Bundes­a­r­beits­gericht sah ebenfalls in dem Vortragen des "Auschwitzlieds" einen schwerwiegenden Verstoß gegen die betriebliche Ordnung. Denn der Auszubildende habe durch sein Verhalten den vom Natio­nal­so­zi­a­lismus organisierten und indus­tri­a­li­sierten Massenmord, der unter anderem im Vernich­tungslager Auschwitz verübt wurde, verharmlost bzw. verherrlicht. Die Stadtreinigung sei verpflichtet gewesen dagegen einzuschreiten.

Vorherige Abmahnung bei schwerwiegenden Pflicht­ver­let­zungen grundsätzlich entbehrlich

Nach Ansicht des Bundes­a­r­beits­ge­richts sei eine vorherige Abmahnung des Auszubildenden jedoch nicht zwingend erforderlich gewesen. Das Landes­a­r­beits­gericht habe übersehen, dass bei besonders schwerwiegenden Verstößen eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich sei. Denn in solchen Fällen sei regelmäßig davon auszugehen, dass das pflichtwidrige Verhalten das für das Arbeits- und Ausbil­dungs­ver­hältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört habe.

Aufhebung des Urteils des Landes­a­r­beits­ge­richts

Das Bundes­a­r­beits­gericht hob daher das Urteil des Landes­a­r­beits­ge­richts auf und wies den Fall zur Neuentscheidung zurück. Es habe überprüfen müssen, ob eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Dabei sei zu Gunsten des Auszubildenden zu berücksichtigen gewesen, dass er angesichts seines jugendlichen Alters, verbunden mit Unreife und Geltungsdrang, seiner Entschuldigung sowie der fehlende Unterstützung durch seine Eltern während des Vorfalls zukünftig sein Verhalten möglicherweise ändere.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)

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