Dokument-Nr. 10996
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- NZM 2000, 237Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM), Jahrgang: 2000, Seite: 237
- WuM 1999, 452Zeitschrift: Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM), Jahrgang: 1999, Seite: 452
Amtsgericht Winsen Urteil28.04.1999
Vermieterin muss Kinderwagen von Mietern im Treppenhaus dulden - nicht aber von BesuchernKinderwagen im Treppenhaus können im Notfall Fluchtweg versperren - Abstellverbot unterliegt Abwägung mit Mieterinteressen
In einem Klageverfahren hatte die Hauseigentümerin von einer Mieterin verlangt, keinen Kinderwagen mehr im Hausflur abzustellen. Dabei berief sie sich auf die Hausordnung, die besagte, dass das Abstellen von Kinderwagen und anderen Gegenständen untersagt sei, wenn dadurch das Treppenhaus und der Flur nicht mehr den Zweck als Fluchtweg erfüllen könne. Das Amtsgericht Winsen (Luhe) gab der Klage insoweit statt, als der Mieterin untersagt wurde, ihren Besuchern zu gestatten, Kinderwagen im Hausflur abzustellen. Sie selbst dürfe aber ihren eigenen Kinderwagen dort weiter abstellen.
Die Richter verwiesen darauf, dass die Hausordnung das Abstellen von Kinderwagen nicht grundsätzlich untersage, sondern nur dann, wenn dies dem Zweck des Treppenhauses als Fluchtweg zuwiderlaufe. Denn grundsätzlich sei das Treppenhaus trotz Kinderwagen weiterhin als Fluchtweg geeignet. Der Klägerin sei aber insoweit zuzustimmen, als durch jeden Gegenstand wie etwa einen Blumenständer im Treppenhaus die Eignung als Fluchtweg tangiert werde.
Abwägung zwischen Sicherheit der Hausbewohner und Nachteilen für von Abstellverbot betroffene Bewohner
Deshalb unterliege das Verbot, den Kinderwagen im Treppenhaus abzustellen, der Abwägung, und zwar der drohenden Nachteile für die Sicherheit der Bewohner einerseits und jener Nachteile andererseits, die sich für die mit dem Verbot belegten Bewohner ergeben. Hierbei müsse sich an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientiert werden. Der Vorschlag der Vermieterin, dass die Mieterin für ihren Kinderwagen doch eine Garage anmieten könnte, sei jedenfalls abwegig.
Kinderwagen eine steile Treppe hochtragen zu müssen ist erhebliche Belastung für alleinerziehende Mutter
Die Beklagte sei alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Ihr Interesse gehe dahin, den Kinderwagen nicht jeweils alleine in ihre Wohnung hochtragen zu müssen. Bei der Treppe handele es sich um eine steile, hohe Treppe. Die Beklagte sei eine eher schmächtige Persönlichkeit, was die Vermieterin bei Abschluss des Mietvertrages auch gewusst habe. Jeweils den Kinderwagen alleine die Treppe hochwuchten zu müssen, stelle eine nicht unerhebliche Belastung für sie dar.
Besondere Schutzwürdigkeit der Familie ist bei Abwägung zu berücksichtigen
Das Interesse der Mieterin sei gewichtiger als das Interesse der Vermieterin. Die Familie - insbesondere mit Kindern - stehe unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Für jedes Gemeinwesen stelle eine Familie mit Kindern ein hohes Gut dar. Kinder seien die Zukunft einer Gesellschaft. Wenn keine Kinder mehr vorhanden wären, würde unser Rentensystem völlig zusammenbrechen, heute erwachsene Personen würden ohne jegliche Altersversorgung dastehen.
Müttern dürfen im täglichen Leben keine unnötigen Belastungen auferlegt werden
Kinderfreundlichkeit der Gesellschaft sei deshalb etwas, was nicht nur in feierlichen Reden eingefordert werden dürfe. Sie sei im täglichen Leben auch zu leben. Die Gesellschaft - und damit die Klägerin als Teil der Gesellschaft - habe die Verpflichtung, Müttern keine unnötigen Belastungen aufzuerlegen, d.h. ihnen das leben nicht schwerer zu machen, als dieses unbedingt notwendig sei - insbesondere wenn Rechte Dritter nicht nachhaltig beeinträchtigt werden.
Beeinträchtigung durch Abstellen des Kinderwagens ist gering
Die Beeinträchtigung durch das Abstellen des Kinderwagens sei für die Klägerin sehr gering. Dies gelte insbesondere, wenn der Kinderwagen ganz in die Ecke geschoben werde. Dann sei er gänzlich aus dem Fluchtweg der übrigen Mieter entfernt. Es sei auch zu berücksichtigen, dass der Kinderwagen nur vorübergehend von der Mieterin genutzt werde. Deshalb widerspreche es Treu und Glauben, wenn von der beklagten Mieterin verlangt werde, den Kinderwagen nicht im Flur vorübergehend abzustellen. Treu und Glauben verpflichte die Klägerin zu einer Duldung des Wagens.
Bloße Besucher des Hauses dürfen Kinderwagen hingegen nicht im Flur abstellen
Auf der anderen Seite seien aber, wenn Besuch komme, dann mindestens zwei Erwachsene vorhanden, die den Kinderwagen des Besuchs die Treppe hinauf tragen können. Für die Besuchszeit sei der Beklagten auch zuzumuten, den Wagen des Besuchs in der Wohnung abzustellen. Durch das Hinauftragen und das Hinuntertragen ergebe sich unter Berücksichtigung der zusätzlichen Beeinträchtigung des Fluchtweges weder für die Beklagte noch ihren Besuch eine unzumutbare Belastung.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.02.2011
Quelle: ra-online, Amtsgericht Winsen (vt/we)
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