18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Amtsgericht München Urteil28.10.2005

Selbst­mord­versuch mit finanziellen Folgen47-Jähriger sprang vor U-Bahn

Gefährdet ein Mensch durch einen Selbst­mord­versuch andere Menschen z. B. durch Springen vor einen Zug, so musse er aus Billig­keits­gründen zumindest teilweise dafür die Kosten tragen.

Am 09.05.2003 fuhr ein 23-jähriger U-Bahn-Fahrer der späteren Klägerin (Stadtwerke München) mit seinem Zug in den U-Bahnhof Münchener Freiheit, Gleis 2 ein. Kurz nach dem Bahnsteiganfang stürzte sich ein damals 47-jähriger Münchener (der spätere Beklagte) in selbst­mör­de­rischer Absicht vor den einfahrenden Zug. Der U-Bahnfahrer leitete sofort eine Schnellbremsung ein, konnte aber den Aufprall nicht mehr verhindern. Der Beklagte durchschlug dabei die rechte Seitenscheibe des Führerstandes und kam dort mit schweren Kopfver­let­zungen zu liegen. Den Vorfall kommentierte er unmittelbar nach dem Aufprall mit den Worten:

Erläuterungen
"Scheiße, ich lebe noch!"

Aufgrund des Vorfalls erlitt der U-Bahnfahrer der Klägerin ein psychisches Trauma und war erst nach mehrwöchiger psycho­the­ra­peu­tischer Behandlung wieder fahrtauglich. Vom 09.05.2003 bis 25.05.2003 war der Fahrer arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin musste für diesen Zeitraum seinen Lohn in Höhe von € 1.574,43 dennoch aufwenden. Darüber hinaus entstand der Kläger ein Schaden am Führerhaus der U-Bahn in Höhe von € 2.616,61. Diesen Schaden wollte die Klägerin vorgerichtlich von dem Beklagten ersetzt haben.

Da eine Zahlung nicht einging, kam der Fall vor das Amtsgericht München. Dort verteidigte sich der Beklagte damit, dass er aufgrund seines psychischen Zustandes am 09.05.2003 schuldunfähig gewesen sei und daher für den Schaden nicht aufkommen müsse. Dies sah der zuständige Richter anders und verurteilte den Beklagten zu der Hälfte der eingeklagten Summe, also € 2.095,52.

Das Gericht ließ zunächst den Beklagten auf dessen Antrag von einem Arzt für Neurologie und Psychiatrie auf seine Schuldfähigkeit untersuchen. Im Ergebnis kam der Gutachter tatsächlich zu der Auffassung, dass aufgrund einer schweren depressiven Disposition "krankhafte seelische Störung" im Sinne des Gesetzes vorgelegen habe und der Beklagte daher im Zeitpunkt seines Selbst­mord­ver­suches schuldunfähig gewesen sei.

Dies, so der Richter, führe jedoch nach der gesetzlichen Regelung nur grundsätzlich dazu, dass ein Schadensersatz ausgeschlossen sei. Trotz der Schuldfähigkeit sei nach dem Gesetz noch abzuwägen, ob nicht aus Billig­keits­gründen eine Schadens­be­tei­ligung des Schuldunfähigen angezeigt sei. So liege der Fall hier: Nach seinen eigenen Angaben habe der Beklagte zum Unfallzeitpunkt eine freiwillige Haftpflicht­ver­si­cherung gehabt. Eine solche Versicherung könne zwar nicht allein zur Bejahung der Billigkeit führen, sie erlaube aber eine Korrektur hinsichtlich der Höhe der zu zahlenden Beträge. Für einen Selbst­mord­willigen, der die Bahn als Tötungsmittel wähle, sei es klar, dass es zu gravierenden psychischen Schockfolgen für den Fahrzeugführer und zur Beschädigungen der Bahn selbst kommen werde. Trotz ausge­schlossener Schuldfähigkeit hinsichtlich der Tötungshandlung selbst, habe der Beklagte vorliegend gerade auch diese Schäden billigend in Kauf genommen. Er habe selbst gegenüber dem Gutachter angegeben, dass er auch andere Suizid­mög­lich­keiten (wie z.B. Erhängen) in Betracht gezogen habe. Wähle ein potenzieller Selbstmörder aber gerade die spektakuläre und andere Menschen besonders beein­träch­tigende Art der Selbsttötung durch Springen vor einen Zug, so müsse er aus Billig­keits­gründen zumindest teilweise dafür die Kosten tragen. Vorliegend sei eine Haftungsquote von 50 % angemessen.

Beide Parteien waren mit diesem Urteil nicht zufrieden und legten Berufung zum Landgericht München I ein. Die zuständige Kammer schloss sich jedoch in vollem Umfang der amtsrich­ter­lichen Entscheidung an und wies beide Rechtsmittel durch Urteil zurück.

Urteil des Amtsgerichts München vom 28.10.2005; Aktenzeichen: 344 C 7539/04

Urteil des Landgerichts München I vom 24.02.2006; Aktenzeichen: 17 S 23373/05

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des AG München vom 08.05.2006

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