18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Amtsgericht München Urteil19.11.2010

AG München zur Aufsichts­pflicht von Eltern für 5-jähriges Kind beim Fahrradfahren im StraßenverkehrSelbstständiges Voraus­fah­ren­lassen des Kindes auf Geh- und Radweg stellt keine Aufsichts­pflicht­ver­letzung dar

Eltern, die ihr Kind auf dem Weg zum Kindergarten einen jahrelang bekannten Weg alleine voraus­fah­ren­lassen, kann keine Verletzung der Aussichts­pflicht vorgeworfen werden, wenn das Fahrrad bei einem Gedränge vor dem Kindergarten umstürzt und gegen ein Auto fällt. Bei Kindern bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter, insgesamt danach, was verständige Eltern vernünf­ti­gerweise in der konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen müssen. Die Aufsichts­pflicht kann nicht dahingehend ausgeweitet werden, dass ein Elternteil permanent die Lenkstange des Kinderrades hält. Dies entschied das Amtsgericht München.

Im zugrunde liegenden Fall fuhr die Ehefrau des Besitzers eines Mercedes-Benz an einem Morgen im November 2009 von der Ludwigstraße in den Walter-Klingenbeck-Weg in München, um auf einem dortigen Parkplatz das Auto abzustellen. Auf dem Weg dorthin kam sie an einem Kindergarten vorbei. Vor diesem standen einige Kinder mit Fahrrädern. Eines dieser Räder stürzte um, worauf die am Rad befestigte Sichtstange an den Mercedes stieß. An beiden linken Fahrzeugtüren entstanden Schrammen. Die Beseitigung dieser Schäden kostete 1.350 Euro.

Fahrzeug­be­sitzer beanstandet Aufsichts­pflicht­ver­letzung des Vaters

Dieses Geld wollte der Eigentümer des Autos von dem Vater der 5-jährigen Radlerin ersetz bekommen. Dieser habe schließlich seine Aufsichts­pflicht verletzt. Das Mädchen sei schon von der Ludwigstraße bis zum Kindergarten vor seiner Frau hergefahren und erst bei den Garagen auf den Gehweg gewechselt. Der Vater sei nirgends in der Nähe gewesen.

Vater verneint Aufsichts­pflicht­ver­letzung

Das stimme gar nicht, entgegnete der Vater. Erstens sei er mit seinen Töchtern aus der Kaulbachstraße gekommen. Außerdem fahre seine 5-jährige Tochter schon eine Weile allein. Er hätte sie stets ermahnt, vorsichtig zu sein. Im konkreten Fall habe es ein Gedränge gegeben und nur deshalb sei das Fahrrad umgefallen.

AG München verneint Aufsichts­pflicht­ver­letzung ebenfalls und gibt Vater Recht

Die zuständige Richterin beim Amtsgericht München gab dem Vater Recht und wies die Klage ab. Zwar stünde fest, dass das Fahrrad der 5-jährigen Tochter des Beklagten den Schaden verursacht habe, dieser habe aber seine Aufsichts­pflicht nicht verletzt.

Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter sowie der Erfahrung als Teilnehmer am Straßenverkehr und konkreter Straßen­ver­hältnisse

Bei Kindern bestimme sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter, weiterhin nach der Voraus­seh­barkeit des schädigenden Verhaltens. Insgesamt sei das zu tun, was verständige Eltern vernünf­ti­gerweise in der konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu vermeiden. Hinsichtlich einer Teilnahme am Straßenverkehr werde man zwar grundsätzlich davon ausgehen müssen, dass nicht­schul­pflichtige Kinder noch einer Aufsicht bedürfen. Beim Ausmaß der Aufsicht seien neben dem Alter des Kindes und der Erfahrung als Teilnehmer am Straßenverkehr auch die konkreten Straßen­ver­hältnisse zu berücksichtigen.

Kind befährt Strecke bereits seit 2 Jahren unfallfrei

Im vorliegenden Fall sei die Tochter bereits etwas über 5 Jahre gewesen und sei seit ca. 2 ½ Jahren Rad gefahren. Vorher habe sie bereits ein Jahr lang ein Laufrad gehabt. Die Strecke zum Kindergarten fahre sie ebenfalls seit 2 Jahren. Unfälle habe es keine gegeben. Deshalb sei keine Pflicht­ver­letzung darin zu sehen, dass ihr erlaubt worden sei, die letzte Strecke des Walter-Klingenberg-Wegs alleine voraus zu fahren. Das Gericht sei auch auf Grund der Zeugenaussagen davon überzeugt, dass das Kind aus Richtung der Kaulbachstraße gekommen sei. Dieser Teil des Weges sei weitestgehend ein Geh- und Radweg, der nicht von Kraftfahrzeugen genutzt werden könne.

Bei Erziehung der Kinder zu selbständigen und verant­wor­tungs­be­wussten Verkehrs­teil­nehmern müssen gewisse Freiräume gewährt werden

Im Hinblick auf den Umstand, dass es zu den Erzie­hungs­pflichten der Eltern gehöre, ihr Kind zu selbständigen und verant­wor­tungs­be­wussten Verkehrs­teil­nehmern zu erziehen, stelle das Voraus­fah­ren­lassen keine Aufsichtspflichtverletzung dar. Dazu sei es nötig, Kindern gewisse Freiräume zu geben, die es ihnen ermögliche, Gefah­ren­si­tua­tionen zu erkennen und zu meistern. Bei einem 5-jährigen Kind sei zudem zu berücksichtigen, dass es in naher Zukunft in der Lage sein sollte, den Schulweg zu bewältigen. Es sei daher in Ordnung, wenn Eltern ein derartiges Kind, dass sein Fahrrad beherrsche, kleinere Strecken, gerade auch auf wenig befahrenen Straßen alleine fahren zu lassen.

Elternteil kann nicht permanent Lenkstange des Kinderrades festhalten

Außerdem stehe aufgrund der Zeugen­ein­vernahme auch fest, dass das Fahrrad aufgrund eines Getümmels vor dem Eingangstor zum Kindergarten umgefallen sei. Dies hätte der Vater auch nicht verhindern können, wenn er in Sichtkontakt gewesen wäre. Man könne nicht verlangen, dass permanent ein Elternteil die Lenkstange des Kinderrades hält. Dies würde einer Gängelei des Kindes gleichkommen, die einer normalen Persön­lich­keits­ent­wicklung hin zum selbständigen Verkehrs­teil­nehmer nicht dienlich wäre.

Quelle: Amtsgericht München/ra-online

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