14.11.2024
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Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Urteil29.01.2007

Wohnrau­m­über­wachung in Rheinland-Pfalz ist verfas­sungsgemäßBei Gefahr für die öffentliche Sicherheit keine unein­ge­schränkte Unver­letz­lichkeit der Wohnung

Die im rheinland-pfälzischen Polizei- und Ordnungs­be­hör­den­gesetz (POG) vorgesehene akustische und optische Wohnrau­m­über­wachung zu Zwecken der vorbeugenden Gefahrenabwehr verstößt nicht gegen das Grundrecht der Unver­letz­lichkeit der Wohnung. Dies entschied der Verfas­sungs­ge­richtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz.

§ 29 POG erlaubt zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, die akustische und optische Wohnrau­m­über­wachung durch den Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung. Mit seiner hiergegen erhobenen Verfas­sungs­be­schwerde hatte der Beschwer­de­führer, ein Rechtsanwalt, geltend gemacht, das Grundrecht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung gemäß Art. 7 Abs. 1 Verfassung für Rheinland-Pfalz (LV) schließe die Möglichkeit einer Wohnrau­m­über­wachung aus. Der Verfas­sungs­ge­richtshof wies die Verfas­sungs­be­schwerde zurück.

Zwar schütze Art. 7 Abs. 1 LV den elementaren Lebensraum der eigenen Wohnung und gewährleiste das Recht, in ihm in Ruhe gelassen zu werden. Die Regelung enthalte daher das grundsätzliche Verbot, gegen den Willen des Wohnungs­in­habers in die Wohnung einzudringen oder Abhörgeräte bzw. Kameras zu installieren. Jedoch ermächtige Art. 7 Abs. 3 LV den Gesetzgeber, die Unver­letz­lichkeit der Wohnung zur Behebung öffent­licher Notstände einzuschränken. Dies gelte nicht nur im Hinblick auf Natur­ka­ta­s­trophen oder allgemeine Notlagen - wie es der Beschwer­de­führer angenommen hatte -, sondern berechtige auch zu Maßnahme der präventiven Wohnrau­m­über­wachung. Allerdings müsse Art. 7 Abs. 3 LV in grund­rechts­freund­licher Auslegung mit dem Schutzniveau in Einklang gebracht werden, das die bundes­ver­fas­sungs­rechtliche Regelung des Art. 13 Abs. 4 GG vermittele. Danach seien Maßnahmen der Wohnrau­m­über­wachung nur zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, und nur auf Grund richterlicher Anordnung gestattet. Bei einer Gesamtschau der gestatteten Grund­recht­s­ein­griffe, der strengen Eingriffs­vor­aus­set­zungen und zusätzlicher grund­rechts­si­chernder Verfah­rens­be­stim­mungen genüge § 29 POG diesen Anforderungen an die Beschränkung des Grundrechts der Unver­letz­lichkeit der Wohnung.

So sei die Anordnung von Wohnrau­m­über­wa­chungs­maß­nahmen nach § 29 POG erst dann zulässig, wenn der Eintritt dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, hinreichend wahrscheinlich sei. Das Erfordernis der Dringlichkeit der Gefahr für die genannten Rechtsgüter erhöhe nochmals die Eingriffs­schwelle sowohl hinsichtlich der Rechtsgüter, deren Schutz die Wohnrau­m­über­wachung dienen solle, als auch des Grades der Wahrschein­lichkeit ihrer Gefährdung. Die zusätzliche Benennung der "gemeinen Gefahr", die an das Betroffensein einer unbestimmten Zahl von Personen oder Sachen anknüpfe, und der "Lebensgefahr" gewährleiste, dass nur hochrangige Rechtsgüter eine Wohnrau­m­über­wachung rechtfertigen könnten. Verfah­rens­rechtlich unterliege die automatische Datenerhebung außerdem einer ständigen begleitenden richterlichen Kontrolle.

§ 29 POG gewährleiste darüber hinaus den absoluten Schutz des unantastbaren Kernbereichs privater Lebens­ge­staltung. Die Privatwohnung stelle insoweit als "letztes Refugium" ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde dar. Eine akustische oder optische Wohnrau­m­über­wachung habe deshalb grundsätzlich zu unterbleiben, wenn sich jemand allein oder ausschließlich mit Personen in der Wohnung aufhalte, zu denen er in einem besonderen Vertrau­ens­ver­hältnis stehe. In einem solchen Fall sei die Wohnrau­m­über­wachung ausnahmsweise nur zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte vorlägen, die zu erwartenden Gespräche oder Handlungen würden einen unmittelbaren Bezug zu einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit aufweisen. Eine berech­tig­terweise begonnene Wohnrau­m­über­wachung müsse aber abgebrochen werden, sobald eine Situation eintrete, die dem unantastbaren Kernbereich privater Lebens­ge­staltung zuzurechnen sei. Zudem sei eine Datenerhebung in ein durch ein Amts- und Berufsgeheimnis geschütztes Vertrau­ens­ver­hältnis, beispielsweise zu einem Geistlichen oder Rechtsanwalt, bereits von Gesetzes wegen ausnahmslos unzulässig. Hingegen gestatte das Gesetz unter engen Voraussetzungen zulässigerweise eine automatisierte Speicherung des Inhalts abgehörter Gespräche. Dies könne etwa erforderlich sein, wenn Gespräche in einer Fremdsprache oder von mehreren Teilnehmern geführt würden.

Die Regelung des § 29 POG wahre auch den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit. Die Maß­nahme diene dem verfas­sungs­rechtlich legitimen Zweck der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Gewährleistung eines wirkungsvollen Schutzes der Bevölkerung vor terroristischen Anschlägen. Ihre Eignung zur Erreichung dieses Ziels werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass bisher nur eine geringe Zahl von Wohnrau­m­über­wa­chungen durchgeführt worden seien. Dies beruhe auf dem mit der Maßnahme verbundenen hohen Aufwand und auf der polizeilichen Zurückhaltung beim Einsatz dieses der Gefahrenabwehr dienenden Instruments. Die restriktive Praxis stärke das Vertrauen der Allgemeinheit in eine grund­rechts­schonende Überwa­chung­s­praxis. Eine weniger grund­rechts­be­ein­träch­tigende Alternative, die der Gefahrenabwehr gleich wirksam diene, sei nicht ersichtlich.

Schließlich sei auch die Überwachung des Wohnraums von so genannten Kontakt- und Begleitpersonen verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, d.h. von Personen, die mit einer anderen, der Begehung zukünftiger Straftaten verdächtigen Person in Verbindung stehen. Eine solche Maßnahme setze als unerlässliche Voraussetzung zum einen das Vorliegen einer dringenden Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut voraus. Zum anderen müsse die Maßnahme zusätzlich der Verhinderung von im Gesetz genannten besonders schweren Straftaten dienen, die ausnahmslos mit einer Höchststrafe von mehr als fünf Jahren bedroht seien.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 03/07 des VGH Rheinland-Pfalz vom 14.03.2007

der Leitsatz

1. Art. 7 Abs. 3 LV ermächtigt den Landes­ge­setzgeber auch zur Einschränkung des Grundrechts auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung durch Maßnahmen der Wohnrau­m­über­wachung zur präventiven Gefahrenabwehr.

2. Allerdings ist die Ermächtigung in grund­rechts­freund­licher Auslegung mit dem Schutzniveau in Einklang zu bringen, das bundes­ver­fas­sungs­rechtlich nunmehr durch Art. 13 Abs. 4 GG vermittelt wird. Danach sind Maßnahmen der Wohnrau­m­über­wachung nur zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, und nur auf Grund richterlicher Anordnung gestattet.

3. Der Landes­ge­setzgeber hat die Grenzen dieser Ermächtigung gewahrt. Die Regelungen zur Durchführung einer Wohnrau­m­über­wachung zu Zwecken der Gefahrenabwehr in § 29 POG genügen bei einer Gesamtschau der gestatteten Grund­recht­s­ein­griffe, der strengen Eingriffs­vor­aus­set­zungen und zusätzlicher grund­rechts­si­chernder Verfah­rens­be­stim­mungen den Anforderungen, die nach Art. 7 Abs. 3 LV an eine Beschränkung des Grundrechts der Unver­letz­lichkeit der Wohnung zu stellen sind.

4. Das Regelungsgefüge von § 29 POG gewährleistet insbesondere den absoluten Schutz des unantastbaren Kernbereichs privater Lebens­ge­staltung, der aus der Menschen­wür­de­ga­rantie der Landes­ver­fassung folgt. Die Bestimmungen wahren überdies den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit und das rechts­s­taatliche Gebot der Normen­be­stimmtheit und Normenklarheit.

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