21.11.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 1315

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Urteil22.11.2005Verfassungsgerichtshof BerlinVerfGH 53/05
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Verfassungsgerichtshof Berlin Urteil22.11.2005

Ausschluss eines Abgeordneten aus der FDP-Fraktion ist verfas­sungsgemäß

Der Ausschluss eines FDP-Abgeordneten aus seiner Fraktion wegen eines Verhaltens, das nach Auffassung der Frakti­o­ns­mehrheit das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt und das Vertrau­ens­ver­hältnis derart nachhaltig gestört habe, dass die weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zumutbar sei, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung ist frei von sachfremden oder willkürlichen Erwägungen und verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit. Damit blieb der Antrag des betroffenen Abgeordneten vom 3. Mai 2005 ohne Erfolg, mit dem er von dem Verfas­sungs­ge­richtshof des Landes Berlin im Organ­streit­ver­fahren die Feststellung begehrt hatte, dass der Ausschluss aus der FDP-Fraktion seine verfas­sungs­mäßigen Abgeord­ne­ten­rechte verletzt habe.

Die Berliner Verfas­sungs­richter führten an, dass ein Abgeordneter wegen eines wichtigen Grundes aus der Fraktion ausgeschlossen werden könne. Ein wichtiger Grund sei nicht nur dann gegeben, wenn das für eine sinnvolle Meinungsbildung und Arbeit der Fraktion erforderliche Mindestmaß an prinzipieller Übereinstimmung fehle. Vielmehr bestehe ein wichtiger Grund auch dann, wenn das Mitglied das Vertrau­ens­ver­hältnis so nachhaltig gestört habe, dass den übrigen Frakti­o­ns­mit­gliedern die weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden könne. Ferner könne ein wichtiger Grund vorliegen, wenn ein Abgeordneter durch sein Verhalten das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig schädige. Dies könne auch durch ein außerhalb seiner parla­men­ta­rischen Arbeit gelegenes Verhalten geschehen.

Der Fraktion stehe ein Beurtei­lungs­spielraum hinsichtlich der Frage zu, ob das Verhalten eines Frakti­o­ns­mit­gliedes das Erfordernis eines wichtigen Grundes erfülle. Es sei nicht Sache des Verfas­sungs­ge­richtshofs, schlechthin seine Beurteilung an die Stelle derjenigen politischen und sonstigen Wertungen zu setzen, nach denen die Fraktion lebe und ihre im Staatswesen verfolgten Ziele erkämpfen wolle. Die verfas­sungs­ge­richtliche Überprüfung der Entscheidung über den Ausschluss sei auf eine Evidenz- oder Willkür­kon­trolle beschränkt.

Danach sei die Entscheidung der FDP-Fraktion nicht zu beanstanden. Sie habe ihrer Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt, den auch der Antragsteller grundsätzlich nicht bestritten habe. Die Entscheidung lasse auch keine Willkür erkennen. Bei der von der FDP-Fraktion vorgenommenen Gesamtwürdigung des Verhaltens des Antragstellers erscheine die Einschätzung vertretbar, dass die Zusammenarbeit mit diesem wegen seines außer­pa­r­la­men­ta­rischen Verhaltens, welches Gegenstand gehäufter negativer Presse­be­rich­t­er­stattung gewesen sei, und wegen seines Verhaltens und seiner Äußerungen gegenüber Frakti­o­ns­mit­gliedern nicht mehr zuzumuten sei. Auch unter Berück­sich­tigung der Erkrankung des Antragstellers sei die Einschätzung vertretbar, dass durch die Art und Weise des Umgangs mit anderen Frakti­o­ns­mit­gliedern und die Wortwahl bei seinen diesbezüglichen Äußerungen die Grenze dessen überschritten worden sei, was eine Fraktion im Rahmen einer normalen Zusammenarbeit letztlich hinzunehmen habe.

Der Ausschluss sei auch nicht unver­hält­nismäßig. Eine vorherige Abmahnung durch den Frakti­o­ns­vor­sit­zenden sei erfolgt. Dass eine Rüge oder Ähnliches geeignet gewesen wäre, das Vertrau­ens­ver­hältnis wieder­her­zu­stellen, erscheine praktisch ausgeschlossen.

Dem Antragsteller sei vor dem Ausschluss auch hinreichende Gelegenheit gegeben worden, sich zu den ihm gemachten Vorwürfen gegenüber der Fraktion zu äußern. Dem Antragsteller war von dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Januar 2005 vorgehalten worden, dass sich seit einiger Zeit "unerfreuliche Vorkommnisse und Pflicht­ver­let­zungen innerhalb und außerhalb des Parlaments" häuften. Vor allem intensiviere sich seit einigen Wochen eine äußerst negative Berich­t­er­stattung im Zusammenhang mit der Person des Antragstellers, etwa über ein gegen diesen eingeleitetes Ermitt­lungs­ver­fahren wegen Betruges. Eine Fortsetzung dieser Berich­t­er­stattung wäre geeignet, das Ansehen der Antragsgegnerin herabzuwürdigen, ihre Arbeit zu konterkarieren und spätestens bei den nächsten Wahlen die Chancen für ein gutes Ergebnis zu mindern. Der Frakti­o­ns­vor­sitzende kündigte weiter an, er werde den Frakti­o­ns­aus­schluss des Antragstellers empfehlen, falls es zu einer Wiederholung entsprechender Vorkommnisse komme.

Anfang Februar 2005 forderte der Frakti­o­ns­vor­sitzende der FDP-Fraktion den Antragsteller auf, zu einem am selben Tage erschienenen Zeitungsbericht über eine angebliche Ausein­an­der­setzung zwischen dem Antragsteller und zwei Polizisten Stellung zu nehmen.

In seiner hierauf erfolgten schriftlichen Entgegnung führte der Antragsteller u. a. aus, der Frakti­o­ns­vor­sitzende müsse "seine Phantasmaorgien medizinisch behandeln lassen", sofern er die Berich­t­er­stattung für wahr halte.

Der Vorstand der FDP-Fraktion leitete daraufhin den Frakti­o­ns­aus­schluss des Antragstellers ein. Nachdem ihm Anfang März die Gründe für den beabsichtigten Ausschluss mitgeteilt worden waren und der Antragsteller kurz zuvor noch einmal schriftlich Stellung genommen hatte, beschloss die Frakti­o­ns­ver­sammlung in ihrer Sitzung am 5. April 2005 in Abwesenheit des Antragstellers und eines weiteren Abgeordneten, den Frakti­o­ns­aus­schluss des Antragstellers mit einer Mehrheit von neun Ja-Stimmen gegenüber einer Nein-Stimme bei einer Enthaltung.

Quelle: Pressemitteilung des VerfGH Berlin vom 22.11.2005

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