Dokument-Nr. 1315
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Verfassungsgerichtshof Berlin Urteil22.11.2005
Ausschluss eines Abgeordneten aus der FDP-Fraktion ist verfassungsgemäß
Der Ausschluss eines FDP-Abgeordneten aus seiner Fraktion wegen eines Verhaltens, das nach Auffassung der Fraktionsmehrheit das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt und das Vertrauensverhältnis derart nachhaltig gestört habe, dass die weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zumutbar sei, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Entscheidung ist frei von sachfremden oder willkürlichen Erwägungen und verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Damit blieb der Antrag des betroffenen Abgeordneten vom 3. Mai 2005 ohne Erfolg, mit dem er von dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin im Organstreitverfahren die Feststellung begehrt hatte, dass der Ausschluss aus der FDP-Fraktion seine verfassungsmäßigen Abgeordnetenrechte verletzt habe.
Die Berliner Verfassungsrichter führten an, dass ein Abgeordneter wegen eines wichtigen Grundes aus der Fraktion ausgeschlossen werden könne. Ein wichtiger Grund sei nicht nur dann gegeben, wenn das für eine sinnvolle Meinungsbildung und Arbeit der Fraktion erforderliche Mindestmaß an prinzipieller Übereinstimmung fehle. Vielmehr bestehe ein wichtiger Grund auch dann, wenn das Mitglied das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört habe, dass den übrigen Fraktionsmitgliedern die weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden könne. Ferner könne ein wichtiger Grund vorliegen, wenn ein Abgeordneter durch sein Verhalten das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig schädige. Dies könne auch durch ein außerhalb seiner parlamentarischen Arbeit gelegenes Verhalten geschehen.
Der Fraktion stehe ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage zu, ob das Verhalten eines Fraktionsmitgliedes das Erfordernis eines wichtigen Grundes erfülle. Es sei nicht Sache des Verfassungsgerichtshofs, schlechthin seine Beurteilung an die Stelle derjenigen politischen und sonstigen Wertungen zu setzen, nach denen die Fraktion lebe und ihre im Staatswesen verfolgten Ziele erkämpfen wolle. Die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidung über den Ausschluss sei auf eine Evidenz- oder Willkürkontrolle beschränkt.
Danach sei die Entscheidung der FDP-Fraktion nicht zu beanstanden. Sie habe ihrer Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt, den auch der Antragsteller grundsätzlich nicht bestritten habe. Die Entscheidung lasse auch keine Willkür erkennen. Bei der von der FDP-Fraktion vorgenommenen Gesamtwürdigung des Verhaltens des Antragstellers erscheine die Einschätzung vertretbar, dass die Zusammenarbeit mit diesem wegen seines außerparlamentarischen Verhaltens, welches Gegenstand gehäufter negativer Presseberichterstattung gewesen sei, und wegen seines Verhaltens und seiner Äußerungen gegenüber Fraktionsmitgliedern nicht mehr zuzumuten sei. Auch unter Berücksichtigung der Erkrankung des Antragstellers sei die Einschätzung vertretbar, dass durch die Art und Weise des Umgangs mit anderen Fraktionsmitgliedern und die Wortwahl bei seinen diesbezüglichen Äußerungen die Grenze dessen überschritten worden sei, was eine Fraktion im Rahmen einer normalen Zusammenarbeit letztlich hinzunehmen habe.
Der Ausschluss sei auch nicht unverhältnismäßig. Eine vorherige Abmahnung durch den Fraktionsvorsitzenden sei erfolgt. Dass eine Rüge oder Ähnliches geeignet gewesen wäre, das Vertrauensverhältnis wiederherzustellen, erscheine praktisch ausgeschlossen.
Dem Antragsteller sei vor dem Ausschluss auch hinreichende Gelegenheit gegeben worden, sich zu den ihm gemachten Vorwürfen gegenüber der Fraktion zu äußern. Dem Antragsteller war von dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Januar 2005 vorgehalten worden, dass sich seit einiger Zeit "unerfreuliche Vorkommnisse und Pflichtverletzungen innerhalb und außerhalb des Parlaments" häuften. Vor allem intensiviere sich seit einigen Wochen eine äußerst negative Berichterstattung im Zusammenhang mit der Person des Antragstellers, etwa über ein gegen diesen eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Betruges. Eine Fortsetzung dieser Berichterstattung wäre geeignet, das Ansehen der Antragsgegnerin herabzuwürdigen, ihre Arbeit zu konterkarieren und spätestens bei den nächsten Wahlen die Chancen für ein gutes Ergebnis zu mindern. Der Fraktionsvorsitzende kündigte weiter an, er werde den Fraktionsausschluss des Antragstellers empfehlen, falls es zu einer Wiederholung entsprechender Vorkommnisse komme.
Anfang Februar 2005 forderte der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion den Antragsteller auf, zu einem am selben Tage erschienenen Zeitungsbericht über eine angebliche Auseinandersetzung zwischen dem Antragsteller und zwei Polizisten Stellung zu nehmen.
In seiner hierauf erfolgten schriftlichen Entgegnung führte der Antragsteller u. a. aus, der Fraktionsvorsitzende müsse "seine Phantasmaorgien medizinisch behandeln lassen", sofern er die Berichterstattung für wahr halte.
Der Vorstand der FDP-Fraktion leitete daraufhin den Fraktionsausschluss des Antragstellers ein. Nachdem ihm Anfang März die Gründe für den beabsichtigten Ausschluss mitgeteilt worden waren und der Antragsteller kurz zuvor noch einmal schriftlich Stellung genommen hatte, beschloss die Fraktionsversammlung in ihrer Sitzung am 5. April 2005 in Abwesenheit des Antragstellers und eines weiteren Abgeordneten, den Fraktionsausschluss des Antragstellers mit einer Mehrheit von neun Ja-Stimmen gegenüber einer Nein-Stimme bei einer Enthaltung.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.11.2005
Quelle: Pressemitteilung des VerfGH Berlin vom 22.11.2005
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