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Verfassungsgerichtshof Berlin Urteil22.11.2005
Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal" ist unzulässig
Das Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal" ist wegen seiner erheblichen Auswirkungen auf die Budgethoheit des Parlaments ein Volksbegehren "zum Landeshaushalt" im Sinne von Art. 62 Abs. 5 der Verfassung von Berlin - VvB - und deshalb unzulässig.
Die Entscheidung des Senats von Berlin vom 3. Februar 2004, das Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal" nicht zuzulassen, ist daher nicht zu beanstanden. Mit dieser Begründung wies der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin den Antrag der Initiative Berliner Bankenskandal als Trägerin des Volksbegehrens zurück, die Entscheidung des Senats von Berlin vom 3. Februar 2004 aufzuheben.
Gemäß Art. 62 Abs. 5 VvB sind (u. a.) Volksbegehren zum Landeshaushalt unzulässig. Un-ter diesen Haushaltsvorbehalt fällt nach Überzeugung der Berliner Verfassungsrichter das Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal". Denn es ziele mit der Forderung nach Aufhebung des "Risikoabschirmungsgesetzes" darauf, eine gewichtige haushaltspolitisch und haushaltsrechtlich motivierte Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers rückgängig zu machen, die zum Kernbereich der durch Art. 62 Abs. 5 VvB geschützten Budgethoheit des Parlaments gehöre. Da das Risikoabschirmungsgesetz tatsächlich haushaltswirksam sei, bedeutete seine Aufhebung selbst dann einen erheblichen Eingriff in das parlamentarische Budgetrecht, wenn es - wie die Einspruchsführer meinten - verfassungswidrig und damit nichtig sei; die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Risikoabschirmungsgesetzes bedürfe daher keiner Entscheidung.
Der Vorbehalt des Art. 62 Abs. 5 VvB erfasse neben Änderungsvorschlägen zur formellen Haushaltsgesetzgebung alle Gesetzgebungsvorschläge, deren Finanzwirksamkeit eine verfassungsrechtliche Erheblichkeitsschwelle überschreite. Die Volksgesetzgebung dürfe nicht zu einer wesentlichen Störung des Gleichgewichts des Haushalts des Landes Berlin führen, die den Haushaltsgesetzgeber zu einer Neuordnung des Gesamtgefüges des Haushalts zwinge. Unterhalb der Erheblichkeitsschwelle seien Volksbegehren auch dann zulässig, wenn sie finanzwirksame Gesetze zum Gegenstand hätten, soweit sie nicht direkt auf eine Änderung des formellen Haushaltsgesetzes abzielten. Denn der vom Wortlaut her möglichen Ausdehnung des Haushaltsvorbehalts auf alle finanzwirksamen Gesetze stehe die erkennbar hohe Gewichtung der Volksgesetzgebung durch den Verfassungsgesetzgeber entgegen.
Die genaue Grenze zwischen einem zulässigen und einem unzulässigen Volksbegehren lasse sich nur unter Zugrundelegung der jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalls ermitteln. Hierbei habe eine wertende Gesamtbetrachtung zu erfolgen, in deren Rahmen die finanziel-len Auswirkungen des Volksbegehrens nach verschiedenen - quantitativen und qualitativen - Aspekten gewichtet und mit der Grundentscheidung des Verfassungsgesetzgebers zu-gunsten der Volksgesetzgebung abgewogen werden müssten. Die Abwägung ergebe hier, so der Verfassungsgerichtshof, dass das Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal" die verfassungsrechtliche Erheblichkeitsschwelle überschreite.
Bei der parlamentarischen Entscheidung über das Risikoabschirmungsgesetz handele es sich um eine schwerwiegende, bewusste haushaltspolitische (Grund-)Entscheidung, mit der das Volksbegehren unverkennbar in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehe, da es auf die Aufhebung des Risikoabschirmungsgesetzes und - hiermit untrennbar verbunden - auf die Auflösung der Bankgesellschaft gerichtet sei. Die Entscheidung über das Risikoabschirmungsgesetz sei seinerzeit ausführlich diskutiert und aufgrund ihrer finan-ziellen Tragweite und Belastung künftiger Jahre und Jahrzehnte als haushaltspolitisch äußerst gewichtig und weit reichend angesehen worden. Die Entscheidung sei daher in erheblichem Umfang haushaltspolitisch motiviert, und die Abgeordneten seien sich der Bedeutung und der haushaltspolitischen Tragweite der Entscheidung bewusst gewesen. Sie hätten mögliche Alternativen in Erwägung gezogen und deren jeweilige Folgen gegeneinander abgewogen. Sie hätten sich damit subjektiv im Kernbereich des ausschließlich ihnen zustehenden Budgetrechts bewegt.
Das Risikoabschirmungsgesetz stelle aber auch objektiv einen im Kernbereich des parlamentarischen Budget- und Haushaltsverfassungsrechts liegenden Komplex dar. Denn zu-mindest Teile der aufgrund des Risikoabschirmungsgesetz begründeten Verpflichtungen seien als Sicherheiten im Sinne des Art. 87 Abs. 1 VvB anzusehen. Nach dieser Norm dürf-ten ohne gesetzliche Grundlage, also ohne vorheriges Gesetz des Abgeordnetenhauses von Berlin, weder Anleihen aufgenommen noch Sicherheiten geleistet werden. Die Vorschrift ergänze und sichere das parlamentarische Budgetrecht und verhindere, dass die Exekutive auf dem Umweg über die indirekte Verschuldung die Haushaltsrechte des Parlaments umgehe. Das Entscheidungsrecht des Parlaments über die Deckungsmittel des Haushalts solle sichergestellt und es solle verhindert werden, dass diese Deckungsmittel schon für künftige Jahre vorbelastet würden. Die mit der Detailvereinbarung einhergehenden Risikoabschirmungen seien teilweise Maßnahmen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 VvB. Dies gelte etwa hinsichtlich der der Bankgesellschaft, der LBB und der BerlinHyp gewährten Kreditgarantien, mit denen das Land für die Erfüllung der Zins- und Tilgungsleistungen aus bestimmten Krediten und Kreditzusagen einstehe.
Das Volksbegehren müsse selbst dann scheitern, wenn man ihm Ausgabensenkung oder Haushaltsneutralität unterstelle. Denn das Volksbegehren bezwecke mit einer Aufhebung des Risikoabschirmungsgesetzes und einer anschließenden Insolvenz der Bankgesellschaft genau das, was im Gesetzgebungsverfahren ausführlich erörtert und im Ergebnis wegen der vom Gesetzgeber erwarteten haushaltsmäßigen Belastungen als nicht akzeptabel abgelehnt worden sei, und betreffe demgemäß auch im Hinblick auf eine Abschätzung der möglichen Folgen einer Risikoabschirmung bzw. einer Insolvenz der Bankgesellschaft den Kernbereich des parlamentarischen Budgetrechts. Selbst wenn das Parlament insoweit von unzutreffenden Prognosen hinsichtlich der zahlenmäßigen Auswirkungen der Risikoabschirmung einerseits und einer Insolvenz der Bankgesellschaft andererseits ausgegangen sein sollte, habe es sich im Kernbereich des nur ihm zustehenden Budgetrechts bewegt und damit von einem Recht Gebrauch gemacht, dessen Wahrnehmung der Volksgesetzgebung aufgrund des Haushaltsvorbehalts verwehrt sei.
Die Erheblichkeit der Volksgesetzgebung für den Landeshaushalt ergebe sich hier ferner aus Art und zeitlicher Dauer der von dem volksinitiierten Gesetzentwurf ausgehenden finanziellen Belastungen. Die Aufhebung des Risikoabschirmungsgesetzes tangierte die landeshaushaltsrechtliche Planung langfristig, da das Risikoabschirmungsgesetz den Senat von Berlin zur Übernahme einer Garantie ermächtige, die spätestens mit Ablauf des Jahres 2032 ende. Die in dem Gesetzentwurf der Volksinitiative vorgesehene Auflösung der Bankgesellschaft wiederum sei voraussichtlich mit mindestens kurzfristigen Mehrbelastungen des Landes-haushalts verbunden, was sich im Übrigen als einschneidender für den Handlungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers darstellen dürfe als eine Streckung von Ausgaben auf mehrere Jahre mit jeweils geringerer Belastung.
Der Verfassungsgerichtshof stellte klar, dass es nicht Zweck des Haushaltsvorbehalts sei, der Gefahr einer missbräuchlichen Instrumentalisierung von Plebisziten vorzubeugen. Eine solche Gefahr bestehe nicht angesichts der differenzierten Regelungen der Verfassung von Berlin über Volksbegehren und Volksentscheid.
Der Haushaltsvorbehalt des Art. 62 Abs. 5 VvB diene vornehmlich dem Schutz des parlamentarischen Budgetrechts, dessen Schutzgegenstand auch das Recht der parlamentarischen Mehrheit und der von ihr getragenen Regierung sei, ihr politisches Programm, das mit der Wahl eine Legitimation erhalten habe, in Gestalt des - in der Regel in komplizierten politischen Aushandlungsprozessen erreichten - Haushaltsplans zu verwirklichen. Der Haushaltsvorbehalt bezwecke, Volksbegehren und Volksentscheide mit Kostenauswirkungen jedenfalls von einer gewissen haushaltswirtschaftlichen Schwelle zu unterbinden und derartige Entscheidungen dem parlamentarischen Gesetzgeber vorzubehalten, dessen Aufgabe und Verantwortung es sei, sämtliche Einnahmen und notwendigen Ausgaben unter Beachtung der Vorgaben der Verfassung im Rahmen eines von ihm zu entwickelnden Gesamtkonzepts in eine sachgerechte Relation zueinander zu setzen und für den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben zu sorgen.
Indem der Haushaltsvorbehalt die Volksgesetzgebung ab einer gewissen haushaltswirt-schaftlichen Schwelle begrenze, könne er zugleich zur Sicherung der Leistungsfähigkeit des Staates beitragen. Die Volksgesetzgebung könne sich auch Ausgaben steigernd auf den Haushalt auswirken. Während aber Parlament und Regierung im Rahmen ihrer Verantwortung für einen ausgeglichenen Haushalt bei der Aufstellung und Feststellung des Haushaltsplans und auch bei einzelnen finanzwirksamen Gesetzen kurz-, mittel- und auch langfristig zahlreichen verfassungsrechtlichen Vorschriften und insbesondere der Verpflichtung unterlägen, Ausgaben grundsätzlich nur dann zu beschließen, wenn auch ein entsprechender Haushaltsausgleich verantwortet werden kann, sei der Volksgesetzgeber nicht verpflichtet, bei seiner Willensbildung auf den künftigen Haushaltsausgleich Rücksicht zu nehmen, so dass ausgabenintensive Volksentscheide zu einer Überforderung des staatlichen Leistungsvermögens führen und den sozialen Frieden gefährden könnten.
Im Ergebnis schließe der Haushaltsvorbehalt die Finanzmaterie von einer erheblichen Beeinflussung durch Volksbegehren auch deshalb aus, weil sie aufgrund ihrer Komplexität für die Volksgesetzgebung wenig geeignet sei. Zwar seien auch viele andere Regelungsgegenstände - etwa im Bereich des Umwelt- und Technikrechts - komplex und schwierig, ohne dass der Verfassungsgeber Anlass gesehen hätte, diesbezügliche Volksinitiativen auszuschließen. Es seien aber die Besonderheiten des Verfahrens der Volksgesetzgebung gerade im Bereich des Finanzwesens zu berücksichtigen. Die Haushaltswirtschaft erfordere eine rationale, längerfristige Planung, die Einnahmen und Ausgaben aufeinander abstimme und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht beachte. Dementsprechend müsse jede Entscheidung für eine zusätzliche Ausgabe grundsätzlich mit einer entsprechenden ausgleichenden Ent-scheidung verbunden sein. Das gelte nicht nur für den Haushaltsbeschluss als solchen, sondern für jede finanzielle Entscheidung des Gesetzgebers, die sich auf den Haushalt der ge-genwärtigen oder einer zukünftigen Haushaltsperiode auswirke. Anders als im parlamentarischen Verfahren bestehe im direktdemokratischen Verfahren in Berlin aber gerade nicht die Möglichkeit, im Gesetzgebungsverfahren eine Deckungsmöglichkeit unter Anpassung des Gesetzentwurfs zu suchen, da sich das Volksgesetzgebungsverfahren durch eine strenge Kompromisslosigkeit auszeichne. Es bestehe grundsätzlich keine Möglichkeit einer inhaltlichen Ergänzung oder Korrektur des Volksbegehrens im laufenden Verfahren, so dass Volksentscheid und Volksbegehren lediglich Antwortcharakter hätten.
Erläuterungen
Das Abgeordnetenhaus hatte im April 2002 das sog. Risikoabschirmungsgesetz verabschiedet, wonach der Senat ermächtigt wurde, für Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft der Bank-gesellschaft Berlin AG und einiger ihrer Tochtergesellschaften eine Landesgarantie bis zu einer Summe von höchstens 21,6 Milliarden Euro bei einer Laufzeit bis längstens zum Jahre 2032 zu überneh-men. Die Anteile des Landes Berlin an der Bankgesellschaft AG sollten schnellstmöglich zu für das Land Berlin vertretbaren Bedingungen veräußert werden. Zur Begründung hieß es, es würde die Schließung der Bankgesellschaft drohen, wenn die Risiken nicht durch das Land abgeschirmt würden, und der dann eintretende finanzielle Schaden für das Land Berlin wäre erheblich höher. Einzelheiten der Garantieübernahme wurden zeitgleich durch eine Detailvereinbarung geregelt.
Daraufhin forderte die Initiative Berliner Bankenskandal mit ca. 37.000 Unterschriften die Durchfüh-rung eines Volksbegehrens und legte einen Gesetzentwurf vor, der die Aufhebung des Risikoabschir-mungsgesetzes sowie die Auflösung der Bankgesellschaft vorsah.
Am 3. Februar 2004 stellte der Senat im Hinblick auf Art. 62 Abs. 5 VvB die Unzulässigkeit des An-trags auf Zulassung des Volksbegehrens fest. Der vorgelegte Gesetzentwurf sei zwar formal kein Haushaltsgesetz und beziehe sich nicht unmittelbar auf einen bestimmten Haushaltsplan. Er habe jedoch einen zeitlich und sachlich engen Zusammenhang mit konkreten haushaltspolitischen Ent-scheidungen des Abgeordnetenhauses und zwinge den Haushaltsgesetzgeber zu einer Neuordnung des Gesamtgefüges des Haushalts. Die bezifferbaren Kosten des Gesetzentwurfs in Höhe von min-destens 6,3 Mrd. € sowie die unbezifferbaren Risiken des Volksbegehrens beeinträchtigten die Haus-haltskompetenz des Parlaments, ohne dass die Folgen haushaltsneutral korrigiert werden könnten.
Gegen diese Entscheidung des Senats richtete sich der zur Verhandlung anstehende Einspruch.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.12.2005
Quelle: Pressemitteilung des VerfGH Berlin vom 22.11.2005
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