21.11.2024
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Dokument-Nr. 1319

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Urteil22.11.2005Verfassungsgerichtshof BerlinVerfGH 35/04
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Verfassungsgerichtshof Berlin Urteil22.11.2005

Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal" ist unzulässig

Das Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal" ist wegen seiner erheblichen Auswirkungen auf die Budgethoheit des Parlaments ein Volksbegehren "zum Landeshaushalt" im Sinne von Art. 62 Abs. 5 der Verfassung von Berlin - VvB - und deshalb unzulässig.

Die Entscheidung des Senats von Berlin vom 3. Februar 2004, das Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal" nicht zuzulassen, ist daher nicht zu beanstanden. Mit dieser Begründung wies der Verfas­sungs­ge­richtshof des Landes Berlin den Antrag der Initiative Berliner Bankenskandal als Trägerin des Volksbegehrens zurück, die Entscheidung des Senats von Berlin vom 3. Februar 2004 aufzuheben.

Gemäß Art. 62 Abs. 5 VvB sind (u. a.) Volksbegehren zum Landeshaushalt unzulässig. Un-ter diesen Haushalts­vor­behalt fällt nach Überzeugung der Berliner Verfas­sungs­richter das Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal". Denn es ziele mit der Forderung nach Aufhebung des "Risiko­ab­schir­mungs­ge­setzes" darauf, eine gewichtige haushalts­po­litisch und haushalts­rechtlich motivierte Entscheidung des parla­men­ta­rischen Gesetzgebers rückgängig zu machen, die zum Kernbereich der durch Art. 62 Abs. 5 VvB geschützten Budgethoheit des Parlaments gehöre. Da das Risiko­ab­schir­mungs­gesetz tatsächlich haushalts­wirksam sei, bedeutete seine Aufhebung selbst dann einen erheblichen Eingriff in das parla­men­ta­rische Budgetrecht, wenn es - wie die Einspruchs­führer meinten - verfas­sungs­widrig und damit nichtig sei; die Frage der Verfas­sungs­mä­ßigkeit des Risiko­ab­schir­mungs­ge­setzes bedürfe daher keiner Entscheidung.

Der Vorbehalt des Art. 62 Abs. 5 VvB erfasse neben Änderungs­vor­schlägen zur formellen Haushalts­ge­setz­gebung alle Gesetz­ge­bungs­vor­schläge, deren Finan­zwirk­samkeit eine verfas­sungs­rechtliche Erheb­lich­keits­schwelle überschreite. Die Volks­ge­setz­gebung dürfe nicht zu einer wesentlichen Störung des Gleichgewichts des Haushalts des Landes Berlin führen, die den Haushalts­ge­setzgeber zu einer Neuordnung des Gesamtgefüges des Haushalts zwinge. Unterhalb der Erheb­lich­keits­schwelle seien Volksbegehren auch dann zulässig, wenn sie finanzwirksame Gesetze zum Gegenstand hätten, soweit sie nicht direkt auf eine Änderung des formellen Haushalts­ge­setzes abzielten. Denn der vom Wortlaut her möglichen Ausdehnung des Haushalts­vor­behalts auf alle finanzwirksamen Gesetze stehe die erkennbar hohe Gewichtung der Volks­ge­setz­gebung durch den Verfas­sungs­ge­setzgeber entgegen.

Die genaue Grenze zwischen einem zulässigen und einem unzulässigen Volksbegehren lasse sich nur unter Zugrundelegung der jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalls ermitteln. Hierbei habe eine wertende Gesamt­be­trachtung zu erfolgen, in deren Rahmen die finanziel-len Auswirkungen des Volksbegehrens nach verschiedenen - quantitativen und qualitativen - Aspekten gewichtet und mit der Grund­ent­scheidung des Verfas­sungs­ge­setz­gebers zu-gunsten der Volks­ge­setz­gebung abgewogen werden müssten. Die Abwägung ergebe hier, so der Verfas­sungs­ge­richtshof, dass das Volksbegehren "Schluss mit dem Berliner Bankenskandal" die verfas­sungs­rechtliche Erheb­lich­keits­schwelle überschreite.

Bei der parla­men­ta­rischen Entscheidung über das Risiko­ab­schir­mungs­gesetz handele es sich um eine schwerwiegende, bewusste haushalts­po­li­tische (Grund-)Entscheidung, mit der das Volksbegehren unverkennbar in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehe, da es auf die Aufhebung des Risiko­ab­schir­mungs­ge­setzes und - hiermit untrennbar verbunden - auf die Auflösung der Bankge­sell­schaft gerichtet sei. Die Entscheidung über das Risiko­ab­schir­mungs­gesetz sei seinerzeit ausführlich diskutiert und aufgrund ihrer finan-ziellen Tragweite und Belastung künftiger Jahre und Jahrzehnte als haushalts­po­litisch äußerst gewichtig und weit reichend angesehen worden. Die Entscheidung sei daher in erheblichem Umfang haushalts­po­litisch motiviert, und die Abgeordneten seien sich der Bedeutung und der haushalts­po­li­tischen Tragweite der Entscheidung bewusst gewesen. Sie hätten mögliche Alternativen in Erwägung gezogen und deren jeweilige Folgen gegeneinander abgewogen. Sie hätten sich damit subjektiv im Kernbereich des ausschließlich ihnen zustehenden Budgetrechts bewegt.

Das Risiko­ab­schir­mungs­gesetz stelle aber auch objektiv einen im Kernbereich des parla­men­ta­rischen Budget- und Haushalts­ver­fas­sungs­rechts liegenden Komplex dar. Denn zu-mindest Teile der aufgrund des Risiko­ab­schir­mungs­gesetz begründeten Verpflichtungen seien als Sicherheiten im Sinne des Art. 87 Abs. 1 VvB anzusehen. Nach dieser Norm dürf-ten ohne gesetzliche Grundlage, also ohne vorheriges Gesetz des Abgeord­ne­ten­hauses von Berlin, weder Anleihen aufgenommen noch Sicherheiten geleistet werden. Die Vorschrift ergänze und sichere das parla­men­ta­rische Budgetrecht und verhindere, dass die Exekutive auf dem Umweg über die indirekte Verschuldung die Haushaltsrechte des Parlaments umgehe. Das Entschei­dungsrecht des Parlaments über die Deckungsmittel des Haushalts solle sichergestellt und es solle verhindert werden, dass diese Deckungsmittel schon für künftige Jahre vorbelastet würden. Die mit der Detail­ver­ein­barung einhergehenden Risiko­ab­schir­mungen seien teilweise Maßnahmen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 VvB. Dies gelte etwa hinsichtlich der der Bankge­sell­schaft, der LBB und der BerlinHyp gewährten Kreditgarantien, mit denen das Land für die Erfüllung der Zins- und Tilgungs­leis­tungen aus bestimmten Krediten und Kreditzusagen einstehe.

Das Volksbegehren müsse selbst dann scheitern, wenn man ihm Ausgabensenkung oder Haushalts­neu­tralität unterstelle. Denn das Volksbegehren bezwecke mit einer Aufhebung des Risiko­ab­schir­mungs­ge­setzes und einer anschließenden Insolvenz der Bankge­sell­schaft genau das, was im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren ausführlich erörtert und im Ergebnis wegen der vom Gesetzgeber erwarteten haushalts­mäßigen Belastungen als nicht akzeptabel abgelehnt worden sei, und betreffe demgemäß auch im Hinblick auf eine Abschätzung der möglichen Folgen einer Risiko­ab­schirmung bzw. einer Insolvenz der Bankge­sell­schaft den Kernbereich des parla­men­ta­rischen Budgetrechts. Selbst wenn das Parlament insoweit von unzutreffenden Prognosen hinsichtlich der zahlenmäßigen Auswirkungen der Risiko­ab­schirmung einerseits und einer Insolvenz der Bankge­sell­schaft andererseits ausgegangen sein sollte, habe es sich im Kernbereich des nur ihm zustehenden Budgetrechts bewegt und damit von einem Recht Gebrauch gemacht, dessen Wahrnehmung der Volks­ge­setz­gebung aufgrund des Haushalts­vor­behalts verwehrt sei.

Die Erheblichkeit der Volks­ge­setz­gebung für den Landeshaushalt ergebe sich hier ferner aus Art und zeitlicher Dauer der von dem volks­i­n­i­ti­ierten Gesetzentwurf ausgehenden finanziellen Belastungen. Die Aufhebung des Risiko­ab­schir­mungs­ge­setzes tangierte die landes­haus­halts­rechtliche Planung langfristig, da das Risiko­ab­schir­mungs­gesetz den Senat von Berlin zur Übernahme einer Garantie ermächtige, die spätestens mit Ablauf des Jahres 2032 ende. Die in dem Gesetzentwurf der Volksinitiative vorgesehene Auflösung der Bankge­sell­schaft wiederum sei voraussichtlich mit mindestens kurzfristigen Mehrbelastungen des Landes-haushalts verbunden, was sich im Übrigen als einschneidender für den Handlungs­spielraum des Haushalts­ge­setz­gebers darstellen dürfe als eine Streckung von Ausgaben auf mehrere Jahre mit jeweils geringerer Belastung.

Der Verfas­sungs­ge­richtshof stellte klar, dass es nicht Zweck des Haushalts­vor­behalts sei, der Gefahr einer missbräuch­lichen Instru­men­ta­li­sierung von Plebisziten vorzubeugen. Eine solche Gefahr bestehe nicht angesichts der differenzierten Regelungen der Verfassung von Berlin über Volksbegehren und Volksentscheid.

Der Haushalts­vor­behalt des Art. 62 Abs. 5 VvB diene vornehmlich dem Schutz des parla­men­ta­rischen Budgetrechts, dessen Schutz­ge­genstand auch das Recht der parla­men­ta­rischen Mehrheit und der von ihr getragenen Regierung sei, ihr politisches Programm, das mit der Wahl eine Legitimation erhalten habe, in Gestalt des - in der Regel in komplizierten politischen Aushand­lungs­pro­zessen erreichten - Haushaltsplans zu verwirklichen. Der Haushalts­vor­behalt bezwecke, Volksbegehren und Volksentscheide mit Koste­n­aus­wir­kungen jedenfalls von einer gewissen haushalts­wirt­schaft­lichen Schwelle zu unterbinden und derartige Entscheidungen dem parla­men­ta­rischen Gesetzgeber vorzubehalten, dessen Aufgabe und Verantwortung es sei, sämtliche Einnahmen und notwendigen Ausgaben unter Beachtung der Vorgaben der Verfassung im Rahmen eines von ihm zu entwickelnden Gesamtkonzepts in eine sachgerechte Relation zueinander zu setzen und für den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben zu sorgen.

Indem der Haushalts­vor­behalt die Volks­ge­setz­gebung ab einer gewissen haushaltswirt-schaftlichen Schwelle begrenze, könne er zugleich zur Sicherung der Leistungs­fä­higkeit des Staates beitragen. Die Volks­ge­setz­gebung könne sich auch Ausgaben steigernd auf den Haushalt auswirken. Während aber Parlament und Regierung im Rahmen ihrer Verantwortung für einen ausgeglichenen Haushalt bei der Aufstellung und Feststellung des Haushaltsplans und auch bei einzelnen finanzwirksamen Gesetzen kurz-, mittel- und auch langfristig zahlreichen verfas­sungs­recht­lichen Vorschriften und insbesondere der Verpflichtung unterlägen, Ausgaben grundsätzlich nur dann zu beschließen, wenn auch ein entsprechender Haushalts­aus­gleich verantwortet werden kann, sei der Volks­ge­setzgeber nicht verpflichtet, bei seiner Willensbildung auf den künftigen Haushalts­aus­gleich Rücksicht zu nehmen, so dass ausga­ben­in­tensive Volksentscheide zu einer Überforderung des staatlichen Leistungs­ver­mögens führen und den sozialen Frieden gefährden könnten.

Im Ergebnis schließe der Haushalts­vor­behalt die Finanzmaterie von einer erheblichen Beeinflussung durch Volksbegehren auch deshalb aus, weil sie aufgrund ihrer Komplexität für die Volks­ge­setz­gebung wenig geeignet sei. Zwar seien auch viele andere Regelungs­ge­gen­stände - etwa im Bereich des Umwelt- und Technikrechts - komplex und schwierig, ohne dass der Verfas­sungsgeber Anlass gesehen hätte, diesbezügliche Volks­i­n­i­tiativen auszuschließen. Es seien aber die Besonderheiten des Verfahrens der Volks­ge­setz­gebung gerade im Bereich des Finanzwesens zu berücksichtigen. Die Haushalts­wirt­schaft erfordere eine rationale, längerfristige Planung, die Einnahmen und Ausgaben aufeinander abstimme und das gesamt­wirt­schaftliche Gleichgewicht beachte. Dementsprechend müsse jede Entscheidung für eine zusätzliche Ausgabe grundsätzlich mit einer entsprechenden ausgleichenden Ent-scheidung verbunden sein. Das gelte nicht nur für den Haushalts­be­schluss als solchen, sondern für jede finanzielle Entscheidung des Gesetzgebers, die sich auf den Haushalt der ge-genwärtigen oder einer zukünftigen Haushalts­periode auswirke. Anders als im parla­men­ta­rischen Verfahren bestehe im direkt­de­mo­kra­tischen Verfahren in Berlin aber gerade nicht die Möglichkeit, im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren eine Deckungs­mög­lichkeit unter Anpassung des Gesetzentwurfs zu suchen, da sich das Volks­ge­setz­ge­bungs­ver­fahren durch eine strenge Kompro­miss­lo­sigkeit auszeichne. Es bestehe grundsätzlich keine Möglichkeit einer inhaltlichen Ergänzung oder Korrektur des Volksbegehrens im laufenden Verfahren, so dass Volksentscheid und Volksbegehren lediglich Antwort­cha­rakter hätten.

Erläuterungen

Das Abgeord­ne­tenhaus hatte im April 2002 das sog. Risiko­ab­schir­mungs­gesetz verabschiedet, wonach der Senat ermächtigt wurde, für Risiken aus dem Immobi­li­en­dienst­leis­tungs­ge­schäft der Bank-gesellschaft Berlin AG und einiger ihrer Tochter­ge­sell­schaften eine Landesgarantie bis zu einer Summe von höchstens 21,6 Milliarden Euro bei einer Laufzeit bis längstens zum Jahre 2032 zu überneh-men. Die Anteile des Landes Berlin an der Bankge­sell­schaft AG sollten schnellst­möglich zu für das Land Berlin vertretbaren Bedingungen veräußert werden. Zur Begründung hieß es, es würde die Schließung der Bankge­sell­schaft drohen, wenn die Risiken nicht durch das Land abgeschirmt würden, und der dann eintretende finanzielle Schaden für das Land Berlin wäre erheblich höher. Einzelheiten der Garan­tie­übernahme wurden zeitgleich durch eine Detail­ver­ein­barung geregelt.

Daraufhin forderte die Initiative Berliner Bankenskandal mit ca. 37.000 Unterschriften die Durchfüh-rung eines Volksbegehrens und legte einen Gesetzentwurf vor, der die Aufhebung des Risikoabschir-mungsgesetzes sowie die Auflösung der Bankge­sell­schaft vorsah.

Am 3. Februar 2004 stellte der Senat im Hinblick auf Art. 62 Abs. 5 VvB die Unzulässigkeit des An-trags auf Zulassung des Volksbegehrens fest. Der vorgelegte Gesetzentwurf sei zwar formal kein Haushaltsgesetz und beziehe sich nicht unmittelbar auf einen bestimmten Haushaltsplan. Er habe jedoch einen zeitlich und sachlich engen Zusammenhang mit konkreten haushalts­po­li­tischen Ent-scheidungen des Abgeord­ne­ten­hauses und zwinge den Haushalts­ge­setzgeber zu einer Neuordnung des Gesamtgefüges des Haushalts. Die bezifferbaren Kosten des Gesetzentwurfs in Höhe von min-destens 6,3 Mrd. € sowie die unbezifferbaren Risiken des Volksbegehrens beein­träch­tigten die Haus-haltskompetenz des Parlaments, ohne dass die Folgen haushalts­neutral korrigiert werden könnten.

Gegen diese Entscheidung des Senats richtete sich der zur Verhandlung anstehende Einspruch.

Quelle: Pressemitteilung des VerfGH Berlin vom 22.11.2005

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