14.11.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 1316

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Urteil22.11.2005Verfassungsgerichtshof BerlinVerfGH 217/04
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Verfassungsgerichtshof Berlin Urteil22.11.2005

Unterlassen der Finanzplanung für die Jahre 2004 bis 2008 ist verfas­sungs­widrig

Es war verfas­sungs­widrig, dass es der Senat im Jahre 2004 unterließ, dem Abgeord­ne­tenhaus von Berlin eine Finanzplanung für die Jahre 2004 bis 2008 vorzulegen. Dass dem Parlament im Jahre 2004 kein Entwurf eines Haushalts­ge­setzes für das Jahr 2005 vorzulegen war, weil das Abgeord­ne­tenhaus für die Jahre 2004 und 2005 bereits einen Doppelhaushalt verabschiedet hatte, ist unerheblich.

Art. 86 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung von Berlin - VvB -, wonach der Finanzplan dem Abgeord­ne­tenhaus spätestens im Zusammenhang mit dem Entwurf des Haushalts­ge­setzes für das nächste Haushaltsjahr vorzulegen ist, verpflichtet den Senat von Berlin, dem Abgeord­ne­tenhaus in jedem Haushaltsjahr einen der Entwicklung angepassten und fortgeführten Finanzplan vorzulegen.

Die Pflicht zur jährlichen Vorlage besteht auch dann, wenn es wegen eines für das laufende und das nächste Haushaltjahr aufgestellten und verabschiedeten Doppelhaushalts im laufenden Haushaltsjahr nicht der Vorlage des Entwurfs eines Haushalts­ge­setzes für das nächste Haushaltsjahr bedarf. Mit dieser Begründung gab der Verfas­sungs­ge­richtshof des Landes Berlin in einem Organ­streit­ver­fahren den Opposi­ti­o­ns­frak­tionen im Berliner Abgeord­ne­tenhaus Recht, die das Unterlassen des Senats gerügt und für die Zukunft die Wiederholung eines solchen Verhaltens befürchtet hatten. Die Anträge dreier Abgeordneter wies der Verfas­sungs­ge­richtshof dagegen mit der Begründung zurück, dass die Verfassung von Berlin dem einzelnen Abgeordneten nicht das Recht verleihe, von dem Senat die Vorlage einer mittelfristigen Finanzplanung zu fordern. Die Verfassung von Berlin verleihe lediglich dem Parlament einen Anspruch auf Vorlage des Finanzplans gegen den Senat, welcher auch durch die Fraktionen vor dem Verfas­sungs­ge­richtshof geltend gemacht werden könne.

Der Verfas­sungs­ge­richtshof verwies darauf, dass Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB eine bereits nach dem Haushalts­grund­sät­ze­gesetz und dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft bestehende bundes­rechtliche Pflicht des Senats wiederhole und damit eine eigenständige subjektive Rechtsposition des Parlaments schaffe, welches diese Position - anders als die bundes­rechtliche Verpflichtung - auch vor dem Verfas­sungs­ge­richtshof durchsetzen könne.

Die ausnahmslose Pflicht zur jährlichen Vorlage des Finanzplans entspreche aber auch dem Wesen sowie Sinn und Zweck der fünfjährigen Finanzplanung. Sinn und Zweck der Finanzplanung sei es, die Haushalts­wirt­schaft, die von dem kurzfristig angelegten System der jährlichen Haushalts­planung dominiert werde, in einen mittelfristigen Orien­tie­rungs­rahmen ein-zuordnen, der einen Überblick über längerfristige finanz- und wirtschafts­po­li­tische Zielvorstel-lungen verschaffe und eine die größeren Problem- und Lösungs­zu­sam­menhänge reflektierende Haushalts­per­spektive vermittele. Die mehrjährige Finanzplanung solle dabei helfen, haushalts­po­li­tische Entscheidungen, insbesondere über größere haushalts­wirt­schaftliche Maßnahmen wie etwa umfangreiche Inves­ti­ti­o­ns­vorhaben, mit Rücksicht auf die daraus folgenden Konsequenzen für das Haushalts­volumen und den Haushalts­aus­gleich über einen längeren Zeitraum zu treffen. Die mehrjährige Finanzplanung habe damit für finan­z­wirt­schaftliche Rationalität und geplante Kontinuität zu sorgen.

Diese Funktionen könne eine fünfjährige Finanzplanung auch in einem Haushaltsjahr erfüllen, in welchem dem Parlament der Entwurf eines Haushalts­ge­setzes für das nächste Haushaltsjahr nicht vorgelegt werden müsse. Dies gelte etwa hinsichtlich des Handelns der Exekutive. Diese sei nicht verpflichtet, den Haushalt durch Ausgaben und Verpflich­tungs­über­nahmen umzusetzen. Vielmehr entscheide sie im Rahmen der geltenden Gesetze nach eigenem Ermessen. Es liege auf der Hand, dass ihr dabei eine jährlich fortgeführte, aktuelle Finanzplanung die notwendige Orientierung bieten könne, um ihr Handeln - insbesondere soweit es um den Haushalts­aus­gleich oder konjunktur- und wirtschafts­lenkende Maßnahmen gehe - auf eine mittelfristige Perspektive auszurichten. Aber auch Parlament und Öffentlichkeit könnten ihr Verhalten und die Kontrolle der Regierung im laufenden Haushaltsjahr an einer fünfjährigen jeweils jährlich fortge­schriebenen Finanzplanung unabhängig davon orientieren, ob es der Feststellung eines Haushaltsplanes für das nächste Haushaltsjahr bedürfe. Dies gelte hinsichtlich des Parlaments um so mehr, als das Parlament auch im Falle eines Doppelhaushalts im laufenden Haushaltsjahr mit haushalts­wirt­schaft­lichen Fragen befasst werden könne. So sei nach der Berliner Verfassung im Falle einer Haushalts­über­schreitung die Genehmigung des Abgeord­ne­ten­hauses einzuholen. Ebenso sei es etwa denkbar, dass im laufenden Haushaltsjahr Nachträge zum Haushaltsgesetz eingebracht würden.

Die ausnahmslose jährliche Anpassung des Finanzplans an die Entwicklung und seine jährliche Fortführung machten gerade das Wesen der Finanzplanung aus. Dieses werde geprägt durch den mehrjährigen Zeitraum, für den die Planung gelten solle. Erfahrungsgemäß sei schon der ein- oder zweijährige Haushaltsplan mit zahlreichen Risiken behaftet, die sowohl in den Annahmen über die finanz- und gesamt­wirt­schaftliche Entwicklung und damit in der Ungenauigkeit der Schätzung der einzelnen Einnahmen und Ausgaben als auch in unvorhergesehen eintretenden Ereignissen lägen, die sich einer Einflussnahme durch die Regierung oder das Parlament entzögen. Um so mehr müsse dies für die mittelfristige Prognose der voraus­sicht­lichen Ausgaben oder der mutmaßlichen Entwicklung des gesamt­wirt­schaft­lichen Leistungs­ver­mögens gelten. Schon kleine Veränderungen der Progno­se­grundlage, wozu bereits ein Abweichen des festgestellten Haushaltsplanes von der ihm zugrundelie-genden Finanzplanung zählen könne, könnten hier erhebliche Auswirkungen auf die Verlässlichkeit der auf fünf Jahre angelegten Prognose selbst haben. Andererseits solle der Finanzplan aber Regierung und Parlament eine verlässliche Orien­tie­rungshilfe sein, die es ermögliche, auf unerwartete Entwicklungen auch kurzfristig reagieren zu können. Deshalb wider-spreche es dem Wesen der Finanzplanung, sie in größeren zeitlichen Abständen als einem Jahr der Entwicklung anzupassen.

Die Pflicht, die fünfjährige Finanzplanung nicht nur jährlich fortzuführen, sondern sie dem Parlament auch jährlich vorzulegen, dürfe nicht zuletzt von einiger Bedeutung für die Quali­täts­si­cherung der Finanzplanung sein. Denn indem die Regierung dazu gezwungen sei, den jährlichen Finanzplan dem Parlament vorzulegen und ihn damit der parla­men­ta­rischen Kontrolle und Ausein­an­der­setzung aber auch der öffentlichen Kritik auszusetzen, werde sie womöglich in verstärktem Maße dazu angehalten, ein der finan­z­wirt­schaft­lichen Rationalität verpflichtetes, konsequentes mittelfristiges Konzept ihrer Politik auszuarbeiten.

Erläuterungen
Der Senat von Berlin hatte dem Abgeord­ne­tenhaus von Berlin Ende Juli 2003 den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für die Haushaltsjahre 2004 und 2005 zur Beschluss­fassung vorgelegt. Anfang September 2003 legte er dem Abgeord­ne­tenhaus den Finanzplan für die Jahre 2003 bis 2007 vor. Das Abgeord­ne­tenhaus beschloss Anfang April 2004 mit Wir-kung zum 1. Januar 2004 einen Doppelhaushalt für die Jahre 2004 und 2005. Ende November 2004 lehnte das Abgeord­ne­tenhaus den dringlichen Antrag der FDP-Fraktion ab, den Senat von Berlin auf-zufordern, bis zum 31. Dezember 2004 die mittelfristige Finanzplanung von Berlin für die Jahre 2004 bis 2008 zu erstellen. In der Aussprache, die der Abstimmung vorausging, erklärte der Senator für Finanzen, dass die nächste Finanzplanung für Berlin erst mit dem Haushalt für das Jahr 2006 vorgelegt werde. Ende Dezember 2004 war der Antrag der Antragsteller auf Durchführung eines Organ-streit­ver­fahrens bei dem Verfas­sungs­ge­richtshof des Landes Berlin eingegangen.

Quelle: Pressemitteilung des VerfGH vom 22.11.2005

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