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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil18.12.2006
Auch Waldorfkindergärten müssen finanzielle Förderung von der Gemeinde erhaltenAnspruch auf gleiche Zuschüsse wie kirchliche oder gemeindliche Kindergärten
Ein freier Träger der Jugendhilfe (hier: Waldorfkindergarten) hat nach Maßgabe des § 74 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 8. Buch - SGB VIII - gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Land- oder Stadtkreis) einen einklagbaren Anspruch auf finanzielle Förderung. Er muss nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht vorrangig die Gemeinde am Sitz des Kindergartens in Anspruch nehmen, die für eine Förderung nach dem Kindergartengesetz zwar zuständig wäre, aber die Förderung von Kindergärten mit überörtlichem Einzugsbereich ganz oder teilweise verweigert.
Der Kläger, ein eingetragener Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik, der im Landkreis Hohenlohekreis einen Waldorfkindergarten betreibt, begehrt vom beklagten Landkreis die Bewilligung eines Betriebskostenzuschusses für das Rechnungsjahr 2004. Zur Begründung macht er geltend, die nach dem Kindergartengesetz zuständige Gemeinde weigere sich, den Kindergarten in die Bedarfsplanung aufzunehmen und sei nur bereit, den um 10 % verminderten Gruppenzuschuss nach dem Kindergartengesetz 2002 als Freiwilligkeitsleistung zu gewähren (ca. 14.000,-- EUR). Bei örtliche Kindergärten, die in die Bedarfsplanung der Gemeinde aufgenommen wurden, übernahm die Gemeinde hingegen mindestens 63 % der Betriebsausgaben (hier: 59.850,-- EUR). Der Beklagte (Landkreis Hohenlohekreis) verweist darauf, dass die Kinderbetreuungsaufgaben des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe im Kreisgebiet absprachegemäß von den Gemeinden wahrgenommen würden, was auch den Regelungen des seit dem 01.01.2004 geltenden Kindergartengesetzes entspreche. Im Betriebsjahr 2004 habe sowohl im Kreisgebiet als auch in der betreffenden Gemeinde ein ausreichendes Angebot an Kindergartenplätzen bestanden (Überdeckung 110,2 % bzw. 107,4 %), weshalb eine eigene Kindergartenbedarfsplanung entbehrlich gewesen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht Stuttgart - einen Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Kindergartenbetriebskostenzuschusses für das Jahr 2004 dem Grunde nach bejaht und den Landkreis verpflichtet, über die Art und Höhe der Förderung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Zwar gehe § 8 des seit 01.01.2004 geltenden Kindergartengesetzes grundsätzlich von örtlichen Kindergärten und deren Förderung durch die Sitzgemeinde aus und sehe die Förderung von Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet, wie die des Klägers, nur in Ausnahmefällen vor. Das neue Kindergartengesetz vermittle den freien Trägern der Jugendhilfe jedoch nur zusätzliche Ansprüche gegen die kreisangehörigen Gemeinden, beseitige aber nicht einen durch Bundesrecht verliehenen Anspruch des freien Trägers auf Förderung gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe aus § 74 SGB VIII. Dieser bundesrechtliche Anspruch könne dem Kläger auch nicht durch eine schlichte Gegenüberstellung der im Kreisgebiet vorhandenen Kindergartenplätze und der Anzahl der in Frage kommenden Kinder zwischen der Vollendung des dritten Lebensjahres und dem Einschulungsalter und der hieraus berechneten Bedarfsdeckung verweigert werden. Denn der für die Jugendhilfeplanung maßgebliche Bedarf könne nicht abstrakt quantitativ definiert werden, sondern müsse auch die Vielzahl von Wertorientierungen, Inhalten, Methoden und Arbeitsformen berücksichtigen und dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten Rechnung tragen. Der Gesetzgeber des SGB VIII habe der Pluralität der Wert- und Erziehungsvorstellungen Vorrang eingeräumt, was sich auch in der konkreten Förderpraxis niederschlagen müsse. Kommunale und kirchliche Kindergärten dürften nicht als „closed shop“ verstanden werden. Auch könne sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur dann erfolgreich auf fehlende Haushaltsmittel berufen, wenn er Haushaltsmittel, die typischerweise zur Aufgabenerfüllung genügen, in seine Haushaltsplanung eingestellt habe und diese wegen einer besonderen Inanspruchnahme nicht ausreichten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Bestehe daher ein Anspruch auf Förderung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe dem Grunde nach, müsse dieser nach pflichtgemäßem Ermessen über Art und Maß der Förderung entscheiden. Bei dieser Entscheidung müsse er dafür Sorge tragen, dass die Förderung von Kindergärten freier Träger in etwa gleich erfolge wie bei kirchlichen oder gemeindlichen Kindergärten. Eine Differenzierung der Förderhöhe insbesondere nach der weltanschaulich-religiösen Ausrichtung des freien Trägers sei unzulässig.
Erläuterungen
aus dem Gesetz
Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) Kinder- und Jugendhilfe
§ 74 Förderung der freien Jugendhilfe
(1)Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe anregen; sie sollen sie fördern, wenn der jeweilige Träger
1. die fachlichen Voraussetzungen für die geplante Maßnahme erfüllt,
2. die Gewähr für eine zweckentsprechende und wirtschaftliche Verwendung der Mittel bietet,
3. gemeinnützige Ziele verfolgt, 4. eine angemessene Eigenleistung erbringt und
5. die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bietet.
Eine auf Dauer angelegte Förderung setzt in der Regel die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe nach § 75 voraus.
(2)Soweit von der freien Jugendhilfe Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen geschaffen werden, um die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch zu ermöglichen, kann die Förderung von der Bereitschaft abhängig gemacht werden, diese Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen nach Maßgabe der Jugendhilfeplanung und unter Beachtung der in § 9 genannten Grundsätze anzubieten. § 4 Abs. 1 bleibt unberührt.
(3)Über die Art und Höhe der Förderung entscheidet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen. Entsprechendes gilt, wenn mehrere Antragsteller die Förderungsvoraussetzungen erfüllen und die von ihnen vorgesehenen Maßnahmen gleich geeignet sind, zur Befriedigung des Bedarfs jedoch nur eine Maßnahme notwendig ist. Bei der Bemessung der Eigenleistung sind die unterschiedliche Finanzkraft und die sonstigen Verhältnisse zu berücksichtigen.
(4)Bei sonst gleich geeigneten Maßnahmen soll solchen der Vorzug gegeben werden, die stärker an den Interessen der Betroffenen orientiert sind und ihre Einflußnahme auf die Ausgestaltung der Maßnahme gewährleisten.
(5)Bei der Förderung gleichartiger Maßnahmen mehrerer Träger sind unter Berücksichtigung ihrer Eigenleistungen gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzulegen. Werden gleichartige Maßnahmen von der freien und der öffentlichen Jugendhilfe durchgeführt, so sind bei der Förderung die Grundsätze und Maßstäbe anzuwenden, die für die Finanzierung der Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe gelten.
(6)Die Förderung von anerkannten Trägern der Jugendhilfe soll auch Mittel für die Fortbildung der haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeiter sowie im Bereich der Jugendarbeit Mittel für die Errichtung und Unterhaltung von Jugendfreizeit- und Jugendbildungsstätten einschließen.
Kindergartengesetz B.-W.
§ 8 Förderung freier Träger
(Fassungvom 08.04.2003,in Kraft ab 01.01.2004)
(1)Die nach § 75 SGB VIII anerkannten Träger der freien Jugendhilfe erhalten von den Gemeinden an den Betreuungsformen nach § 1 Abs. 2 bis 4 und an den Betriebsformen nach § 1 Abs. 5 ausgerichtete Zuschüsse zu den Betriebsausgaben (Personal- und Sachausgaben) einer Gruppe.
(2)Die Zuschüsse werden nur für Einrichtungen gewährt, die der Bedarfsplanung nach § 3 Abs. 2 entsprechen. Für Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet können Ausnahmen zugelassen werden.
(3)Die Höhe des Zuschusses beträgt mindestens 63 vom Hundert der Betriebsausgaben. Für Einrichtungen im Sinne von Absatz 2 Satz 2 beträgt der Zuschuss mindestens 31,5 vom Hundert der Betriebsausgaben.
(4)Die über Absatz 3 hinausgehende Förderung wird in einem Vertrag zwischen der Gemeinde und dem Träger der freien Jugendhilfe geregelt.
(5)Die Kommunalen Landesverbände schließen mit den Kirchen und den Verbänden der sonstigen freien Träger der Jugendhilfe eine Rahmenvereinbarung über Planung, Betrieb und Finanzierung. Die Rahmenvereinbarung bildet die Grundlage für die Verträge im Sinne von Absatz 4.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 16.01.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 11.01.2007
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