24.11.2024
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Dokument-Nr. 3654

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Urteil18.12.2006Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg12 S 2474/06
ergänzende Informationen

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil18.12.2006

Auch Waldorf­kin­der­gärten müssen finanzielle Förderung von der Gemeinde erhaltenAnspruch auf gleiche Zuschüsse wie kirchliche oder gemeindliche Kindergärten

Ein freier Träger der Jugendhilfe (hier: Waldorf­kin­der­garten) hat nach Maßgabe des § 74 Abs. 1 Sozial­ge­setzbuch 8. Buch - SGB VIII - gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Land- oder Stadtkreis) einen einklagbaren Anspruch auf finanzielle Förderung. Er muss nach einem Urteil des Verwal­tungs­ge­richtshofs Baden-Württemberg nicht vorrangig die Gemeinde am Sitz des Kindergartens in Anspruch nehmen, die für eine Förderung nach dem Kinder­gar­ten­gesetz zwar zuständig wäre, aber die Förderung von Kindergärten mit überörtlichem Einzugsbereich ganz oder teilweise verweigert.

Der Kläger, ein eingetragener Verein zur Förderung der Waldorf­päd­agogik, der im Landkreis Hohenlohekreis einen Waldorf­kin­der­garten betreibt, begehrt vom beklagten Landkreis die Bewilligung eines Betrie­bs­kos­ten­zu­schusses für das Rechnungsjahr 2004. Zur Begründung macht er geltend, die nach dem Kinder­gar­ten­gesetz zuständige Gemeinde weigere sich, den Kindergarten in die Bedarfsplanung aufzunehmen und sei nur bereit, den um 10 % verminderten Gruppenzuschuss nach dem Kinder­gar­ten­gesetz 2002 als Freiwil­lig­keits­leistung zu gewähren (ca. 14.000,-- EUR). Bei örtliche Kindergärten, die in die Bedarfsplanung der Gemeinde aufgenommen wurden, übernahm die Gemeinde hingegen mindestens 63 % der Betrie­bs­ausgaben (hier: 59.850,-- EUR). Der Beklagte (Landkreis Hohenlohekreis) verweist darauf, dass die Kinder­be­treu­ungs­aufgaben des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe im Kreisgebiet absprachegemäß von den Gemeinden wahrgenommen würden, was auch den Regelungen des seit dem 01.01.2004 geltenden Kinder­gar­ten­ge­setzes entspreche. Im Betriebsjahr 2004 habe sowohl im Kreisgebiet als auch in der betreffenden Gemeinde ein ausreichendes Angebot an Kinder­gar­ten­plätzen bestanden (Überdeckung 110,2 % bzw. 107,4 %), weshalb eine eigene Kinder­gar­ten­be­da­rfs­planung entbehrlich gewesen sei.

Der Verwal­tungs­ge­richtshof hat - in Übereinstimmung mit dem Verwal­tungs­gericht Stuttgart - einen Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Kinder­gar­ten­be­trie­bs­kos­ten­zu­schusses für das Jahr 2004 dem Grunde nach bejaht und den Landkreis verpflichtet, über die Art und Höhe der Förderung unter Beachtung der Rechts­auf­fassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Zwar gehe § 8 des seit 01.01.2004 geltenden Kinder­gar­ten­ge­setzes grundsätzlich von örtlichen Kindergärten und deren Förderung durch die Sitzgemeinde aus und sehe die Förderung von Einrichtungen mit gemein­de­über­grei­fendem Einzugsgebiet, wie die des Klägers, nur in Ausnahmefällen vor. Das neue Kinder­gar­ten­gesetz vermittle den freien Trägern der Jugendhilfe jedoch nur zusätzliche Ansprüche gegen die kreis­an­ge­hörigen Gemeinden, beseitige aber nicht einen durch Bundesrecht verliehenen Anspruch des freien Trägers auf Förderung gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe aus § 74 SGB VIII. Dieser bundes­rechtliche Anspruch könne dem Kläger auch nicht durch eine schlichte Gegen­über­stellung der im Kreisgebiet vorhandenen Kinder­gar­ten­plätze und der Anzahl der in Frage kommenden Kinder zwischen der Vollendung des dritten Lebensjahres und dem Einschu­lung­salter und der hieraus berechneten Bedarfsdeckung verweigert werden. Denn der für die Jugend­hil­fe­planung maßgebliche Bedarf könne nicht abstrakt quantitativ definiert werden, sondern müsse auch die Vielzahl von Werto­ri­en­tie­rungen, Inhalten, Methoden und Arbeitsformen berücksichtigen und dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungs­be­rech­tigten Rechnung tragen. Der Gesetzgeber des SGB VIII habe der Pluralität der Wert- und Erzie­hungs­vor­stel­lungen Vorrang eingeräumt, was sich auch in der konkreten Förderpraxis niederschlagen müsse. Kommunale und kirchliche Kindergärten dürften nicht als „closed shop“ verstanden werden. Auch könne sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur dann erfolgreich auf fehlende Haushaltsmittel berufen, wenn er Haushaltsmittel, die typischerweise zur Aufga­be­n­er­füllung genügen, in seine Haushalts­planung eingestellt habe und diese wegen einer besonderen Inanspruchnahme nicht ausreichten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Bestehe daher ein Anspruch auf Förderung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe dem Grunde nach, müsse dieser nach pflichtgemäßem Ermessen über Art und Maß der Förderung entscheiden. Bei dieser Entscheidung müsse er dafür Sorge tragen, dass die Förderung von Kindergärten freier Träger in etwa gleich erfolge wie bei kirchlichen oder gemeindlichen Kindergärten. Eine Differenzierung der Förderhöhe insbesondere nach der weltanschaulich-religiösen Ausrichtung des freien Trägers sei unzulässig.

Erläuterungen

aus dem Gesetz

Sozial­ge­setzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) Kinder- und Jugendhilfe

§ 74 Förderung der freien Jugendhilfe

(1)Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe anregen; sie sollen sie fördern, wenn der jeweilige Träger

1. die fachlichen Voraussetzungen für die geplante Maßnahme erfüllt,

2. die Gewähr für eine zweck­ent­spre­chende und wirtschaftliche Verwendung der Mittel bietet,

3. gemeinnützige Ziele verfolgt, 4. eine angemessene Eigenleistung erbringt und

5. die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bietet.

Eine auf Dauer angelegte Förderung setzt in der Regel die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe nach § 75 voraus.

(2)Soweit von der freien Jugendhilfe Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen geschaffen werden, um die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch zu ermöglichen, kann die Förderung von der Bereitschaft abhängig gemacht werden, diese Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen nach Maßgabe der Jugend­hil­fe­planung und unter Beachtung der in § 9 genannten Grundsätze anzubieten. § 4 Abs. 1 bleibt unberührt.

(3)Über die Art und Höhe der Förderung entscheidet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen. Entsprechendes gilt, wenn mehrere Antragsteller die Förde­rungs­vor­aus­set­zungen erfüllen und die von ihnen vorgesehenen Maßnahmen gleich geeignet sind, zur Befriedigung des Bedarfs jedoch nur eine Maßnahme notwendig ist. Bei der Bemessung der Eigenleistung sind die unter­schiedliche Finanzkraft und die sonstigen Verhältnisse zu berücksichtigen.

(4)Bei sonst gleich geeigneten Maßnahmen soll solchen der Vorzug gegeben werden, die stärker an den Interessen der Betroffenen orientiert sind und ihre Einflußnahme auf die Ausgestaltung der Maßnahme gewährleisten.

(5)Bei der Förderung gleichartiger Maßnahmen mehrerer Träger sind unter Berück­sich­tigung ihrer Eigenleistungen gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzulegen. Werden gleichartige Maßnahmen von der freien und der öffentlichen Jugendhilfe durchgeführt, so sind bei der Förderung die Grundsätze und Maßstäbe anzuwenden, die für die Finanzierung der Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe gelten.

(6)Die Förderung von anerkannten Trägern der Jugendhilfe soll auch Mittel für die Fortbildung der haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeiter sowie im Bereich der Jugendarbeit Mittel für die Errichtung und Unterhaltung von Jugendfreizeit- und Jugend­bil­dungs­stätten einschließen.

Kinder­gar­ten­gesetz B.-W.

§ 8 Förderung freier Träger

(Fassungvom 08.04.2003,in Kraft ab 01.01.2004)

(1)Die nach § 75 SGB VIII anerkannten Träger der freien Jugendhilfe erhalten von den Gemeinden an den Betreu­ungs­formen nach § 1 Abs. 2 bis 4 und an den Betriebsformen nach § 1 Abs. 5 ausgerichtete Zuschüsse zu den Betrie­bs­ausgaben (Personal- und Sachausgaben) einer Gruppe.

(2)Die Zuschüsse werden nur für Einrichtungen gewährt, die der Bedarfsplanung nach § 3 Abs. 2 entsprechen. Für Einrichtungen mit gemein­de­über­grei­fendem Einzugsgebiet können Ausnahmen zugelassen werden.

(3)Die Höhe des Zuschusses beträgt mindestens 63 vom Hundert der Betrie­bs­ausgaben. Für Einrichtungen im Sinne von Absatz 2 Satz 2 beträgt der Zuschuss mindestens 31,5 vom Hundert der Betrie­bs­ausgaben.

(4)Die über Absatz 3 hinausgehende Förderung wird in einem Vertrag zwischen der Gemeinde und dem Träger der freien Jugendhilfe geregelt.

(5)Die Kommunalen Landesverbände schließen mit den Kirchen und den Verbänden der sonstigen freien Träger der Jugendhilfe eine Rahmen­ver­ein­barung über Planung, Betrieb und Finanzierung. Die Rahmen­ver­ein­barung bildet die Grundlage für die Verträge im Sinne von Absatz 4.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 11.01.2007

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