15.11.2024
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Dokument-Nr. 15912

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Urteil07.05.2013Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg10 S 281/12
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • GRUR 2013, 821Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Jahrgang: 2013, Seite: 821
  • K&R 2013, 515Zeitschrift: Kommunikation & Recht (K&R), Jahrgang: 2013, Seite: 515
  • MMR 2014, 352Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2014, Seite: 352
  • NJW 2013, 2045Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 2045
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Vorinstanz:
  • Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil03.11.2011, 3 K 2289/09
ergänzende Informationen

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil07.05.2013

Bundes­verfassungs­gericht muss seine für die juris GmbH aufbereiteten Entscheidungen auch anderen Dritten übermittelnAusschließ­liches Nutzungsrecht der juris GmbH stellt nicht gerechtfertigte Privilegierung dar

Das Bundes­verfassungs­gericht ist aus Gründen der Gleich­be­handlung verpflichtet, seine der juris GmbH mit Orien­tie­rungs­sätzen zur Veröf­fent­lichung überlassenen Entscheidungen zu denselben Bedingungen und in derselben Form auch anderen Dritten zu übermitteln. Das hat der Verwaltungs­gerichtshof Baden-Württemberg entschieden.

Die juris GmbH (Beigeladene) betreibt aufgrund von Verträgen mit der Bundesrepublik Deutschland (Beklagte) von 1991 und 1994 arbeitsteilig mit dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht und den obersten Bundesgerichten ein compu­ter­ge­stütztes Rechts­in­for­ma­ti­o­ns­system. Die Dokumen­ta­ti­o­ns­stelle des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts erzeugt anhand von Ordnungs­merkmalen der juris GmbH (XML-Dateien) Datensätze zu Entscheidungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts. Dokumentare des Gerichts verfassen hierzu auch Orien­tie­rungssätze über den Entschei­dungs­inhalt. Die juris GmbH übernimmt die Datensätze in eine Datenbank und vermarktet sie. Die Klägerin bietet ebenfalls eine juristische Datenbank an. Anfang Juni 2009 beantragte sie, ihr alle ab dem 1. Juni 2009 vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht an die juris GmbH dokumentarisch aufbereitet übermittelten Entscheidungen in identischer (elektronischer) Form zu übermitteln. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht lehnte dies mangels Rechtsgrundlage ab. Mit ihrer Klage berief sich die Klägerin auf einen Gleich­be­hand­lungs­an­spruch nach dem Infor­ma­ti­o­ns­wei­ter­ver­wen­dungs­gesetz (IWG). Danach ist "jede Person bei der Entscheidung über die Weiter­ver­wendung vorhandener Informationen öffentlicher Stellen, die diese zur Weiter­ver­wendung zur Verfügung gestellt haben, gleich zu behandeln."

VG: Orien­tie­rungssätze sind urheber­rechtlich geschützt und keine amtlichen Werke

Das Verwal­tungs­gericht Karlsruhe wies die Klage ab. Das IWG sei nicht anwendbar, weil die Orien­tie­rungssätze als persönliche geistige Schöpfungen der Dokumentare des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts urheber­rechtlich geschützt und keine amtlichen Werke seien. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg folgte dem nicht und gab der Klage statt.

VGH bejaht Anwendbarkeit des Infor­ma­ti­o­ns­wei­ter­ver­wen­dungs­ge­setzes

Das IWG sei auf den geltend gemachten Anspruch anwendbar. Die Erstellung der streitigen Informationen gehöre zu den öffentlichen Aufgaben des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts. Das folge aus den Vorgaben der Richtlinie 2003/98/EG über die Weiter­ver­wendung von Informationen des öffentlichen Sektors, die das IWG umsetze. Auch seien die begehrten Informationen, einschließlich der Orien­tie­rungssätze, nicht urheber­rechtlich geschützt. Die Orien­tie­rungssätze stellten als "amtlich verfasste Leitsätze" gemeinfreie amtliche Werke dar. Für die Amtlichkeit eines Werks genüge, dass es von einem Bediensteten des Amtes, zu dem auch die Gerichts­ver­waltung zähle, geschaffen sei. Das sei der Fall. Die Dokumentare des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts verfassten die Orien­tie­rungssätze nicht als Privatpersonen, sondern als Beschäftigte in der Dokumen­ta­ti­o­ns­stelle des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts.

Vorschrift des Urheber­rechts­ge­setzes sind über die Gemeinfreiheit amtlicher Werke auf "amtliche Datenbanken" entsprechend anwendbar

Die Anwendbarkeit des IWG scheitere auch nicht an einem urheber­recht­lichen (Investitions-)Schutz der juris GmbH als Daten­bank­her­stellerin. Insoweit folge der Senat dem Bundes­ge­richtshof, der die Vorschrift des Urheber­rechts­ge­setzes über die Gemeinfreiheit amtlicher Werke auf "amtliche Datenbanken" entsprechend anwende. Die Klägerin verlange auch keinen Zugriff auf Datenbanken der juris GmbH. Dass sie mit den nach Vorgaben der juris GmbH (XML-Dateien) erstellten Datensätzen an "unerwünschte Informationen" gelangen könnte, sei nur der vertraglich vereinbarten Arbeitsteilung zwischen der beklagten Bundesrepublik Deutschland und der juris GmbH geschuldet. Diese Arbeitsteilung sei rechtlich nicht geboten. Entweder könnte die juris GmbH die Entscheidungen durch eigenes Personal dokumentarisch bearbeiten oder das Bundes­ver­fas­sungs­gericht könnte alle mit der Recht­spre­chungs­da­tenbank verbundenen Aufgaben selbst durchführen.

Vertragliche Nutzungs­be­fugnis von juris an Dokumenten des BVerfG geht deutlich über Verwal­tungshilfe hinaus

Die Voraussetzungen des Gleich­be­hand­lungs­an­spruchs nach dem IWG seien erfüllt, insbesondere habe das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts die streitigen Informationen bereits der juris GmbH zur eigenen "Weiter­ver­wendung" zur Verfügung gestellt. Zwar fungiere die juris GmbH nach der vertraglichen Konstruktion als Verwal­tungs­helfer der Beklagten, um die Dokumen­ta­ti­o­ns­arbeit des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zu erfüllen. Ihre vertragliche Nutzungs­be­fugnis an den Dokumenten des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts gehe aber deutlich über die Verwal­tungshilfe hinaus. Die juris GmbH habe ein Geschäftsmodell entwickelt, das am Markt kommerziell überaus erfolgreich agiere. Die vertraglich sowie satzungs­rechtlich intendierte und abgesicherte "Weiter­ver­wendung" von Informationen des öffentlichen Sektors stelle ein Kernelement dieses Geschäfts­modells dar.

Von der BRD eingeräumtes Exklusivrecht zur Weiter­ver­wendung zum 31. Dezember 2008 kraft Gesetzes erloschen

Dem Gleich­be­hand­lungs­an­spruch stehe auch nicht entgegen, dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland der juris GmbH vertraglich das ausschließliche Recht zur Weiter­ver­wendung eingeräumt habe. Dieses Exklusivrecht sei mit Ablauf des 31. Dezember 2008 kraft Gesetzes erloschen. Diese Rechtsfolge gelte zwar nicht für Exklusivrechte, die zur Bereitstellung eines Dienstes im öffentlichen Interesse erforderlich seien. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland und die juris GmbH hätten aber nicht ausreichend dargetan, dass das Exklusivrecht der juris GmbH zur Bereitstellung der "automatisierten Rechts­do­ku­men­tation" des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts im Rechtssinne erforderlich sei. Dies wäre nur der Fall, wenn diese - im öffentlichen Interesse liegende - Aufgabe markt­wirt­schaftlich nicht zu erfüllen wäre. Das werde üblicherweise in einem Markter­kun­dungs­ver­fahren ermittelt.

Grundlage für Annahme der "Erfor­der­lichkeit" eines Exklusivrechts ohne Markter­kun­dungs­ver­fahren nicht gegeben

Das IWG verpflichte insoweit - auch für ältere Exklusivrechte - zu einer regelmäßigen Überprüfung mindestens alle drei Jahre. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland und speziell das Bundes­ver­fas­sungs­gericht seien diesem Überprü­fungsgebot nicht nachgekommen. Zwar möge das Exklusivrecht in der Anfangsphase der "automatisierten Rechts­do­ku­men­tation" alternativlos gewesen sein. Seither hätten sich die Verhältnisse im Markt der juristischen Dienstleister aber grundlegend verändert. Ohne ein Markter­kun­dungs­ver­fahren, eine Evaluierung der Gründe für ein Ausschließ­lich­keitsrecht oder ein sonstiges transparentes Verfahren fehle es an der Grundlage für die Annahme der "Erfor­der­lichkeit" eines Exklusivrechts.

Geltend gemachter Anspruch ergibt sich aus allgemeinem Gleichheitssatz des Grundgesetzes

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich der geltend gemachte Anspruch auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes ergebe. Das ausschließliche Nutzungsrecht der juris GmbH stelle im Vergleich mit Wettbewerbern eine sachlich nicht gerechtfertigte Privilegierung dar.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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