18.10.2024
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Dokument-Nr. 31317

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Beschluss11.01.2022Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg1 S 3805/21
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss11.01.2022

Baden-Württemberg: Pflicht zur Kontrolle von Impf- und Genese­ne­n­aus­weisen bis zum 19. März 2022 rechtmäßigVerwaltungs­gerichtshof Baden-Württemberg lehnt Eilantrag eines Einzelhandels­unternehmens ab

Der Verwaltungs­gerichtshof (VGH) hat mit einem den Verfahrens­beteiligten zugestellten Beschluss vom 11. Januar 2022 einen Eilantrag eines Einzelhandels­unternehmens (Antragstellerin) gegen § 6 Abs. 1, § 6 a der Corona-Verordnung der Landesregierung in der Fassung vom 23. Dezember 2021 abgelehnt. Nach diesen Vorschriften sind der Einzelhandel und andere Leistungs­er­bringer verpflichtet, für den Zugang zu ihren Geschäften Impf- und Genese­nen­nachweise und Ausweis­do­kumente zu kontrollieren.

Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem Eilantrag. Sie betreibt in Baden-Württemberg mehrere Filialen im Texti­l­ein­zel­handel. Sie machte geltend, für die Kontrollpflicht fehle es an der notwendigen Ermäch­ti­gungs­grundlage im Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz. Die Kontrollpflicht sei auch unver­hält­nismäßig. Für sie entstehe ein erheblicher zusätzlicher personeller Aufwand. Aufgrund der forts­chrei­tenden Zuspitzung der gesell­schaft­lichen Konflikte in der Corona-Pandemie seien ihre Mitarbeiter auch erheblichen Gefährdungen bei den Kontrollen ausgesetzt. Die Landesregierung (Antragsgegner) ist dem Antrag entge­gen­ge­treten.

Der 1. Senat des VGH hat den Eilantrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Bis zum 19. März 2022 bestehe für die Kontrollpflicht voraussichtlich eine ausreichende Ermäch­ti­gungs­grundlage im Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz. Nachdem der Bundestag die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht verlängert habe, könne die Kontrollpflicht nicht auf § 28 a Abs. 1 IfSG gestützt werden.

Es bestünden erhebliche Zweifel, ob sich der Antragsgegner auf den neu eingeführten § 28 a Abs. 7 IfSG berufen könne. Die Vorschrift enthalte - anders als § 28 a Abs. 1 IfSG - eine abschließende Aufzählung der zulässigen Maßnahmen. Ernsthaft in Betracht als Ermäch­ti­gungs­grundlage komme allenfalls § 28 a Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 IfSG. Nach dieser Vorschrift könne die Verpflichtung zur Vorlage von Impf-, Genesenen- oder Testnachweisen sowie an die Vorlage solcher Nachweise anknüpfende Beschränkungen des Zugangs geregelt werden. Da der Gesetzgeber in jüngster Zeit im Infek­ti­o­ns­schutzrecht an anderer Stelle Kontroll­pflichten ausdrücklich geregelt habe - z.B. in § 28 b Abs. 5 IfSG und in § 36 Abs. 10 IfSG -, spreche der Verzicht auf eine ausdrückliche Regelung von Kontroll­pflichten im Rahmen des § 28 a Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 IfSG dafür, dass der Gesetzgeber hier die Möglichkeit der Auferlegung von Kontroll­pflichten bewusst nicht vorgesehen habe.

Diese Frage könne jedoch offenbleiben. Denn eine ausreichende Ermäch­ti­gungs­grundlage ergebe sich aus § 28 a Abs. 9 IfSG in Verbindung mit § 28 a Abs. 1 Nr. 14 IfSG. Nach § 28 Abs. 9 IfSG blieben die Absätze 1 bis 6 des § 28 a IfSG nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite bis längstens zum Ablauf des 19. März 2022 für Schutzmaßnahmen anwendbar, die bis zum 25. November 2021 in Kraft getreten seien. Dies sei hier der Fall. Denn die Corona-Verordnung der Landesregierung in der Fassung vom 23. November 2021 habe die derzeit bestehenden Kontroll­pflichten bereits enthalten.

Die Kontroll­pflichten seien verhältnismäßig. Sie führten für die betroffenen Betriebe zu einem erheblichen Mehraufwand. Die Kontrollen seien ausnahmslos durchzuführen und bänden allein dadurch Personal, das gegebenenfalls im bisherigen Umfang nicht ausreiche, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Folglich sei in einer Vielzahl von Fällen mit einer finanziellen Mehrbelastung der Unternehmen zu rechnen. In die Abwägung einzustellen sei auch, dass die Kontroll­si­tuation zu Konflikten und Gefährdungen der Mitarbeiter der zur Kontrolle verpflichteten Betriebe führen könne. Demgegenüber stünden die vom Antragsgegner mit den angefochtenen Vorschriften verfolgten Infektions-schutzbelange. Das Infek­ti­o­ns­ge­schehen sei immer noch sehr stark ausgeprägt und derzeit von stark ansteigenden Infek­ti­o­ns­zahlen gekennzeichnet. Der hohe Infektionsdruck in der Bevölkerung ziehe unvermeidlich schwere Krank­heits­verläufe und Todesfälle nach sich. Die Situation auf den Inten­sivsta­tionen bleibe weiterhin sehr angespannt. Ohne Kontroll­pflichten verlören Nachweis­ver­pflich­tungen und Zugangs­be­schrän­kungen für nicht-immunisierte Personen sehr erheblich an Wirksamkeit. Daher wäre bei einem Verzicht auf Kontrollen nicht auszuschließen, sondern in einem nicht zu vernach­läs­si­genden Umfang zu erwarten, dass durch den Zugang nicht-immunisierter Personen zum Einzelhandel das Infek­ti­o­ns­ge­schehen deutlich verstärkt würde. Die Annahme, dass dies auch bei einer nur stich­pro­ben­artigen Kontrolle - die die Antragstellerin der Sache nach für ausreichend halte - zu befürchten wäre, sei plausibel. Auch die Erwägung des Antragsgegners, dass bei einer nur stich­pro­ben­artigen Kontrolle das Konflikt­po­tenzial bei Kontrollen deutlich größer sein könnte, erscheine dem Senat nachvollziehbar. Insgesamt rechtfertige daher der vom Antragsgegner bezweckte Gesund­heits­schutz der Bevölkerung als Rechtsgut von überragender Bedeutung die für die Antragstellerin und vergleichbare Betriebe eintretenden Belastungen.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, ra-online (pm/pt)

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