18.10.2024
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Dokument-Nr. 7485

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Urteil03.11.2008Verwaltungsgericht StuttgartA 11 K 6398/07
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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil03.11.2008

Alleinstehende Frau darf nicht in den Kosovo abgeschoben werdenExtreme Gefahr für Leib und Leben

Eine alleinstehende, ohne verwandt­schaftliche Hilfe in den Kosovo zurückkehrende Frau hat keine Chance, sich das zum Überleben notwendige Existenzminimum zu erwirtschaften. Zudem besteht für sie im Kosovo die Gefahr, Opfer von Zwangs­pro­sti­tution zu werden. Dies hat das Verwal­tungs­gericht Stuttgart entschieden und der Klage einer zur Volksgruppe der Ashkali gehörenden Frau aus dem Kosovo und ihrer vier minderjährigen Kinder auf Abschie­bungs­schutz stattgegeben.

Die 34 Jahre alte Klägerin war 1991 nach Deutschland eingereist. Ihr erstes Asylverfahren und das ihrer - sämtlich hier geborenen - Kinder blieben erfolglos. Im Juli 2005 wurde die Klägerin zusammen mit ihren Kindern in den Kosovo abgeschoben. Im April 2007 reisten sie erneut nach Deutschland und stellten wiederum Asylanträge, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ende 2007 ablehnte. Die Klägerin machte dagegen geltend, im Kosovo hätten sie und ihre Kinder von keiner Stelle Unterkunft und Lebensunterhalt erhalten. Deshalb hätten sie sich gezwungen gesehen, sich in Nachbarstaaten - u.a. Kroatien und Montenegro - zu begeben, um dort ihr physisches Überleben zu sichern; dies sei jedoch nicht gelungen. Vom Vater ihrer Kinder sei sie seit sechs Jahren geschieden; zu ihm bestehe kein Kontakt mehr. Im Heimatland habe sie keine Verwandten mehr. Ihre gesamte Familie lebe in Deutschland.

Richter: Abschie­bungs­verbot liegt vor

Die 11. Kammer stellte fest, dass bei der Klägerin und ihren Kindern ein Abschiebungsverbot vorliegt. Im Hinblick auf die schwierige Versorgungslage im Kosovo würde die Rückkehr der alleinstehenden, in ihrer Heimat über keinerlei familiären Rückhalt verfügenden Klägerin und ihrer Kinder zu einer extremen Gefahr für Leib und Leben führen. Angesichts einer Arbeits­lo­senquote im Kosovo von geschätzten 45 % sei es unwahr­scheinlich, dass die Klägerin durch Erwer­b­s­tä­tigkeit zum Lebensunterhalt beitragen könne, abgesehen davon, dass die meisten Lohnempfänger mit einem Gehalt auskommen müssten, das nicht existenz­si­chernd sei. Bei den Minder­hei­ten­gruppen Roma/Ashkali/Ägypter liege die Arbeits­lo­senquote sogar bei 98 %. Verwandte der Klägerin hielten sich im Kosovo nicht mehr auf. Die im Bundesgebiet lebenden Geschwister der Klägerin könnten die notwendige dauernde Unterstützung der Klägerin und ihrer vier Kinder nicht gewährleisten. Die Geschwister der Klägerin hätten selbst zum Teil sehr große Familien und kämen nach dem glaubhaften Vorbringen der Klägerin gerade so über die Runden. Im Kosovo gebe es auch weder eine Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung noch eine Kranken­ver­si­cherung. Von staatlichen Stellen, zwischen­staat­lichen oder nicht­staat­lichen Organisationen erhielten Personen, die aus Westeuropa abgeschoben würden, keine Unterstützung bei der Unterbringung, der sozialen und medizinischen Versorgung oder beim Wiederaufbau ihres zerstörten Hauses. Insbesondere Angehörige der Roma, Ashkali und Ägypter könnten nur schwer in privaten Wohnraum vermittelt werden, da sie häufig nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügten und als Mieter selten akzeptiert würden. Ob die Klägerin im Kosovo Sozialhilfe erhalten könne, erscheine zweifelhaft. Abgesehen davon reichten Sozia­l­hil­fe­leis­tungen im Kosovo als alleinige Einkom­mens­quelle unter Berück­sich­tigung der lokalen Lebens­hal­tungs­kosten zum Leben nicht aus. Bei einer erneuten Abschiebung in das Kosovo würden die Klägerin und ihre Kinder deshalb von Sozia­l­leis­tungen, Gesund­heits­fürsorge, Bildungs­ein­rich­tungen und Wohnraum ausgeschlossen sein; dies habe sich bereits nach der Abschiebung im Juli 2005 bewahrheitet. Als alleinstehende, ohne verwandt­schaftliche Hilfe oder sonstige Unterstützung in das Kosovo zurückkehrende Frau habe die Klägerin - dies gelte erst recht auch für ihre Kinder - keine Chance, sich das zum Überleben notwendige Existenzminimum selbst zu erwirtschaften. Darüber hinaus wäre die Klägerin als Frau ohne familiäre Unterstützung besonders gefährdet, Opfer von Zwangs­pro­sti­tution zu werden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 05.02.2009

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