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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil23.01.2006
Keine Abschiebung bei ZwangsverheiratungEheliche Gewalt durch aufgezwungenen Ehemann begründet ein Abschiebungsverbot in den Iran
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat auf die Klage einer iranischen Asylbewerberin das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu der Feststellung verpflichtet, dass die Klägerin nicht in den Iran zu ihrem dort lebenden Ehemann abgeschoben werden darf.
Die Klägerin reiste im Februar 2004 nach Deutschland und trug zur Begründung vor, im Alter von achtzehn Jahren habe sie das Abitur abgelegt. Erst vier Jahre danach habe sie ein Studium aufnehmen dürfen. Ihre Eltern seien sehr religiös eingestellt. Sie sei im Juli 2003 von ihren Eltern gegen ihren Willen mit dem 50 Jahre alten Freund ihres Vaters verheiratet worden. Nach ihrer Verheiratung sei ihr verboten worden, das Studium fortzuführen. Die ganze Ehe sei eine Qual für sie gewesen. Ihr Ehemann habe sie geschlagen, gefoltert und vergewaltigt. Wegen eines durch die Schläge verursachten Magenrisses und Blutungen sei sie zwei Wochen lang in stationärer Behandlung gewesen. Anfang Herbst 2003 habe sie einen Antrag auf Scheidung gestellt, den der Richter jedoch abgelehnt habe, da ihr Vorbringen kein Scheidungsgrund sei.
Die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts führte aus:
Nach § 60 Abs. 1 des nun geltenden Aufenthaltsgesetzes könne eine Verfolgung auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpfe. Dabei sei auch eine Verfolgung von so genannten nichtstaatlichen Akteuren relevant, die auch private Einzelpersonen sein könnten, wenn der Staat nicht in der Lage oder nicht willens sei, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin vor. Sie habe glaubhaft gemacht, dass sie gegen ihren Willen mit dem Freund ihres Vaters verheiratet und während dieser Ehe von ihrem Ehemann regelmäßig vergewaltigt und brutal misshandelt worden sei. Die Klägerin habe weder die Möglichkeit gehabt, sich von dem ihr aufgezwungenen Ehemann scheiden zu lassen noch habe sie mit Schutzgewährung durch den iranischen Staat im Hinblick auf die ständige massive eheliche Gewalt rechnen können. Nach der Auskunftslage würden Frauen im Iran in Bezug auf Familienrecht, Zivilrecht und Strafrecht nach wie vor als Menschen zweiter Klasse behandelt. So habe der Ehemann das Recht zur Scheidung, ohne dass er den Scheidungsantrag begründen müsse; eine Frau könne hingegen lediglich bei Geisteskrankheit und Impotenz des Ehemannes eine Aufhebung der Ehe durch das Gericht verlangen. Wenn eine Frau sich scheiden lassen wolle, dann werde sie von der Polizei oder einem Gericht zu ihrem Ehemann zurückgeschickt. Frauen hätten auch keine Möglichkeiten, rechtlich gegen einen gewalttätigen Ehemann vorzugehen. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes könnten sie bei ehelicher oder häuslicher Gewalt nicht darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt werde. Die von Männern gegen ihre Frauen verübten Misshandlungen würden von der iranischen Regierung geduldet. Für die Klägerin bestehe auch keine Möglichkeit eines regionalen Ausweichens innerhalb des Irans. Falls ihr angesonnen würde, sich abseits ihres ehelichen oder familiären Umfeldes im Iran zu bewegen, würde sie Gefahr laufen, vergewaltigt, ermordet oder Opfer von Menschenhändlern zu werden. Die Klägerin sei bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit hinreichender Sicherheit vor einer erneuten Verfolgung sicher. Ihr drohe vielmehr durch den ihr aufgezwungenen Ehemann in Anknüpfung an das Vorfluchtgeschehen eine erneute, an ihr Geschlecht anknüpfende Verfolgung.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.05.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 25.04.2006
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