Die Klägerin, eine iranische Asylbewerberin, reiste im Jahr 2000 zusammen mit ihren beiden Söhnen nach Deutschland und trug zur Begründung ihres Asylantrages vor, sie sei vor 19 Jahren zum christlichen Glauben übergetreten Ihr (erstes) Asylverfahren sowie mehrere Folgeverfahren blieben bislang erfolglos. Das Verwaltungsgericht wies ihre Klagen u.a. mit der Begründung ab, das religiöse Existenzminimum, das im Wesentlichen die Religionsausübung im privaten und „nachbarschaftlich-kommunikativen“ Bereich umfasse, sei im Iran auch für Christen gewahrt. Erst ein in der Öffentlichkeit vorgetragenes religiöses Bekenntnis oder missionarisches Tätigwerden führe zu einer Gefährdung. Solche Aktivitäten seien aber derzeit asylrechtlich nicht geschützt. Mit ihrem erneuten Asylfolgeantrag berief sich die Klägerin nunmehr auf die „Qualifikationsrichtlinie“ des Rates der Europäischen Union. Sie machte geltend, sie habe nach ihrer Eheschließung mit einem Moslem ihrer Familie wegen im Iran die ganzen Jahre ihren Glauben nach außen verheimlicht. Nun aber könne sie im Iran so nicht mehr weiterleben, vielmehr wolle sie über ihren Glauben frei sprechen und christliche Gottesdienste besuchen.
Die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts führte aus:
Die Rechtslage habe sich nachträglich zugunsten der Klägerin durch die nunmehr unmittelbar anwendbare „Qualifikationsrichtlinie“ des Rates der Europäischen Union geändert. Danach umfasse der bei den Verfolgungsgründen zu berücksichtigende Begriff der Religion insbesondere ... Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dies verbiete eine Beschränkung des Flüchtlingsschutzes insbesondere auf den privaten Bereich als „religiöses Existenzminimum“ (forum internum) und bedeute damit eine Erweiterung des Flüchtlingsschutzes. Denn nun werde auch ein in der Öffentlichkeit vorgetragenes religiöses Bekenntnis oder missionarisches Tätigwerden geschützt. Der Klägerin sei daher nicht (mehr) zuzumuten, nach einer Rückkehr in den Iran ihre Religion nur verdeckt auszuüben und ihren Glauben nicht nach außen offen vertreten zu dürfen, insbesondere nach Jahren offener und intensivierter Religionsausübung in Deutschland. Im Iran drohten aber konvertierten Christen wegen des Glaubenswechsels generell Repressionen, insbesondere, wenn die neue religiöse Überzeugung auch offensiv vertreten werde, etwa bei Verstößen gegen das Missionierungsverbot.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.07.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 09.07.2007