Im zugrunde liegenden Fall war ein iranischer Asylbewerber mit Schengen-Visum, ausgestellt von Tschechien, nach Deutschland eingereist. Er hatte dort Asyl beantragt. Er machte geltend, im Iran als Homosexueller verfolgt zu werden.
Zur Überprüfung, ob er wirklich homosexuell und nicht heterosexuell ist, forderten ihn die tschechischen Behörden zur Teilnahme an einer sexologischen und phallometrischen Untersuchung auf. Wenn er hieran nicht teilnimmt, droht ihm dort der Ausschluss vom Asylverfahren.
Bei dem Test werden den Asylbewerbern heterosexuelle Pornofilme gezeigt, wobei ein Gerichtsmediziner mit einem "Phallometrie"-Gerät den Blutfluss zum Penis misst.
Gegen den Mann war am 5. August 2009 eine Abschiebeanordnung ergangen, die seine Rückführung nach Tschechien vorsah. Diese Anordnung war nach § 75 AsylVfG sofort vollziehbar.
Der Mann erhob Klage mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung gegen den Abschiebebescheid anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Schleswig gab diesem Antrag im Rahmen eines Eilverfahrens (§ 80 Abs. 5 VwGO) statt.
Werden Abschiebungshindernisse geltend gemacht, die ihrer Eigenart nach nicht von vornherein im Rahmen des Konzepts "Normativer Vergewisserung" von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können, so könne der Ausländer, wenn er einen derartigen Ausnahmefall substantiiert darlegt, eine Prüfung erreichen, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen (vgl. Urteil des BVerfG vom 14. Mai 1996). Solche vom "Normativen Vergewisserungskonzept" nicht erfassten Hinderungsgründe sind u.a. eine dem Ausländer drohende unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK im Drittstaat, oder ein vom Drittstaat errichtetes Zugangshindernis zu einem effektiven Asylverfahren.
Vorliegend seien die vorgenannten Voraussetzungen für die Gewährung von Eilrechtsschutz in Deutschland gegeben, weil der Antragsteller unwidersprochen geltend machen könne, dass er in der Tschechischen Republik einer sexologischen und phallometrischen Untersuchung unterzogen werden soll und ein Schriftstück tschechischer Behörden vorlegt hat, wonach die Weigerung sich einer sexologischen Untersuchung zu unterziehen, die Beendigung des Asylverfahrens nach sich ziehen kann, führte das Gericht aus.
Nähere Einzelheiten zur Durchführung einer solchen sexologischen und phallometrischen Untersuchung sind in diesem Eilverfahren ebenso wenig bekannt geworden, wie Erkenntnisse über die Eignung einer solchen Untersuchung zur Feststellung der vom Antragsteller behaupteten Homosexualität. Damit stehe zur Überzeugung des Gerichts zumindest mit der für dieses Eilverfahren hinreichenden Sicherheit fest, dass der Antragsteller in der Tschechischen Republik einem Zugangshindernis zum Asylverfahren begegnen wird, dessen Menschenrechtskonformität nach dem gegenwärtig überschaubaren Sachstand mindestens sehr zweifelhaft erscheint.
Der nach alledem zulässige Eilrechtsschutzantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO sei auch begründet, weil das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiege.
Nach dem gegenwärtig überschaubaren Sachstand bestehen für den Kläger ernsthafte Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Dabei werde auch zu prüfen sein, ob und inwieweit die Dublin II-Verordnung ein subjektives Recht für Ausländer auf Ausübung des Selbsteintrittsrechtes zur Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland gegen die Antragsgegnerin begründet (vgl. zum Streitstand Gemeinschaftskomm. AsylVfG, § 27 a, Rdnr. 123 ff m.w.N.). Jedenfalls könne der Antragsteller aber ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach der Dublin II-Verordnung geltend machen.
Solange keine ermessensfehterfreie Entscheidung über die Ausübung dieses Selbsteintrittsrechts getroffen wurde, lägen die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht vor (vgl. Gemeinschaftskomm. AsylVfG, § 34 a, Rdnr. 92 m.w.N.). Eine solche ermessensfehlerfreie Entscheidung habe die Antragsgegnerin aber bislang mit der Erwägung in dem streitbefangenen Bescheid, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben seien nicht ersichtlich, nicht getroffen. Die Antragsgegnerin habe bislang die oben näher bezeichnete Problematik im Zusammenhang mit der sexologischen Untersuchung des Antragsgegners in der Tschechischen Republik ersichtlich in ihre Ermessenserwägungen nicht einbezogen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 09.12.2010
Quelle: ra-online, Verwaltungsgericht Schleswig