21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.
ergänzende Informationen

Verwaltungsgericht Schleswig Beschluss07.09.2009

"Phallometrische Untersuchung": Penis-Erektions-Kontrolle zur Feststellung der Homosexualität von Asylbewerbern in Tschechien ist eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK - keine Abschiebung nach TschechienVG Schleswig kritisiert tschechischen Penistest, der Klarheit über Homosexualität von Asylbewerbern schaffen soll

Das Schleswig-Holsteinische Verwal­tungs­gericht hat die Rückführung eines iranischen Asylbewerbers nach Tschechien verweigert, weil er dort möglicherweise eines "phallo­me­trischen Tests" ausgesetzt worden wäre. Dieser Test soll prüfen, ob ein Asylbewerber, der eine Verfolgung wegen Homosexualität in seinem Heimatland geltend macht, womöglich doch heterosexuell ist.

Im zugrunde liegenden Fall war ein iranischer Asylbewerber mit Schengen-Visum, ausgestellt von Tschechien, nach Deutschland eingereist. Er hatte dort Asyl beantragt. Er machte geltend, im Iran als Homosexueller verfolgt zu werden.

Überprüfung, ob Homosexualität nicht nur vorgeschoben

Zur Überprüfung, ob er wirklich homosexuell und nicht heterosexuell ist, forderten ihn die tschechischen Behörden zur Teilnahme an einer sexologischen und phallo­me­trischen Untersuchung auf. Wenn er hieran nicht teilnimmt, droht ihm dort der Ausschluss vom Asylverfahren.

Heterosexuelle Pornofilme ansehen

Bei dem Test werden den Asylbewerbern heterosexuelle Pornofilme gezeigt, wobei ein Gerichts­me­diziner mit einem "Phallometrie"-Gerät den Blutfluss zum Penis misst.

Abschiebeanordnung

Gegen den Mann war am 5. August 2009 eine Abschie­be­a­n­ordnung ergangen, die seine Rückführung nach Tschechien vorsah. Diese Anordnung war nach § 75 AsylVfG sofort vollziehbar.

Eilverfahren

Der Mann erhob Klage mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung gegen den Abschie­be­be­scheid anzuordnen. Das Verwal­tungs­gericht Schleswig gab diesem Antrag im Rahmen eines Eilverfahrens (§ 80 Abs. 5 VwGO) statt.

Unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK

Werden Abschie­bungs­hin­dernisse geltend gemacht, die ihrer Eigenart nach nicht von vornherein im Rahmen des Konzepts "Normativer Vergewisserung" von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können, so könne der Ausländer, wenn er einen derartigen Ausnahmefall substantiiert darlegt, eine Prüfung erreichen, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinde­rungs­gründe entgegenstehen (vgl. Urteil des BVerfG vom 14. Mai 1996). Solche vom "Normativen Verge­wis­se­rungs­konzept" nicht erfassten Hinde­rungs­gründe sind u.a. eine dem Ausländer drohende unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK im Drittstaat, oder ein vom Drittstaat errichtetes Zugangs­hin­dernis zu einem effektiven Asylverfahren.

Vorliegend seien die vorgenannten Voraussetzungen für die Gewährung von Eilrechtsschutz in Deutschland gegeben, weil der Antragsteller unwidersprochen geltend machen könne, dass er in der Tschechischen Republik einer sexologischen und phallo­me­trischen Untersuchung unterzogen werden soll und ein Schriftstück tschechischer Behörden vorlegt hat, wonach die Weigerung sich einer sexologischen Untersuchung zu unterziehen, die Beendigung des Asylverfahrens nach sich ziehen kann, führte das Gericht aus.

Menschen­rechts­kon­formität zweifelhaft

Nähere Einzelheiten zur Durchführung einer solchen sexologischen und phallo­me­trischen Untersuchung sind in diesem Eilverfahren ebenso wenig bekannt geworden, wie Erkenntnisse über die Eignung einer solchen Untersuchung zur Feststellung der vom Antragsteller behaupteten Homosexualität. Damit stehe zur Überzeugung des Gerichts zumindest mit der für dieses Eilverfahren hinreichenden Sicherheit fest, dass der Antragsteller in der Tschechischen Republik einem Zugangs­hin­dernis zum Asylverfahren begegnen wird, dessen Menschen­rechts­kon­formität nach dem gegenwärtig überschaubaren Sachstand mindestens sehr zweifelhaft erscheint.

Der nach alledem zulässige Eilrechts­schutz­antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO sei auch begründet, weil das Ausset­zungs­in­teresse des Antragstellers das Vollzug­s­in­teresse der Antragsgegnerin überwiege.

Erfolgs­aus­sichten in der Hauptsache

Nach dem gegenwärtig überschaubaren Sachstand bestehen für den Kläger ernsthafte Erfolgs­aus­sichten in der Hauptsache. Dabei werde auch zu prüfen sein, ob und inwieweit die Dublin II-Verordnung ein subjektives Recht für Ausländer auf Ausübung des Selbst­ein­tritts­rechtes zur Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland gegen die Antragsgegnerin begründet (vgl. zum Streitstand Gemein­schaftskomm. AsylVfG, § 27 a, Rdnr. 123 ff m.w.N.). Jedenfalls könne der Antragsteller aber ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermes­sens­ausübung über die Ausübung des Selbst­ein­tritts­rechts nach der Dublin II-Verordnung geltend machen.

Solange keine ermes­sens­feh­terfreie Entscheidung über die Ausübung dieses Selbst­ein­tritts­rechts getroffen wurde, lägen die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschie­bungs­a­n­ordnung nicht vor (vgl. Gemein­schaftskomm. AsylVfG, § 34 a, Rdnr. 92 m.w.N.). Eine solche ermes­sens­feh­lerfreie Entscheidung habe die Antragsgegnerin aber bislang mit der Erwägung in dem streit­be­fangenen Bescheid, außer­ge­wöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten ihr Selbst­ein­trittsrecht auszuüben seien nicht ersichtlich, nicht getroffen. Die Antragsgegnerin habe bislang die oben näher bezeichnete Problematik im Zusammenhang mit der sexologischen Untersuchung des Antragsgegners in der Tschechischen Republik ersichtlich in ihre Ermes­sen­s­er­wä­gungen nicht einbezogen.

Quelle: ra-online, Verwaltungsgericht Schleswig

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss10703

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI