Zu Grunde lagen den Entscheidungen überwiegend Fälle, in denen den Betroffenen in der Vergangenheit die deutsche Fahrerlaubnis - z.T. mehrfach - wegen Trunkenheit im Verkehr entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung verhängt worden war. Für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach deutschem Recht wäre - da die Blutalkoholkonzentrationen über 1,6 ‰ gelegen hatten - jeweils die Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich gewesen. Die Kläger erwarben stattdessen in der Tschechischen Republik Fahrerlaubnisse, ohne sich dort den entsprechenden Untersuchungen zu unterziehen. Nachdem die zuständigen Fahrerlaubnisbehörden die Kläger zur Vorlage medizinisch-psychologischer Gutachten aufgefordert und die Kläger diese nicht beigebracht hatten, erkannten die Behörden den Klägern das Recht ab, von ihrer tschechischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Gebrauch zu machen.
Hintergrund dieser Fälle ist die mangelnde Harmonisierung des Fahrerlaubnisrechts in der Europäischen Union. Einige Länder verlangen bei der (Neu)Erteilung der Fahrerlaubnis nach Entzug bei Alkoholproblematik keine vergleichbaren Untersuchungen wie das deutsche Recht. Das haben sich deutsche Kraftfahrer in den einschlägigen Fällen zu Nutze gemacht. Die unter dem Stichwort "Führerscheintourismus" bekannt gewordenen Fälle haben bereits zu mehreren Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof und zu widersprechenden Entscheidungen der deutschen Gerichte geführt.
Der Europäische Gerichtshof hat in der Vergangenheit mehrfach entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten aufgrund einer einschlägigen Richtlinie der EG grundsätzlich die von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Fahrerlaubnis ohne weitere Überprüfung der Fahreignung des Betroffenen anerkennen müssen (siehe z. B. Urteil vom 29. April 2004 - EuGH: EU-Führerscheine müssen in Deutschland anerkannt werden). Die deutschen Behörden können sich danach auch nicht auf die in der Richtlinie enthaltenen Vorbehalte zu Gunsten nationaler Vorschriften berufen.
Ob diese Rechtsprechung auch auf den Fall übertragbar ist, dass zwar zunächst die Fahrerlaubnis anerkannt wird, die deutschen Behörden dann aber die vor der Neuerteilung im Ausland liegenden Vorfälle, die in Deutschland zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hatten, zum Anlass nimmt, das Wiedererlangen der Eignung zu überprüfen, hat das Verwaltungsgericht nun offen gelassen. Denn nach seiner Auffassung sei den Klägern die Berufung auf die EG-Richtlinie jedenfalls deshalb verwehrt, weil sich dies als rechtsmissbräuchlich darstelle. Dieser vom Europäischen Gerichtshof anerkannte und der Beurteilung der nationalen Gerichte unterliegende Rechtsgrundsatz, greife hier ein, weil ausreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Kläger in Deutschland keine Fahrerlaubnis erhalten hätten und sie diese deshalb trotz fehlenden Wohnsitzes im Ausland erworben hätten. Dies widerspreche auch der Zielsetzung der EG-Richtlinie, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.11.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Gießen vom 07.11.2006