14.11.2024
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Dokument-Nr. 843

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Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Urteil29.06.2005

Arbeits­lo­sengeld II: Sozialamt muss Umzug in günstigere Wohnung bezahlen

Eine allein­er­ziehende Mutter von zwei Kindern, die auf Sozialhilfe (jetzt: Arbeits­lo­sengeld II) angewiesen war, kann nicht ohne weiteres zum Umzug in eine billigere Wohnung veranlasst werden. Die Umzugskosten sind in angemessener Höhe vom Sozialamt zu übernehmen; eine allgemeine Lebenserfahrung, dass Freunde und Bekannte generell bereit seien, bei einem Umzug zu helfen, besteht nicht.

Mit Urteil vom 29.06.2005 gab das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main der Klage einer allein­er­zie­henden Mutter von zwei Kindern statt, die zuvor vergeblich vom Sozialamt die Übernahme von Kosten ihrer Unterkunft (Mietkosten) sowie der Umzugskosten verlangt hatte.

Die Klägerin hatte mit drei Kindern bis zum Auszug der ältesten Tochter eine ca. 91 qm große 3-Zimmer-Wohnung zu einem monatlichen Mietzins von 1.391,-- DM bewohnt. Nach dem Auszug der ältesten Tochter wies das zuständige Sozialamt sie darauf hin, dass die Wohnung für nunmehr nur noch drei Personen zu groß und der Mietzins zu hoch sei. Sie möge sich um einen angemessenen Wohnraum von bis zu 75 qm und einem monatlichen Mietzins bis 962,50 DM bemühen. Falls sie nach Ablauf von sechs Monaten noch nicht umgezogen sei, werde der Betrag, den das Sozialamt für die monatliche Miete überweise, von 1.391,-- DM auf 962,50 DM abgesenkt. Dementsprechend wurde auch verfahren.

Der Antrag der Klägerin auf Übernahme der Umzugskosten unter Hinweis darauf, dass ihr weder Freunde noch Bekannte bei dem anstehenden Umzug helfen könnten und sie mit ihren Kindern allenfalls in der Lage sei, Vorarbeiten wie das Packen der Umzugskartons zu übernehmen, wurde abgelehnt. Zur Begründung führte das Sozialamt aus, der Umzug sei grundsätzlich in Eigenleistungen durchzuführen. Soweit notwendig könnten die Kosten für einen Umzugswagen nach Vorlage von drei Kosten­vor­an­schlägen aus Sozia­l­hil­fe­mitteln übernommen werden.

Im Wider­spruchs­ver­fahren wies die Klägerin darauf hin, es sei ihr aufgrund der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht möglich, in der Kürze der Zeit eine geeignete Wohnung zu finden. Als Sozia­l­hil­fe­be­zieherin und alleinstehende Mutter von zwei Kindern werde sie grundsätzlich von potentiellen Vermietern abgelehnt. Auch seien ihr zumindest die Kosten eines Klein­trans­porters sowie der Kosten von ein oder zwei bezahlten Helfern zu bewilligen. Nachdem die Klägerin ein Mietangebot eines gemeinnützigen Siedlungswerkes erhalten hatte, wurde ihr im Rahmen einer Vorsprache beim Sozialamt des beklagten Kreises erneut mitgeteilt, sie habe drei Kosten­vor­an­schläge bezüglich der Übernahme der Kosten für einen Umzugswagen einzuholen. Erst danach werde entschieden, welches Umzugs­un­ter­nehmen am wirtschaft­lichsten sei. Darüber hinaus wurde sie auf die Hilfe durch Freunde und Bekannte bei der Durchführung des Umzugs verwiesen. Die Übernahme der Kosten eines Schreiners zum Abbau von Schränken wurde abgelehnt.

Die Klägerin legte daraufhin zwei Angebote vor und wies darauf hin, dass Angebot der dritten Spedition habe sie nicht rechtzeitig erreicht. Die Beklagte lehnte nach Durchführung des Umzugs die Übernahme der Umzugskosten für die von der Klägerin beauftragte Firma ab.

Im Jahre 2003 erhob die Klägerin Klage beim Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main und legte zum Nachweis ihrer Bemühungen um eine neue Unterkunft ein Mietangebot einer Immobilienfirma, einen nicht unter­schriebenen Wohnungs­miet­vertrag mit einem anderen Vermieter sowie verschiedene handschriftliche Telefonnotizen vor.

Mit Urteil vom 29.06.2005 verpflichtete das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main den beklagten Kreis (Rechtsträger des handelnden Sozialamtes), die Mietkosten der alten Wohnung in voller Höhe bis zum Auszug der Klägerin zu übernehmen und die der Klägerin entstandenen Umzugskosten zu tragen.

Dazu führt es aus, zwar überstiegen die Mietzahlungen für die frühere Wohnung den angemessenen Umfang i. S. v. § 3 der Regel­satz­ver­ordnung zum Bundes­so­zi­a­l­hil­fe­gesetz, sie seien aber als Bedarf solange anzurechnen, wie es der Klägerin nicht möglich und zumutbar gewesen sei, durch einen Wohnungswechsel die Kosten zu senken. Der Träger der Sozialhilfe dürfe sich nicht darauf beschränken, ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse die Hilfe zu kürzen. Dies gelte insbesondere, wenn für den Hilfeempfänger kein anderes preis­güns­tigeres Mietangebot am Wohnungsmarkt vorhanden sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob generell derartiger Wohnraum zur Verfügung stehe, der Träger der Sozialhilfe habe vielmehr darzulegen, dass den Betroffenen die Anmietung konkret möglich sei.

Der Leistungs­emp­fänger habe lediglich darzulegen, dass er sich um einen derartigen kosten­güns­tigeren Wohnraum bemüht habe. Dies habe die Klägerin getan. Angesichts der in dem in Rede stehenden Zeitraum angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt könne es als nahezu ausgeschlossen angesehen werden, dass es der Klägerin als Sozia­l­hil­fe­emp­fängerin und allein­er­ziehende Mutter von zwei Kindern möglich gewesen wäre, eine derartige Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt anzumieten. Auch sei zu bedenken, dass Wohnungen der vom Sozialamt vorgegebenen Größenordnung auf dem Wohnungsmarkt ausgesprochen nachgefragt seien. Zur Anmietung der neuen Wohnung habe geführt, dass die Klägerin sich als Wohnungs­su­chende im sozial­ge­för­derten Wohnungsbau der Stadt Eppstein habe registrieren lassen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Vermittlung bereits zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre, habe der Beklagte nicht dargelegt.

Ferner sei festzuhalten, dass unter den konkreten Umständen es der Klägerin auch nicht zumutbar gewesen sei, die Wohnung zu einem früheren Zeitpunkt zu wechseln. Die Wohnung sei nur durch den Auszug der ältesten Tochter als nicht mehr angemessen eingestuft worden. Bei der zu setzenden Frist für die Erlangung einer günstigeren Wohnung hätte die Beklagte die persönlichen Umstände der Klägerin beachten müssen, wie hier z. B. dass die Klägerin sich in der fraglichen Zeit erfolgreich um einen "Minijob" bemüht und ihr Sohn einen Schulwechsel in den gymnasialen Zweig vorgenommen habe. Für eine alleinerziehend Mutter seien dies Umstände, die die Anerkennung auch überhöhter Unter­kunfts­kosten für einen längeren Zeitraum begründen könnten.

Unrichtig sei aufgrund der geltenden Rechtslage, dass der Beklagte davon ausgegangen sei, Aufwendungen für eine neue Unterkunft seien vom Sozia­l­hil­fe­träger nur dann zu übernehmen, wenn der Hilfesuchende ihm die maßgeblichen Umstände vor Vertragsschluss mitgeteilt habe. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht habe in einer Entscheidung vom 01.10.1998 dargelegt, dass Aufwendungen für eine neue Unterkunft vom Sozia­l­hil­fe­träger jedenfalls in angemessener Höhe zu übernehmen seien.

Umzugskosten gehörten grundsätzlich zum notwendigen Lebensunterhalt und seien daher im notwendigen Umfange zu erstatten. Die Höhe der Geldleistungen liege im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Der Hinweis, dass der Umzug grundsätzlich in Eigenregie durchzuführen sei, sei rechts­feh­lerhaft gewesen. Eine allgemeine Lebenserfahrung, dass Freunde und Bekannte generell bereit seien, bei einem Umzug zu helfen, bestehe nicht. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Führer­schei­n­inhaber in der Lage sei, einen Umzugswagen zu steuern. Auch gäbe es keinen Grundsatz, wonach die Kosten eines Umzugswagens erst nach Vorlage von drei Kosten­vor­an­schlägen übernommen würden. Im konkreten Fall spreche nichts dafür, dass die Klägerin und ihre 13- und 18jährigen Kinder in der Lage gewesen seien, den Umzug selbst durchzuführen, da nicht angenommen werden könne, dass sie die handwerklichen Fähigkeiten und die erforderliche Kraft zur Durchführung des Umzugs besessen hätten.

Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt werden. Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Hessische Verwal­tungs­ge­richtshof in Kassel.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 21/05 des VG Frankfurt am Main vom 08.08.2005

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