03.12.2024
03.12.2024  
Sie sehen einen Gerichtshammer, der auf verschiedenen Geldscheinen liegt.

Dokument-Nr. 1242

Drucken
Urteil27.10.2005Verwaltungsgericht Frankfurt am Main1 E 1159/05
ergänzende Informationen

Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Urteil27.10.2005

VG Frankfurt am Main ändert Rechtsprechung zum Begriff "Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäft" und "Bankgeschäft"

Das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main hat eine Untersagungs- und Abwick­lungs­ver­fügung der Bundesanstalt für Finanz­dienst­lei­tungs­aufsicht (Bafin; Beklagte) unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung der bis zum 31.12.2004 zuständig gewesenen 9. Kammer des Gerichts, welche in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Hessischen Verwal­tungs­ge­richtshofs gestanden hatte, aufgehoben.

Die Klägerin, eine in Frankfurt am Main tätige Aktien­ge­sell­schaft, die nach ihrer Satzung die Durchführung von Transaktionen in Finan­z­in­stru­menten im Sinne von § 1 Abs. 1 Kredit­we­sen­gesetz (KWG) im eigenen Namen und für eigene Rechnung zur Anlage des eigenen Vermögens zum Gegenstand hat, begründete verschiedene Portfolios. Bestimmte als Namens­schuld­ver­schrei­bungen ausgestatteter Zertifikate konnten von den Anlegern zu einem von der Klägerin festgelegten Ausgabepreis gezeichnet und später "ausgeübt" oder zu einem von der Klägerin festgelegten Rücknahmepreis täglich an diese zurückveräußert werden. Andere als Inhaber­schuld­ver­schrei­bungen ausgestattete Zertifikate konnten zu den von der Klägerin festgesetzten Preisen von Anlegern direkt oder an der Frankfurter Wertpapierbörse erworben werden, wo sie in den Freiverkehr einbezogen waren. Die Anleger nahmen an Gewinnen und Verlusten aus dem Handel mit Finan­z­in­stru­menten in dem jeweiligen Portfolio teil. Die Klägerin stellte ihre Kosten monatlich pauschaliert in Rechnung und erhielt als Provision eine prozentual ausgestaltete Gewinn­be­tei­ligung. Diese Tätigkeit untersagte die Beklagte der Klägerin mit Verfügung vom 19.02.2003 als unerlaubtes Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäft. Die gegen diese Verfügung erhobene Klage ist noch beim Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen 1 E 1822/04 anhängig.

Zwischen­zeitlich teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie ihre Geschäfte rekonstruiert habe. Sie habe ihre Hedge-Fondbe­tei­li­gungen in eine Gesellschaft mit Sitz in Nassau eingebracht und im Gegenzug eine entsprechende Beteiligung an dem Gesell­schafts­vermögen dieser Firma erhalten. Geschäfts­führerin dieser Gesellschaft sei eine andere Gesellschaft, die von ihr beraten werde. Ferner habe sie ihre Vola+Value Handelss­trategie abgetreten und Vermögenswerte in der Zusammensetzung des Vola+Value Portfolios auf diese übertragen. Zur Grundlage der Erfolgs­mit­tei­lungen würden nicht mehr die Bestände an Vermögenswerten der Klägerin in den verschiedenen Unter­neh­mens­be­reichen, sondern eine andere Berechnung des Black+White-Index gemacht.

Mit der streit­ge­gen­ständ­lichen Verfügung vom 05.04.2004 untersagte die Beklagte der Klägerin, das Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG dadurch zu betreiben, dass sie Finan­z­in­strumente im eigenen Namen für fremde Rechnung anschafft und veräußert. Die Verfügung enthielt weitere Untersagungen bzgl. der Anlegung von Geldern der Anleger sowie der Werbung für Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäfte. Ferner ordnete die Bafin die unverzügliche Abwicklung der unerlaubt betriebenen Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäfte an. Ebenfalls sollte die Klägerin die Anleger durch geeignete Hinweise auf ihren Internetseiten über die angeordnete Abwicklung informieren. Nach Zurückweisung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs erhob die Klägerin im April 2005 Klage vor dem Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main. Sie vertrat die Auffassung, die Verfügung der Bafin sei rechtswidrig, denn sie betreibe keine Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäfte. Zu dieser unzutreffenden Auffassung gelange die Bafin nur deshalb, weil sie den Anwen­dungs­bereich des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Kredit­we­sen­gesetz abweichend vom Willen des Gesetzgebers ausdehne. Vorliegend fehle es nämlich an der für Kommis­si­ons­ge­schäfte wesentlichen Eigen­tums­ver­schaffung der Finan­z­in­strumente. Sie betreibe auch kein Invest­ment­ge­schäft, denn das Invest­ment­gesetz kenne ausschließlich einen formalen Begriff des Invest­ment­ver­mögens in den Formen des Investmentfonds und der Invest­ment­ge­sell­schaft.

Dem gegenüber verteidigte die Bafin ihren weiten Kommis­si­ons­begriff. Das Kredit­we­sen­gesetz solle die Ordnung in Kredit- und Finanz­dienst­lei­tungswesen gewährleisten, die Funkti­o­ns­fä­higkeit des Finanzapparates erhalten und die Insti­tuts­gläubiger vor Verlusten schützen. Deshalb sollten nur solche Kreditinstitute Bankgeschäfte betreiben, die vor Geschäfts­aufnahme eine Erlaubnis erhalten hätten. Die 9. Kammer des Verwal­tungs­ge­richts Frankfurt am Main habe zu Recht ausgeführt, dass das fehlende einseitige Anordnungsrecht eines Anlegers gegenüber dem Kommissionär den Tatbestand des Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäftes nicht ausschließe.

In seinem Urteil führt das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main aus, es fehle an einer Rechtsgrundlage für die streitbefangene Verfügung der Beklagten, da die Klägerin keine Bankgeschäfte betreibe, für die sie nach § 32 KWG eine Erlaubnis bedürfe. Das Gericht lehne die erweiternde Auslegung des Tatbestandes des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Kredit­we­sen­gesetz im Wege einer wirtschaft­lichen Betrach­tungsweise, wie dies der ständigen Rechtsprechung der früher zuständig gewesenen 9. Kammer und des Hessischen Verwal­tungs­ge­richtshofs entsprochen habe, ab. Auf der Grundlage der Wertpa­pier­dienst­leis­tungs­richtlinie der Europäischen Union sei der in der Literatur herrschenden Meinung zu folgen, wonach für den Tatbestand des Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäftes im Sinne des Kredit­we­sen­ge­setzes das Vorliegen eines Kommis­si­ons­ge­schäftes im Sinne der §§ 383 f. Handels­ge­setzbuch zu fordern sei. Nach Wortlaut und Entste­hungs­ge­schichte der Wertpa­pier­dienst­leis­tungs­richtlinie habe der Richt­li­ni­en­ge­setzgeber Kommis­si­ons­ge­schäfte herkömmlicher Prägung, wie sie in § 383 Handels­ge­setzbuch definiert seien, erfassen wollen.

Wörtlich heißt es: "Da das Gericht keine Zweifel bei der Auslegung des Inhalts des Gemein­schafts­rechtes in Gestalt von Anhang Abschnitt A 1 b der Wertpa­pier­dienst­leis­tungs­richtlinie hat, erübrigt sich eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach näherer Maßgabe von Art. 234 EG.".

Ungeachtet der gemein­schafts­recht­lichen Bedenken gegen die weite Auslegung des Begriffes des Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäftes durch die Beklagte habe das Gericht aber auch nach nationalem Recht Bedenken gegen die Ausweitung des Begriffs des Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäftes im Sinne der Beklagten. Bei den kollektiven Anlegemodellen, die die Bafin erfassen wolle, fehle es aber am Eigentumserwerb (Eigen­tums­zwi­sche­n­erwerb) des Kommissionärs (als solcher ist gemeint die Klägerin).

Die Klägerin betreibe aber auch kein Bankgeschäft in Form des Invest­ment­ge­schäftes. Auch hier halte das Gericht an der früheren Rechts­auf­fassung, die im Gegensatz zur herrschenden Meinung stehe, nicht mehr fest. Die herrschende Auffassung in der Literatur gehe von einem formellen Invest­ment­begriff aus, wonach nur die Geschäfte von Kapita­l­an­la­ge­ge­sell­schaften im Sinne von § 6 Abs. 1 Invest­ment­gesetz erfasst würden. Das Invest­ment­gesetz sei wegen seines abschließenden positiven Katalogs der erfassten kollektiven Anlageformen nicht auf andere im Gesetz nicht ausdrücklich genannte kollektive Anlageformen anwendbar.

Nach alledem bedürfe die Klägerin für die von ihr betriebenen Geschäfte keiner Erlaubnis nach § 32 Kredit­we­sen­gesetz, weil sie weder Bankgeschäfte in Form von Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäften noch von Invest­ment­ge­schäften betreibe. Die auf der Grundlage des § 37 Abs. 1 Satz 1 Kredit­we­sen­gesetz erfolgte Unter­sa­gungs­ver­fügung erweist sich daher als rechtswidrig.

Das Verwal­tungs­gericht hat die Berufung zum Hessischen Verwal­tungs­ge­richtshof zugelassen, weil sein Urteil von der ständigen Rechtsprechung des Hessischen Verwal­tungs­ge­richtshofs zur Reichweite des Begriffs des Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäftes abweiche.

Darüber hinaus hat es die Sprungrevision zum Bundes­ver­wal­tungs­gericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 30/05 des VG Frankfurt/Main vom 07.11.2005

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil1242

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI