24.11.2024
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Dokument-Nr. 1188

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Beschluss12.10.2005Verwaltungsgericht BerlinVG 11 A 690.05
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Verwaltungsgericht Berlin Beschluss12.10.2005

"Führer­schein­tou­rismus" von Fahruntüchtigen auf dem Prüfstand

Das Verwal­tungs­gericht Berlin hat den Eilantrag eines 51jährigen Deutschen gegen die (wegen Ungeeignetheit erfolgte und auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkte) Entziehung seiner polnischen Fahrerlaubnis zurückgewiesen.

Der Antragsteller, der 1984 eine DDR-Fahrerlaubnis erhalten hatte, verursachte 1994 unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall; die Bluta­l­ko­hol­kon­zen­tration betrug 2,20 Promille. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte ihn daraufhin wegen Trunken­heitsfahrt und entzog ihm die Fahrerlaubnis. 1995, 1996 und 1998 beantragte der Antragsteller jeweils erfolglos die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis. Alle drei hierzu erstellten, nach deutschem Recht bei Trunken­heits­fahrern vorgesehenen medizinisch-psychologischen Gutachten (MPG) kamen zu dem Ergebnis, dass neuerliche Trunken­heits­delikte nicht auszuschließen seien. Zudem wurde eine weitere gerichtliche Verurteilung aus dem Jahre 1997 wegen einer unter Alkoholeinfluss begangenen Beleidigung bekannt; die Bluta­l­ko­hol­kon­zen­tration hatte dabei 2,61 Promille betragen. Der Antragsteller stellte im Juni 2004 seinen vierten Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, nahm diesen jedoch, nachdem ihn die Fahrer­laub­nis­behörde zur Beibringung eines MPGs aufgefordert hatte, zurück. Ende Oktober 2004 erhielt der Antragsteller in Starosta Slubicki (Polen) eine Fahrerlaubnis der Klasse B. Der Antragsteller hatte zu diesem Zeitpunkt - wie auch jetzt - seinen Wohnsitz in Berlin. Ende Dezember 2004 wurde der Antragsteller in Berlin in einen Verkehrsunfall verwickelt und legte bei der polizeilichen Unfallaufnahme seinen polnischen Führerschein vor. Die Fahrer­laub­nis­behörde forderte ihn daraufhin zur Beibringung eines MPGs auf und entzog ihm, als der Antragsteller dem nicht nachkam, im August 2005 mit Wirkung für das Bundesgebiet die polnische Fahrerlaubnis. Hiergegen richtet sich der Eilantrag, der mit der nunmehr zugestellten Entscheidung erfolglos blieb.

Nach Auffassung des Gerichts ist die - auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkte - Entziehung der polnischen Fahrerlaubnis rechtmäßig. Da der Antragsteller das zu Recht geforderte MPG nicht vorgelegt habe, sei er als ungeeignet anzusehen. Ohne Erfolg mache der Antragsteller geltend, seine Kraft­fah­r­eignung sei bereits von den polnischen Behörden anlässlich des dortigen Ertei­lungs­ver­fahrens geprüft und als nunmehr gegeben festgestellt worden. Insoweit fehle jeder Nachweis dazu, dass die seit langem bei dem Antragsteller bestehende erhebliche Alkohol­pro­blematik in dem Ertei­lungs­ver­fahren in Polen bekannt gewesen und von den dortigen Behörden geprüft worden sei. Angesichts der Tatsache, dass bei dem Antragsteller 1994 eine Bluta­l­ko­hol­kon­zen­tration von 2,20 Promille und drei Jahre später sogar eine solche von 2,61 Promille festgestellt worden sei, müsse von einem gravierenden Alkoholproblem bei dem Antragsteller über einen langen Zeitraum ausgegangen werden, wie dies auch in den beiden MPGs vom 1995 und 1996 detailliert beschrieben worden sei. Um ein solches Trinkverhalten grundlegend zu ändern, bedürfe es einer wesentlichen Verhal­ten­s­än­derung, die nur in Ausnahmefällen ohne fremde Hilfestellung Erfolg habe. Hierzu fehle es an jedem nachvoll­ziehbaren Vortrag.

Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 29. April 2004 in der Rechtssache "Kapper" (C-476/01) stehe der Entziehung nicht entgegen (Anmerkung: Nach diesem Urteil verbietet die Führer­schein­richtlinie der EG, einen in einem anderen EG-Staat ausgestellten Führerschein allein aus dem Grund nicht anzuerkennen, weil der Herkunfts-Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis zuvor entzogen hatte, wenn die mit der Entziehung angeordnete Sperrfrist vor Erteilung der Fahrerlaubnis abgelaufen war, oder weil der Führer­schei­n­er­werber nicht seinen Wohnsitz im Ausstel­lungsstaat hatte.)

Die Führer­schein­richtlinie der EG lasse - entgegen einem Teil der Rechtsprechung - Regelungen der Mitgliedstaaten zu, wonach im Fall einer früheren Entziehung einer Fahrerlaubnis die nach Ablauf der inner­staat­lichen Frist im EG-Ausland erworbene Fahrerlaubnis nicht automatisch im Inland gilt, sondern das Recht zur Nutzung dieser Fahrerlaubnis von einer inner­staat­lichen Prüfung und einem bewilligendem Bescheid abhängt. Eine derartige Überprüfung entspreche dem Zweck der Führer­schein­richtlinie, die Verkehrs­si­cherheit zu verbessern, und sei nach dem derzeitigen Stand des Gemein­schafts­rechts geradezu geboten. Auch die Europäische Kommission betone im Zusammenhang mit der Anerkennung von im EG-Ausland erteilten Fahrer­laub­nissen, dass im Interesse der Verkehrs­si­cherheit und damit im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten durch geeignete Maßnahmen einem Missbrauch der gemein­schafts­recht­lichen Anerken­nungsregel vorgebeugt werden müsse ("Führer­schein­tou­rismus").

Eine Überprü­fungs­be­fugnis berücksichtige auch die inzwischen erfolgte recht­stat­sächliche Entwicklung. So würden seit dem Kapper-Urteil bestimmte Fahrschulen bzw. "Ferien­fahr­schulen" für einen billigen und unkomplizierten Führer­schei­n­erwerb im EG-Ausland werben und dabei sogar die notwendige Brief­kas­te­n­an­schrift im Antragsstaat zur Verfügung stellen. Der Antragsteller, der nach Auffassung der Kammer exemplarisch für viele gleich gelagerte Fälle ist, habe sich entsprechend unter Umgehung der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Erwerb einer Fahrerlaubnis im EU-Ausland in Polen illegal einen Führerschein beschafft, denn er sei zum Zeitpunkt des Erwerbs durchgehend in Berlin gemeldet und aufhältlich gewesen. Im Hinblick auf die erheblichen, aber nicht hinnehmbaren Gefahren, die mit einer Teilnahme von Kraftfahrern am öffentlichem Straßenverkehr mit einer Alkohol- und/oder Drogen­pro­blematik verbunden sind, könne daher auf eine Überprüfung durch die Behörden des Heimatstaates in keiner Weise verzichtet werden. Alle Versuche deutscher Behörden, über die Regelungen der Führer­schein­richtlinie auf die Behörden des Ausstel­ler­staates einzuwirken und eine Rücknahme/Entziehung der erschlichenen Fahrerlaubnis hinzuwirken, seien - insbesondere bei den nieder­län­dischen Behörden - gescheitert. Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zum Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg zulässig.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 44/05 des VG Berlin v. 03.11.2005

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