Dokument-Nr. 1188
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Verwaltungsgericht Berlin Beschluss12.10.2005
"Führerscheintourismus" von Fahruntüchtigen auf dem Prüfstand
Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Eilantrag eines 51jährigen Deutschen gegen die (wegen Ungeeignetheit erfolgte und auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkte) Entziehung seiner polnischen Fahrerlaubnis zurückgewiesen.
Der Antragsteller, der 1984 eine DDR-Fahrerlaubnis erhalten hatte, verursachte 1994 unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall; die Blutalkoholkonzentration betrug 2,20 Promille. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte ihn daraufhin wegen Trunkenheitsfahrt und entzog ihm die Fahrerlaubnis. 1995, 1996 und 1998 beantragte der Antragsteller jeweils erfolglos die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis. Alle drei hierzu erstellten, nach deutschem Recht bei Trunkenheitsfahrern vorgesehenen medizinisch-psychologischen Gutachten (MPG) kamen zu dem Ergebnis, dass neuerliche Trunkenheitsdelikte nicht auszuschließen seien. Zudem wurde eine weitere gerichtliche Verurteilung aus dem Jahre 1997 wegen einer unter Alkoholeinfluss begangenen Beleidigung bekannt; die Blutalkoholkonzentration hatte dabei 2,61 Promille betragen. Der Antragsteller stellte im Juni 2004 seinen vierten Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, nahm diesen jedoch, nachdem ihn die Fahrerlaubnisbehörde zur Beibringung eines MPGs aufgefordert hatte, zurück. Ende Oktober 2004 erhielt der Antragsteller in Starosta Slubicki (Polen) eine Fahrerlaubnis der Klasse B. Der Antragsteller hatte zu diesem Zeitpunkt - wie auch jetzt - seinen Wohnsitz in Berlin. Ende Dezember 2004 wurde der Antragsteller in Berlin in einen Verkehrsunfall verwickelt und legte bei der polizeilichen Unfallaufnahme seinen polnischen Führerschein vor. Die Fahrerlaubnisbehörde forderte ihn daraufhin zur Beibringung eines MPGs auf und entzog ihm, als der Antragsteller dem nicht nachkam, im August 2005 mit Wirkung für das Bundesgebiet die polnische Fahrerlaubnis. Hiergegen richtet sich der Eilantrag, der mit der nunmehr zugestellten Entscheidung erfolglos blieb.
Nach Auffassung des Gerichts ist die - auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkte - Entziehung der polnischen Fahrerlaubnis rechtmäßig. Da der Antragsteller das zu Recht geforderte MPG nicht vorgelegt habe, sei er als ungeeignet anzusehen. Ohne Erfolg mache der Antragsteller geltend, seine Kraftfahreignung sei bereits von den polnischen Behörden anlässlich des dortigen Erteilungsverfahrens geprüft und als nunmehr gegeben festgestellt worden. Insoweit fehle jeder Nachweis dazu, dass die seit langem bei dem Antragsteller bestehende erhebliche Alkoholproblematik in dem Erteilungsverfahren in Polen bekannt gewesen und von den dortigen Behörden geprüft worden sei. Angesichts der Tatsache, dass bei dem Antragsteller 1994 eine Blutalkoholkonzentration von 2,20 Promille und drei Jahre später sogar eine solche von 2,61 Promille festgestellt worden sei, müsse von einem gravierenden Alkoholproblem bei dem Antragsteller über einen langen Zeitraum ausgegangen werden, wie dies auch in den beiden MPGs vom 1995 und 1996 detailliert beschrieben worden sei. Um ein solches Trinkverhalten grundlegend zu ändern, bedürfe es einer wesentlichen Verhaltensänderung, die nur in Ausnahmefällen ohne fremde Hilfestellung Erfolg habe. Hierzu fehle es an jedem nachvollziehbaren Vortrag.
Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 29. April 2004 in der Rechtssache "Kapper" (C-476/01) stehe der Entziehung nicht entgegen (Anmerkung: Nach diesem Urteil verbietet die Führerscheinrichtlinie der EG, einen in einem anderen EG-Staat ausgestellten Führerschein allein aus dem Grund nicht anzuerkennen, weil der Herkunfts-Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis zuvor entzogen hatte, wenn die mit der Entziehung angeordnete Sperrfrist vor Erteilung der Fahrerlaubnis abgelaufen war, oder weil der Führerscheinerwerber nicht seinen Wohnsitz im Ausstellungsstaat hatte.)
Die Führerscheinrichtlinie der EG lasse - entgegen einem Teil der Rechtsprechung - Regelungen der Mitgliedstaaten zu, wonach im Fall einer früheren Entziehung einer Fahrerlaubnis die nach Ablauf der innerstaatlichen Frist im EG-Ausland erworbene Fahrerlaubnis nicht automatisch im Inland gilt, sondern das Recht zur Nutzung dieser Fahrerlaubnis von einer innerstaatlichen Prüfung und einem bewilligendem Bescheid abhängt. Eine derartige Überprüfung entspreche dem Zweck der Führerscheinrichtlinie, die Verkehrssicherheit zu verbessern, und sei nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts geradezu geboten. Auch die Europäische Kommission betone im Zusammenhang mit der Anerkennung von im EG-Ausland erteilten Fahrerlaubnissen, dass im Interesse der Verkehrssicherheit und damit im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten durch geeignete Maßnahmen einem Missbrauch der gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsregel vorgebeugt werden müsse ("Führerscheintourismus").
Eine Überprüfungsbefugnis berücksichtige auch die inzwischen erfolgte rechtstatsächliche Entwicklung. So würden seit dem Kapper-Urteil bestimmte Fahrschulen bzw. "Ferienfahrschulen" für einen billigen und unkomplizierten Führerscheinerwerb im EG-Ausland werben und dabei sogar die notwendige Briefkastenanschrift im Antragsstaat zur Verfügung stellen. Der Antragsteller, der nach Auffassung der Kammer exemplarisch für viele gleich gelagerte Fälle ist, habe sich entsprechend unter Umgehung der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Erwerb einer Fahrerlaubnis im EU-Ausland in Polen illegal einen Führerschein beschafft, denn er sei zum Zeitpunkt des Erwerbs durchgehend in Berlin gemeldet und aufhältlich gewesen. Im Hinblick auf die erheblichen, aber nicht hinnehmbaren Gefahren, die mit einer Teilnahme von Kraftfahrern am öffentlichem Straßenverkehr mit einer Alkohol- und/oder Drogenproblematik verbunden sind, könne daher auf eine Überprüfung durch die Behörden des Heimatstaates in keiner Weise verzichtet werden. Alle Versuche deutscher Behörden, über die Regelungen der Führerscheinrichtlinie auf die Behörden des Ausstellerstaates einzuwirken und eine Rücknahme/Entziehung der erschlichenen Fahrerlaubnis hinzuwirken, seien - insbesondere bei den niederländischen Behörden - gescheitert. Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.11.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 44/05 des VG Berlin v. 03.11.2005
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