21.11.2024
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Thüringer Oberlandesgericht Jena Urteil30.11.2005

OLG: Rückforderung von zurückgezahlten Beihilfen ist zulässig

Das Thüringer Oberlan­des­gericht Jena hat in einem Verfahren wegen Rückzahlung europa­rechts­widrig gewährter Beihilfen der Klage des Insol­venz­ver­walters der Beihil­fe­emp­fängerin, die darauf gerichtet war, an die öffentliche Hand zurückgewährte Beihilfen in Höhe von rund 18 Mio € in die Insolvenzmasse zu erstatten, überwiegend stattgegeben.

Der späteren Insol­venz­schuldnerin sind im Rahmen der Umstruk­tu­rierung eines CD-Werkes in Albrechts/Thüringen von der öffentlichen Hand finanzielle Mittel in Höhe von insgesamt über 550 Mio DM zugeflossen. 1994 übernahmen Einrichtungen der Thüringer Wirtschafts­för­derung, darunter auch die beklagte Thüringer Aufbaubank, sämtliche Geschäfts­anteile der Schuldnerin. Die genannten Einrichtungen haben der Schuldnerin in der Folgezeit weitere finanzielle Zuwendungen erbracht. Die EG-Kommission stellte im Jahr 2000 fest, dass Deutschland die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen habe, um „von den jeweiligen Empfängern“ die unter Verstoß gegen das Beihilfeverbot des EG-Vertrags rechtswidrig erlangten Beihilfen in Höhe von insgesamt 426,87 Mio DM zurückzufordern. Das Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften bestätigte mit Urteil vom 19.10.2005 den Rückfor­de­rungs­be­scheid in den für das anhängige Verfahren wesentlichen Punkten. Der Kommis­si­ons­be­scheid wurde teilweise dadurch vollzogen, dass direkt oder indirekt Rückzahlungen der späteren Insol­venz­schuldnerin an die Beklagte erfolgten. Diese Leistungen verlangt der Insol­venz­ver­walter zurück.

Entgegen dem erstin­sta­nz­lichen Urteil des Landgerichts Erfurt hat der 6. Zivilsenat des Thüringer OLG der Klage in weiten Teilen stattgegeben. Während das LG Erfurt noch davon ausging, dass eine Rückforderung durch den Insol­venz­ver­walter auf eine Umgehung des Beihilfeverbots hinauslaufe und daher europarechtlich nicht zulässig sei, gelangte das Berufungs­gericht zu der Auffassung, dass den Zielen des Europäischen Beihilferechts auch bei einer Rückführung der Beihilfen an die insolvente Empfängerin hinreichend Rechnung getragen wird.

Der Vollzug des europäischen Beihilferechts erfolgt grundsätzlich nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, wobei dieses in der Weise auszulegen ist, dass es der europa­recht­lichen Zielsetzung nicht entgegenstehen darf (sog. Verei­te­lungs­verbot).Deswegen ist das nationale Recht nicht anzuwenden, wenn es der Rückforderung europa­rechts­widrig geleisteter Beihilfen entgegenstehen würde.

Der EuGH hat bereits früher festgestellt, dass dem Ziel des Beihilferechts – nämlich die Vermeidung von Wettbe­wer­bs­ver­zerrung – genüge getan ist, wenn in der Insolvenz des Beihil­fe­emp­fängers die Forderungen der öffentlichen Hand auf Rückführung der Beihilfe zur Insol­venz­tabelle angemeldet wird. Die öffentliche Hand müsse sich in diesen Fällen wie ein gewöhnlicher Gläubiger behandeln lassen. Das Insol­venz­ver­fahren gewährleiste die Beseitigung einer Wettbe­wer­bs­ver­zerrung.

Diese Grundsätze hat der Zivilsenat auf Sachverhalte übertragen, in denen die Insolvenz des Rückzah­lungs­schuldners zwar noch nicht eingetreten, bei Rückforderung der Beihilfe aber unvermeidbar war. Nachvoll­ziehbare Gründe den Fall der Rückforderung von Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens anders zu behandeln als danach, seien., so der Senat, nicht ersichtlich. Das deutsche Kapita­l­e­r­haltungs- und Insolvenzrecht dient dem Schutz der Gläubiger. Würden diese Gläubi­ger­schutz­vor­schriften bei der Rückforderung von europa­rechts­widrigen Beihilfen keine Anwendung finden, entstünde ein Wettlauf zwischen gewöhnlichen Gläubigern auf der einen und der öffentlichen Hand als besonderem Gläubiger hinsichtlich der Beihil­ferü­ck­for­derung auf der anderen Seite. Dies wäre nicht sachgerecht.

Neben den generell anwendbaren Vorschriften der Insol­ven­z­ordnung (InsO) wurde der Klaganspruch auf die Recht­spre­chungs­grundsätze des Bundes­ge­richtshofs (BGH) zur Rückgewähr kapita­ler­set­zender Darlehen (§§ 30, 31 GmbHG analog) gestützt. Denn die Beklagte hatte die streit­ge­gen­ständ­lichen Beihilfen als Gesell­schaf­ter­da­rlehen gewährt und war daher gehindert, sie in der Krise der Schuldnerin zum Nachteil der übrigen Gläubiger abzuziehen.

Unbeachtlich war es in diesem Zusammenhang, dass die gewährten Darlehen wegen fehlender Notifizierung von Anfang an wegen Verstoßes gegen das europäische Beihilferecht nichtig waren (§ 134 BGB); denn auch die daraus resultierenden Ansprüche der beklagten Gesell­schafterin gegen den Beihil­fe­emp­fänger können kapita­ler­setzend verstrickt sein, wenn sie in Kenntnis der Krise nicht geltend gemacht, sondern stehen gelassen werden. Dies war hier der Fall.

Die nur geringfügig an der Insol­venz­schuldnerin beteiligte Beklagte konnte sich auch nicht erfolgreich auf die Vorschrift des § 32 a III 2 GmbHG berufen, und zwar bereits schon deshalb, weil dieses sog. Klein­ge­sell­schaf­ter­privileg keine Anwendung auf Gesell­schaf­ter­da­rlehen oder gleichgestellte Leistungen findet, die bereits vor dem Inkrafttreten der Regelung am 24.04.1998 verstrickt waren; unmaßgeblich ist hingegen der (spätere) Zeitpunkt der Rückzahlung an den Gesellschafter.

Da die Entscheidung auf Rechtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung beruht, wurde die Revision zugelassen.

Quelle: Pressemitteilung des Thüringer OLG vom 30.11.2005

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