03.12.2024
03.12.2024  
Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 11689

Drucken
ergänzende Informationen

Thüringer Oberlandesgericht Jena Urteil23.03.2011

Verletzung der Betreu­ungs­pflichten: Demenzkranke mit bekannter Weglauftendenz müssen ausreichend beaufsichtigt werdenPflege­heim­be­treiber verletzt fahrlässig Betreu­ungs­pflichten aus Heimvertrag

Ein Pflege­heim­be­treiber, der Demenzkranke mit bekannter Weglauftendenz nicht genügend beaufsichtigt, verletzt seine Betreu­ungs­pflichten. Dies geht aus einer Entscheidung des Thüringer Oberlan­des­ge­richts hervor.

Im zugrunde liegenden Fall verließ im Herbst 2008 eine demenzkranke (73 Jahre) alte Dame unbemerkt das Pflegeheim, in dem sie den dreiwöchigen Urlaub ihrer sie (sonst) betreuenden Tochter verbringen sollte. Die Suche – auch der Polizeikräfte – verlief zunächst erfolglos. Erst drei Tage nach ihrem Verschwinden wurde die alte Dame verletzt, unterkühlt und in einem schwer verwirrten, desorientierten Zustand auf einer Wiese liegend gefunden. Sie war gestürzt und hatte sich dabei die (rechte) Schulter gebrochen. In der Folge dieser Verletzung ist das Schultergelenk – trotz einer zwischen­zeitlich eingesetzten Prothese – funktionell unbrauchbar; Schulter und Arm sind nur noch eingeschränkt beweglich.

Pflege­heim­leitung hält lückenlose (hundert­pro­zentige) Überwachung für unzumutbar

Im Juni 2010 hat das Landgericht Mühlhausen die Betreiberin der Pflege­ein­richtung zu einem Schmerzensgeld von 10.000 Euro und (zusätzlich) einer monatlichen Schmer­zens­geldrente von 150 Euro an die alte Dame verurteilt. Hiergegen hat die Pflege­heim­be­treiberin Berufung eingelegt; und zwar mit der Begründung, sie unterhalte eine offene (keine geschlossene) Einrichtung und habe eine lückenlose (hundert­pro­zentige) Überwachung der alten Dame weder leisten können, noch müssen.

Oberlan­des­gericht bejaht Zahlung eines (einmaligen) Schmer­zens­geldes

Dieser Argumentation ist das Thüringer Oberlan­des­gericht nicht gefolgt und hat die Berufung im Wesentlichen zurückgewiesen. Lediglich die Schmer­zens­geldrente ist (aus Rechtsgründen) „kassiert“ worden, weil sie neben der einmaligen Kapitalzahlung nicht in Betracht kam.

Bei der Verurteilung zur Zahlung eines (einmaligen) Schmer­zens­geldes ist es aber geblieben; der Senat hat den Betrag sogar auf 20.000 Euro verdoppelt.

Heimbewohnerin hätten nach mehrfachen Weglauf­ver­suchen lückenlos beaufsichtigt werden müssen

Zur Begründung heißt es im Urteil, die Pflege­heim­be­treiberin habe ihre Betreu­ungs­pflichten aus dem Heimvertrag fahrlässig verletzt. Sie habe gewusst, dass die alte Dame demenzkrank sei und an ihrem Wohnort häufig allein zu ihrem Elternhaus gelaufen sei. In der für sie fremden Umgebung habe die konkrete Gefahr bestanden, dass die demenzkranke alte Dame sich verlaufen und dann verwirrt und orien­tie­rungslos umherirren werde. Nachdem sie das Heim bereits zweimal (am ersten und am zweiten Tag ihres Aufenthalts) unbemerkt verlassen habe, sei mit einem erneuten – und anders als bei den beiden ersten Malen auch erfolgreichen – Weglaufversuch zu rechnen gewesen. Um das zu verhindern und sicherzustellen, dass die alte Dame sich nicht selbst in Gefahr bringe, hätte sie lückenlos beaufsichtigt werden müssen. Wenn hierfür kein hinreichendes Personal verfügbar gewesen sei, hätte die Tochter aufgefordert werden müssen, ihre Mutter wieder abzuholen (und anderswo unterzubringen).

Hintergrund:

Der Senat hat seine Entscheidung auf die §§ 280 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB gestützt; die Vorschriften lauten wie folgt:

§ 280 Abs. 1 BGB:

„Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuld­ver­hältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflicht­ver­letzung nicht zu vertreten hat.“

§ 253 Abs. 2 BGB:

„Ist wegen der Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbst­be­stimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermö­gens­schaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.“

Quelle: Thüringer Oberlandesgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil11689

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI