Vor dem Thüringer Oberlandesgericht hat die öffentliche Hauptverhandlung im Revisionsverfahren im Fall des in den Medien als „Kirchenstörer von Erfurt“ bezeichneten 30-jährigen Angeklagten stattgefunden. ach Durchführung der Verhandlung verkündete der Vorsitzende Richter des 1. Strafsenats das Urteil.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wurde das Berufungsurteil des Landgerichts Erfurt im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte des Hausfriedensbruchs in Tatmehrheit mit Störung der Religionsausübung schuldig ist. Hingegen hat der Senat die auf einen Freispruch gerichtete Revision des Angeklagten verworfen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten lediglich wegen Hausfriedensbruch verurteilt, nicht aber wegen Störung der Religionsausübung, da nach Auffassung des Berufungsgerichts insoweit das Grundrecht des Angeklagten auf freie Religionsausübung (Artikel 4 des Grundgesetzes) zu beachten sei. Das Thüringer Oberlandesgericht hat sich insoweit der Argumentation des Landgerichts nicht angeschlossen.
In seiner mündlich vorgetragenen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende Richter zunächst aus, dass die Verurteilung des Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs zutreffend erfolgt sei. Der Angeklagte sei widerrechtlich in den Erfurter Dom eingedrungen, bei dem es sich um einen abgeschlossenen Raum handele, der dem öffentlichen Dienst bestimmt sei. Das Handeln des Angeklagten sei auch nicht durch die Ausübung des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gerechtfertigt gewesen. Eine hier vorzunehmende Güter- und Interessenabwägung führe zu dem Ergebnis, dass das hier ebenfalls betroffene Grundrecht des Domkapitels auf Eigentum, welches auch die Befugnis umfasse zu entscheiden, wer wann und bei welchen Gelegenheiten die Räumlichkeiten des Domes betreten darf, den Vorrang vor der Glaubensfreiheit des Angeklagten genieße. Der vom Angeklagten verübte Hausfriedensbruch stelle nämlich einen Eingriff in den Kernbereich des Eigentumsrechts des Domkapitels dar, während die Bestrafung des Eindringens in den Mariendom die Glaubensfreiheit des Angeklagten nur peripher tangiere. Dieser müsse seinen Glauben nicht überall verwirklichen können, insbesondere nicht an fremden Orten gegen den Willen des Hausrechtsinhabers.
Im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts hat der Senat auch die vom Angeklagten absichtlich begangene Störung des Festgottesdienstes nicht als durch die Ausübung des Grundrechts auf Glaubensfreiheit als gerechtfertigt angesehen. Diesem Grundrecht des Angeklagten stünden unter anderem die Grundrechte auf Glaubensfreiheit der einzelnen Kirchenbesucher und der Veranstalter des Gottesdienstes gegenüber. Dies gelte sowohl für die Freiheit, der eigenen Glaubensüberzeugung entsprechend zu handeln und insbesondere an rituellen Feiern ungestört teilzunehmen als auch für das Recht, sich keine fremden Glaubensüberzeugungen aufzwingen lassen zu müssen. Auch hier sei zu berücksichtigen, dass das Grundrecht des Angeklagten nur peripher betroffen sei, da dieser seine Glaubensüberzeugung nicht notwendig während eines fremden Gottesdienstes lautstark und störend kundtun müsse.
Der Senat hat die Sache zur Festsetzung einer Einzelstrafe für die vom Angeklagten begangene Störung der Religionsausübung und zur Bildung einer Gesamtstrafe an eine andere Strafkammer des Landgerichts Erfurt zurückverwiesen, wobei der Senat festgestellt hat, dass die vom Landgericht vorgenommene Verurteilung wegen Hausfriedensbruches zu einer Einzelfreiheitsstrafe von 5 Monaten nicht zu beanstanden ist.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 25.01.2006
Quelle: ra-online, OLG Thüringen (pm/pt)