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Staatsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil14.06.2007
Landtagswahl 2006 in Baden-Württemberg ist verfassungsgemäßWahlprüfungsbeschwerden nicht gewählter Wahlkreiskandidaten zurückgewiesen
Der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat die anhängige Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Landtagswahl in Baden-Württemberg als unbegründet zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführer, nicht gewählte Wahlkreiskandidaten der SPD und Wahlberechtigte, hatten beantragt, die Landtagswahl vom 26. März 2006 ganz oder wenigstens teilweise für ungültig zu erklären, hilfsweise, der SPD ein, der FDP/DVP zwei und den Grünen ein Mandat zusätzlich zuzusprechen. Sie verfolgten damit ihren Einspruch gegen die Gültigkeit der Landtagswahl weiter, den der Landtag in seiner 12. Sitzung am 9. November 2006 zurück gewiesen hatte.
Der Staatsgerichtshof hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil er nicht feststellen konnte, dass die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwendungen einen Verfassungsverstoß begründen können.
Der Staatsgerichtshof hielt zunächst die Bestimmung in § 1 Abs. 1 Landtagswahlgesetz - LWG -, wonach 70 Direktmandate in 120 Wahlkreisen vergeben werden, für verfassungsgemäß. Die Beschwerdeführer hatten die Auffassung vertreten, nur die Hälfte der 120 Mandate dürfe im Wege der Mehrheitswahl vergeben werden.
Dass das Landtagswahlrecht eine höhere Zahl von Direktmandaten vorsehe, führe vermehrt zu Überhangmandaten und verletze das Gebot der Erfolgswertgleichheit. Der Staatsgerichtshof kam demgegenüber zu dem Ergebnis, dass die offene Formulierung in Art. 28 Abs. 1 LV die in Baden - Württemberg - wie auch in anderen Ländern - vorgesehene höhere Zahl von Erstmandaten durchaus zulasse. Dass die stärkste Partei in der Vergangenheit auch die ganz überwiegende Zahl von Erstmandaten gewonnen habe, sei Ausdruck des Wählerwillens und nicht Folge des Wahlsystems.
Auch die Abweichungen in der Größe der Wahlkreise bei der letzten Landtagswahl führten nicht zur Ungültigkeit der Wahl. Zwar sei in einem Fall (Wahlkreis Nr. 62 - Tübingen) die Toleranzgrenze einer Abweichung von bis zu 25 v.H. von der Durchschnittsgröße nicht eingehalten worden. Der Gesetzgeber habe sich bei der Einteilung aber noch am Ergebnis der vorangegangenen Wahl, bei der die Abweichung in diesem Wahlkreis noch unter der Toleranzgrenze gelegen habe, orientieren dürfen. Denn nach der bisherigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshof liege keine eindeutig vorhersehbare, „evidente“ Abweichung vor, wenn die Abweichungen bei den vorangegangenen Wahlen die Toleranzgrenze noch eingehalten hätten.
Der Staatsgerichtshof hat jetzt indessen offen gelassen, ob künftig daran festgehalten werden kann, bei der Frage der Evidenz einer Überschreitung der Toleranzgrenze ausschließlich auf die Zahl der Wahlberechtigten bei den vorangegangenen Landtagswahlen abzustellen. Neben der Zahl der Wahlberechtigten bei den vorangegangenen Landtagswahlen könnten im Interesse der Aktualität des Datenbestandes, wie im Bereich des Bundestagswahlrechts, unterstützend die fortlaufend vom Statistischen Landesamt erhobenen „Zahlen der deutschen Bevölkerung“ herangezogen werden. Wenn dabei festzustellen sei, dass sich die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises signifikant überproportional verändere und die Toleranzgrenze bei der vorangegangenen Landtagswahl nahezu erreicht würde, werde der Gesetzgeber gehalten sein, durch eine rechtzeitige Umgestaltung der Wahlkreise eine Überschreitung der Toleranzgrenze am Wahltag zu verhindern. Der Bund prüfe regelmäßig bereits dann eine Neueinteilung der Wahlkreise aufgrund von Vorschlägen der Wahlkreiskommission des Bundes, wenn die Abweichung den Wert von 22 v. H. erreiche und deshalb eine Überschreitung der Toleranzgrenze zum Wahltag nicht ausgeschlossen werden könne. Eine solche vorsorgliche Handhabung führe dazu, dass eine dennoch am Wahltag eintretende Überschreitung der Toleranzgrenze die Verfassungsmäßigkeit der Wahl nicht infrage stellen könne.
Schließlich hat der Staatsgerichtshof die Rüge für unbegründet gehalten, das bei der letzten Wahl noch gültige Berechnungsverfahren (d’Hondtsches Höchstzahlverfahren) verletze das Gebot des gleichen Erfolgswerts der Stimmen. Soweit sich die Rüge auf § 2 Abs. 4 Satz 1 LWG a.F. beziehe, sei der StGH noch an seine mit Gesetzeskraft ergangene Entscheidung aus dem Jahr 1990, die die Übereinstimmung der Bestimmung mit der Verfassung festgestellt habe, gebunden. Aber auch die uneingeschränkter Prüfung unterliegende Bestimmung in § 2 Abs. 1 Satz 1 LWG a.F. sei nicht verfassungswidrig. Bei der Ausgestaltung des Berechnungsverfahrens stehe dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Verfassungswidrig wäre das damals vom Gesetzgeber gewählte Verfahren der Ermittlung der Ausgleichsmandate nur dann, wenn es bei allen real in Betracht kommenden Fallgestaltungen und jeweils bei jeder Partei, mithin eindeutig, die schlechteren Ergebnisse bei der Sicherung des gleichen Erfolgswerts der Wählerstimmen liefern würde. Dies konnte der Staatsgerichtshof auf Grund der Ergebnisse der letzten Wahl nicht feststellen. Denn bei einer der im Landtag vertretenen Parteien (SPD) führte das angegriffene (frühere) Berechnungsverfahren auch im Vergleich mit dem bei künftigen Landtagswahlen geltenden Höchstzahlverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers zur geringsten Abweichung ihres Anteils an der Gesamtmandatszahl von ihrem Anteil an den für die Verteilung der Mandate nach § 2 Abs. 1 LWG a.F. relevanten Gesamtstimmenzahlen im Land.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 18.06.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des StGH vom Baden-Württemberg vom 14.06.2007
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