21.11.2024
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Dokument-Nr. 4397

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Urteil14.06.2007Staatsgerichtshof Baden-WürttembergGR 1/06
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Staatsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil14.06.2007

Landtagswahl 2006 in Baden-Württemberg ist verfas­sungsgemäßWahlprü­fungs­be­schwerden nicht gewählter Wahlkreis­kan­didaten zurückgewiesen

Der Staats­ge­richtshof für das Land Baden-Württemberg hat die anhängige Wahlprü­fungs­be­schwerde gegen die Landtagswahl in Baden-Württemberg als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beschwer­de­führer, nicht gewählte Wahlkreis­kan­didaten der SPD und Wahlberechtigte, hatten beantragt, die Landtagswahl vom 26. März 2006 ganz oder wenigstens teilweise für ungültig zu erklären, hilfsweise, der SPD ein, der FDP/DVP zwei und den Grünen ein Mandat zusätzlich zuzusprechen. Sie verfolgten damit ihren Einspruch gegen die Gültigkeit der Landtagswahl weiter, den der Landtag in seiner 12. Sitzung am 9. November 2006 zurück gewiesen hatte.

Der Staats­ge­richtshof hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil er nicht feststellen konnte, dass die von den Beschwer­de­führern vorgebrachten Einwendungen einen Verfas­sungs­verstoß begründen können.

Der Staats­ge­richtshof hielt zunächst die Bestimmung in § 1 Abs. 1 Landtags­wahl­gesetz - LWG -, wonach 70 Direktmandate in 120 Wahlkreisen vergeben werden, für verfas­sungsgemäß. Die Beschwer­de­führer hatten die Auffassung vertreten, nur die Hälfte der 120 Mandate dürfe im Wege der Mehrheitswahl vergeben werden.

Dass das Landtags­wahlrecht eine höhere Zahl von Direktmandaten vorsehe, führe vermehrt zu Überhang­mandaten und verletze das Gebot der Erfolgs­wert­gleichheit. Der Staats­ge­richtshof kam demgegenüber zu dem Ergebnis, dass die offene Formulierung in Art. 28 Abs. 1 LV die in Baden - Württemberg - wie auch in anderen Ländern - vorgesehene höhere Zahl von Erstmandaten durchaus zulasse. Dass die stärkste Partei in der Vergangenheit auch die ganz überwiegende Zahl von Erstmandaten gewonnen habe, sei Ausdruck des Wählerwillens und nicht Folge des Wahlsystems.

Auch die Abweichungen in der Größe der Wahlkreise bei der letzten Landtagswahl führten nicht zur Ungültigkeit der Wahl. Zwar sei in einem Fall (Wahlkreis Nr. 62 - Tübingen) die Toleranzgrenze einer Abweichung von bis zu 25 v.H. von der Durch­schnittsgröße nicht eingehalten worden. Der Gesetzgeber habe sich bei der Einteilung aber noch am Ergebnis der vorangegangenen Wahl, bei der die Abweichung in diesem Wahlkreis noch unter der Toleranzgrenze gelegen habe, orientieren dürfen. Denn nach der bisherigen Rechtsprechung des Staats­ge­richtshof liege keine eindeutig vorhersehbare, „evidente“ Abweichung vor, wenn die Abweichungen bei den vorangegangenen Wahlen die Toleranzgrenze noch eingehalten hätten.

Der Staats­ge­richtshof hat jetzt indessen offen gelassen, ob künftig daran festgehalten werden kann, bei der Frage der Evidenz einer Überschreitung der Toleranzgrenze ausschließlich auf die Zahl der Wahlbe­rech­tigten bei den vorangegangenen Landtagswahlen abzustellen. Neben der Zahl der Wahlbe­rech­tigten bei den vorangegangenen Landtagswahlen könnten im Interesse der Aktualität des Datenbestandes, wie im Bereich des Bundes­tags­wahl­rechts, unterstützend die fortlaufend vom Statistischen Landesamt erhobenen „Zahlen der deutschen Bevölkerung“ herangezogen werden. Wenn dabei festzustellen sei, dass sich die Bevöl­ke­rungszahl eines Wahlkreises signifikant überpro­por­tional verändere und die Toleranzgrenze bei der vorangegangenen Landtagswahl nahezu erreicht würde, werde der Gesetzgeber gehalten sein, durch eine rechtzeitige Umgestaltung der Wahlkreise eine Überschreitung der Toleranzgrenze am Wahltag zu verhindern. Der Bund prüfe regelmäßig bereits dann eine Neueinteilung der Wahlkreise aufgrund von Vorschlägen der Wahlkreis­kom­mission des Bundes, wenn die Abweichung den Wert von 22 v. H. erreiche und deshalb eine Überschreitung der Toleranzgrenze zum Wahltag nicht ausgeschlossen werden könne. Eine solche vorsorgliche Handhabung führe dazu, dass eine dennoch am Wahltag eintretende Überschreitung der Toleranzgrenze die Verfas­sungs­mä­ßigkeit der Wahl nicht infrage stellen könne.

Schließlich hat der Staats­ge­richtshof die Rüge für unbegründet gehalten, das bei der letzten Wahl noch gültige Berech­nungs­ver­fahren (d’Hondtsches Höchst­zahl­ver­fahren) verletze das Gebot des gleichen Erfolgswerts der Stimmen. Soweit sich die Rüge auf § 2 Abs. 4 Satz 1 LWG a.F. beziehe, sei der StGH noch an seine mit Gesetzeskraft ergangene Entscheidung aus dem Jahr 1990, die die Übereinstimmung der Bestimmung mit der Verfassung festgestellt habe, gebunden. Aber auch die unein­ge­schränkter Prüfung unterliegende Bestimmung in § 2 Abs. 1 Satz 1 LWG a.F. sei nicht verfas­sungs­widrig. Bei der Ausgestaltung des Berech­nungs­ver­fahrens stehe dem Gesetzgeber ein Gestal­tungs­spielraum zu. Verfas­sungs­widrig wäre das damals vom Gesetzgeber gewählte Verfahren der Ermittlung der Ausgleichs­mandate nur dann, wenn es bei allen real in Betracht kommenden Fallge­stal­tungen und jeweils bei jeder Partei, mithin eindeutig, die schlechteren Ergebnisse bei der Sicherung des gleichen Erfolgswerts der Wählerstimmen liefern würde. Dies konnte der Staats­ge­richtshof auf Grund der Ergebnisse der letzten Wahl nicht feststellen. Denn bei einer der im Landtag vertretenen Parteien (SPD) führte das angegriffene (frühere) Berech­nungs­ver­fahren auch im Vergleich mit dem bei künftigen Landtagswahlen geltenden Höchst­zahl­ver­fahren nach Sainte-Laguë/Schepers zur geringsten Abweichung ihres Anteils an der Gesamt­man­datszahl von ihrem Anteil an den für die Verteilung der Mandate nach § 2 Abs. 1 LWG a.F. relevanten Gesamt­stim­men­zahlen im Land.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des StGH vom Baden-Württemberg vom 14.06.2007

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